2014 war das konstituierende Jahr der kritischen Masse. Die Ukrainekrise löste bei vielen Bürgern im Lande ein Hochschrecken aus ihrer bisherigen Weltanschauung aus. Viele begannen ab dieser Zeit, sich mit den drohenden Gefahren für die Gesellschaft und letztlich für die Menschheit auseinanderzusetzen. Das allerdings häufig — nicht immer — von den sicheren Zuschauerrängen der Facebook- und YouTube-Kommentare aus. 2018 erinnert mich da an ein Zitat aus Danny Boyles Zombie-Dystopie 28 days later:
„And right from the beginning you knew this was different, because it was happening in small villages, market towns, and then, it wasn't on the TV anymore. It was in the street outside. It was coming through your windows“ (1).
Von 2014 bis 2017 konnten wir auf unseren Endgeräten den Zerfall der Gesellschaft in der Peripherie der westlichen Welt beobachten. Jetzt spielen sich diese Entwicklungen zunehmend vor unserer Haustür ab und drohen, durch unser Fenster einzudringen und uns zum Handeln zu zwingen. Daher folgt eine Auflistung sämtlicher dramatischer Entwicklungen in 2018.
Wirtschaftskrise
Die Anzeichen verdichten sich, dass der schwächelnde Patient, unser Wirtschaftssystem, mit den lebenserhaltenden Maßnahmen — dem von den Zentralbanken ins System gepumpten Geld — nicht mehr lange am Leben gehalten werden kann. Das System ist fragiler denn je. Jede in Zahlungsunfähigkeit geratene Bank könnte die lockere Schraube sein, die das Fahrwerk bei hunderten km/h auseinanderfallen lässt.
Wie sich so eine Wirtschaftskrise auswirken könnte, lässt sich nur erahnen. Wird es wieder Hungersnöte — trotz massiver Überproduktion — geben? Werden sämtliche mittelständischen Unternehmen in den Strudel hinabgerissen werden, mit dem Ergebnis von Massenarbeitslosigkeit und einem daraus folgendem Einbruch der Kaufkraft, die die verbliebenen größeren Firmen ebenfalls in die Rezession treiben würde?
Die Anzeichen haben sich 2018 bedrohlich zugespitzt. In umstrittene Alternativen wie Kryptowährungen sollten wir keine großen Hoffnungen setzen. Die Wertkurve des Bitcoins ist — für dieses Jahr symbolisch — gigantisch in die Tiefe gestürzt.
Zensur
Hetze, Verleumdung sowie das Labeln als Verschwörungstheoretiker oder Antisemit zeigen als Instrumente gegen kritische und nicht-systemkonforme Persönlichkeiten nicht die gewünschte Wirkung.
In den Wänden im Raum des Sagbaren tun sich immer größere Löcher auf und selbst die mit „Fake-News! Hier gibt es nichts zu sehen!“ beschrifteten Absperrbänder werden durch den frischen Luftzug teilweise abgerissen, der durch eben jene Löcher weht.
Hier sieht sich das Meinungsmanagement der herrschenden Klasse gezwungen, härtere Bandagen anzulegen und zu konkreten Zensurmaßnahmen zu greifen.
Zwar wurden die Begriffe „Fake-News“ oder „postfaktisch“ bereits November 2016 im Zuge des Trump-Wahlsieges aus der Taufe gehoben und von zahlreichen unkritischen Geistern unhinterfragt übernommen, doch 2018 trug dieses Wording dann entsprechend Früchte. Unter dem Vorwand, gegen Desinformation vorgehen zu wollen, werden die Knebel in den Mündern alternativer Stimmen sukzessive stärker angezogen.
In Deutschland beginnt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz von Heiko Maas, das Mainstream-Meinungsorchester von Dissonanzen sozialpolitischer sowie pazifistischer Natur zu bereinigen. In Frankreich verabschiedete Macron zum Jahresende ein Anti-Fake-News-Gesetz. In Großbritannien denkt man darüber nach, den Besuch „falscher Seiten“ als Straftatbestand zu klassifizieren. Im selben Land wird für Whistleblower und Wikileaks-Gründer Julian Assange die Luft in der ecuadorianischen Botschaft immer dünner. Ihm droht eine Abschiebung in die USA und was ihn dort an drakonischen Strafen erwartet, wollen wir uns gar nicht ausmalen.
Ernst wird es jetzt schon auf YouTube. Durch den Artikel 13 des reformierten Urheberrechtsgesetzes könnten die Plattformbetreiber für das Hochladen urheberrechtsgeschützter Inhalte haftbar gemacht werden. Für Videoplattformen wie YouTube bleiben dann nur noch wenige Möglichkeiten übrig: Entweder für einen horrenden Betrag einen Uploadfilter einbauen oder gleich sämtliche Kanäle plattmachen und es nur noch verifizierten Unternehmen ermöglichen, dort Content zu veröffentlichen.
Von „broadcast yourself“, dem ursprünglichen YouTube-Leitspruch, wäre dann keine Spur mehr. Von alternativen Stimmen und Meinungen ganz zu schweigen. Wir hätten schlicht wieder das Fernsehen, nur eben mit YouTube-Logo. Die Rückkehr des Trash-Senders MTV aus der Grotte des Pay-TVs zurück ins Free-TV im Januar 2018 dürfte der erste Vorgeschmack auf eine neue alte Medienlandschaft sein, die von Wenigen für die Masse produziert wird, statt umgekehrt.
Der Überwachungsstaat
Der Geist, der dieses Jahr durch die Bundesrepublik spukte und sich auch nicht von Massendemonstrationen aufhalten ließ, trug drei Buchstaben: PAG – Polizeiaufgabengesetz. Von Bayern ausgehend, verbreitete sich landesweit die Blaupause einer Polizeibefugnis, die es zuletzt unter Hitler gab. Unendlichkeitshaft, willkürliche Kontrollen, Handgranaten, Verwanzen von Wohnungen, das Abfangen und Verändern (!) technischer Kommunikation wie Mails und Chatverläufe — all das unter dem Vorwand der äußerst schwammig definierten „drohenden Gefahr“.
Mit welcher Vehemenz, Ignoranz und unter Billigung eines dramatischen Wählerstimmenverlustes diese Gesetze durchgeboxt wurden, ist erschreckend! Es zeigt, wie dringend notwendig sie für die herrschende Struktur sind, um zu erwartende große Proteste der Bevölkerung entweder bereits im Keim ersticken oder spätestens beim Aufflammen niederknüppeln zu können. Welchen Repressalien politisch Andersdenkende heute ausgesetzt sind, konnten sich die meisten 2017 noch gar nicht vorstellen. Solche Methoden kannte man bisher nur aus den Anklageschriften gegen Staaten wie Russland, China oder die Türkei.
Die Polizei wurde dieses Jahr extrem militaristisch aufgerüstet. In der Geisterstadt Schnöggersburg wird bereits der Kampf in urbanen Gebieten geprobt. Vermutlich hätte man vergangenes Silvester noch nicht gedacht, dass wir bereits heute an diesem Punkt stehen.
Kriegsgefahr
Auf diesem Themengebiet sah es dieses Jahr besonders dramatisch aus. Dieses Feld droht, bedingt durch die aktuellen Entwicklungen, sich zu einem Schlachtfeld zu entwickeln. Psychologisch und diplomatisch wird hier geladen und entsichert, wo es nur geht.
Die Bundeswehr startete eine penetrante Werbekampagne nach der anderen. Insgesamt vier Bundeswehr-Serien wurden 2018 auf die Geister junger Schulabgänger losgelassen, sodass unter Jugendlichen nur noch die Polizei und Adidas als Arbeitgeber beliebter sind als die Bundeswehr.
Begleitend zu dieser Entwicklung durfte sich der deutsche Politikwissenschaftler Professor Hacke quer durch die Presselandschaft seinen feuchten Traum einer deutschen Atombombe herbeifantasieren. Bundeskanzlerin Merkel hatte wenige Monate später die Vision einer europäischen Armee. Vielleicht sollte man in manchen Fällen doch zum Arzt gehen, wenn man Visionen hat. Denn Visionen wie diese sehen für das Jahr 2019 sowie die Folgejahre keine positive Entwicklung vor.
Gegenüber Russland baute man dieses Jahr die diplomatischen Knautschzonen dramatisch ab. Im Zuge des völlig hanebüchenen Skripal-Narratives wurden zahlreiche russische Diplomaten des Landes verwiesen. Wir erlebten wieder einen heißen Frühling, dessen Blüten Atompilze hätten sein können, wäre durch die auf Syrien niedergehenden Raketen der USA, Großbritanniens oder Frankreichs ein russischer Staatsangehöriger getötet worden. Wenige Monate später fand an der russischen Grenze das größte NATO-Militärmanöver seit dem Ende des Kalten Krieges, Trident Juncture, statt.
Die USA kündigten den seit 31 Jahren bestehenden INF-Vertrag auf. Dieser verbot den damaligen Großmächten, landgestützte Flugkörper mit mittlerer und kürzerer Reichweite zu besitzen, respektive verpflichtete sie dazu, alle noch im Besitz befindlichen zu zerstören. Diese große friedenspolitische Errungenschaft wurde einfach wie eine abgelaufene Maggi-Tüte in die Diplomaten-Mülltonne geworfen. Ebenfalls einseitig kündigten die USA den Atomdeal mit dem Iran auf.
Ein Camouflage-Tuch legt sich auf die Welt. Symbolträchtig wurde zu Beginn des Jahres 2018 die Weltuntergangsuhr auf zwei Minuten vor 12 gestellt. Hält man sich die oben aufgezählten Entwicklungen vor Augen, die daraufhin folgten, kann man die Zeiger ticken hören …
Spaltung
„#wirsindmehr!“ hallte es diesen Herbst durch das links-liberale Milieu. Aufgrund einer imaginären Hetzjagd in Chemnitz stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber: Provinziell und einfach sind die einen, kosmopolitisch, kultiviert und gebildet die anderen. Mit jedem Tag stürzen weitere Brücken zwischen diesen beiden Seiten ein. Die Stimmung im Lande ist toxisch. Je nach eigener Gesinnung ist derjenige ein Nazi oder ein Gutmensch, wer nur das falsche Wort ausspricht!
Die Mauer ist längst wieder da! Sie verläuft aber nicht mehr zwischen West- und Ostdeutschland, nicht mehr durch Berlin, sondern durch die Bänke der Schulen und Universitäten, durch Pausenräume am Arbeitsplatz, durch die von Demonstranten bedeckten Fahrbahnstreifen.
Sie ummantelt die gen Smartphone gerichteten, isolierten Köpfe, die — gemäß der marktradikalen Ideologie — nur noch an sich selber denken. Die Nationalhymne ist zu einer Farce geworden. Einigkeit, Recht und Freiheit sind Werte, die mehr und mehr — ganz besonders in diesem unheilvollen Jahr 2018 — dahinschmelzen wie das Eis an den Polkappen.
Der Klimawandel
Und damit haben wir die Überleitung zur letzten Katastrophen-Kategorie, die wir dieses Jahr zum ersten Mal visuell und körperlich erlebten. Der Klimawandel! Die Katastrophe, die sich zwar schon seit Jahrzehnten anbahnt, im Alltagsgeschehen jedoch meist unsichtbar blieb. Alle redeten darüber, doch all das Gerede glich der Erzählung über ein Gespenst. Bis 2018 sah die Natur aus wie jedes Jahr. Grelle Blüten im Frühling, dunkelgrüne Baumkronen im Sommer und ein buntes Blättermeer im Herbst. Auch die „Inwelt“, also die Welt, die wir von der Umwelt abgrenzen, bot sich uns immer unverändert dar. Züge, Autos und Flugzeuge bewegten sich unentwegt, die Supermärkte waren immer prall mit den buntesten Waren gefüllt.
Doch 2018 änderte sich dies. Auf einen extremen Winter folgte ein Frühling, der gefühlt nicht länger als ein Wochenende dauerte, denn er mündete schlagartig in einen schier unendlichen, unerträglich heißen Sommer. Wir erlebten den Klimawandel live, HD und in Farbe. In sehr trüben Farben! Die Wiesen färbten sich gelb, als die Nordhalbkugel regelrecht ausdörrte.
Aber selbst das vermochte die Masse nicht aufzuschrecken. Für die Schlafschafe spielte es wohl keine Rolle, ob das Gras nun grün oder gelb ist, solange das Gras auf der anderen Seite des Zauns genauso aussieht. Trotz massiver Ernteausfälle konnten die Supermärkte weiterhin ihre Regale mit frischen Lebensmitteln auffüllen — teils durch Subventionen. Und zum Glück bekamen Städte wie Hamburg, die nur eine Woche von einer Wasserknappheit entfernt waren, im letzten Moment noch den nötigen Regenschauer ab.
Und so wurde in Deutschland wie in anderen Teilen der Welt weiterhin gegrillt, mit SUVs durch die Stadt geheizt und wochenendweise mit dem Flugzeug kreuz und quer durch die Weltgeschichte geflogen. Von Reflexion und dem Erkennen der Zusammenhänge zwischen der unerträglichen Hitze und dem eigenen Verhalten — Fehlanzeige! Bis zu der Erkenntnis — die bekanntlich ja der erste Schritt zur Besserung ist —, dass wir tatsächlich einen Klimawandel erleben, ist es für viele noch ein weiter Weg. Denn mit dieser Erkenntnis fällt die Legitimation für den eigenen ignoranten, entfremdeten Lebensstil!
2018 hat sich das Klima erhitzt: Ökologisch wie sozial!
Hoffnung
Unsere Rubikon-Mutmach-Redaktion wird 2019 allerhand zu tun haben — das steht fest!
Manch einer wird sich genötigt sehen, seinen Silvester-Sekt mit Betablockern zu mischen. Wie können wir mit Hoffnung in die Zukunft blicken? Hoffnung schöpfen, wenn wir fürchten müssen, dass die Knalle und der feuerrote Himmel um Mitternacht des Neujahrestags nur ein Vorgeschmack seien könnten? Was können wir nach einem derart desolaten Jahr 2018 von einem Jahr 2019 erwarten? Ein Jahr, an dessen Horizont dunkle, wie schwarze Felsen aussehende Wolken aufziehen, in denen vielleicht so mancher das Gesicht von Friedrich Merz zu erkennen glaubt.
Viele scheinen aus dem Jahr 2018 nichts gelernt zu haben. Deutlich wird das teilweise bei der Sammelbewegung #aufstehen, in deren Facebook-Gruppen sehr viele User wieder in das Muster verfallen, Links, Artikel und Videos zu teilen, bis der Arzt, aber nicht der Wandel kommt. Dass viele die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben, wurde insbesondere beim Thema Klimawandel deutlich.
Nach diesem Jahreswürgblick, bei dem rausgewürgt wurde, was rausgewürgt werden musste, können wir — ähnlich wie beim Kaffeesatzlesen — eine Symbolik in dem Erbrochenen suchen. Und tatsächlich sieht das Erbrochene aus einem bestimmten Winkel betrachtet wie ein lachender Smiley aus, in dessen Augen und Mundwinkeln das aufleuchtet, was viele von uns dieses Jahr errungen haben: Die Rettung des Hambacher Forstes!
Bei all den diesjährigen Niederlagen gibt es auch eine Siegesmeldung zu verzeichnen. An dieser müssen wir uns orientieren und auf ihr aufbauen. Was wurde dort richtig gemacht? Was hat dazu geführt, dass diese Aktion — an welcher #aufstehen maßgeblich beteiligt war — zum Erfolg führte?
Zum einen wurden ideologische Grenzen überschritten. Die Aktivisten ließen sich nicht durch Querfront-Vorwürfe spalten. Sie verstanden sich als die gleiche Menschen-Spezies, die für ihr Überleben kämpft und sich dessen gewahr ist, dass der Ökozid nicht vor paradigmatischen Grenzen Halt macht. Und zu guter Letzt — das ist entscheidend — kamen sie ins Machen, anstatt nur das Facebook-Profilbild mit einem „Hambi-Bleibt“-Rahmen zu verzieren.
Wir benötigen die von Antonio Gramsci geforderte Nüchternheit: „Pessimismus des Verstandes, einen Optimismus im Willen.“
Wir dürfen uns also nichts vormachen und eine rosarote Brille aufsetzen. Wir müssen deutlich sehen, welchen Herausforderungen wir gegenüberstehen. Gleichzeitig müssen wir an unsere Fähigkeiten und unsere Macht — denn wir sind nicht ohnmächtig — glauben, uns und damit am Ende die Welt zu verändern. Es liegt an uns, wie sich das Jahr 2019 entwickeln wird! Ob wir uns am 1. Januar die waghalsigsten Taten vornehmen, die bereits bis Februar wieder verpuffen, oder ob wir gemeinsam mit anderen ausdauernd, konsequent an konkreten und langfristig ausgerichteten Zielen arbeiten.
Kopf aus der Kloschüssel! Wir schaffen das!
Quellen und Anmerkungen:
(1) Zu Deutsch: „Und von Anfang an wusstet ihr, dass das anders war, denn es geschah in kleinen Dörfern, Marktstädten, und dann war es nicht mehr im Fernsehen. Es war auf der Straße draußen. Es kam durch eure Fenster.“