Dieser Hoffnungsquickie nährt sich aus Projekten und Inspirationen, die ich in meinem persönlichen Umfeld entdeckte. Seit ein paar Monaten treffe ich immer wieder Menschen, die eigene Visionen einer besseren Welt lebendig werden lassen. Wenn in meiner kleinen Filterblase um mich herum schon so viel passiert, wie sieht es dann weltweit aus? Vielleicht animiert mein persönlichster aller Hoffnungsquickies Sie, auf Projekte in Ihrem direkten Umfeld zu achten und sogar selbst aktiv zu werden — auf Ihrer Ebene?
Kunst heilt
Die Künstlerin Paola Cervoni betreibt mit der Vereinigung Viv‘arthe in Marseille das Projekt „Marseille Mosaïque“, ein künstlerisches Bürgerprojekt, das darin besteht, die längste Bank der Welt — an der Küste von Marseille — mit Mosaik zu verkleiden. Die Kinder und Erwachsenen, die bereits daran teilnahmen, wissen nun, dass sie gemeinsam in der Lage sind, dem grauen Beton Farbe zu geben!
Paola Cervonis Prozess hilft ihnen, sich zu „transformieren“: Zuerst kommt das Zerbrechen, um das Material vorzubereiten. Ob Teilnehmer 5 oder 90 Jahre alt sind, die Künstlerin drückt ihnen eine Zange in die Hand. Damit bereiten sie die Stücke vor, lernen sie zu schneiden — was später die Beschaffenheit des Mosaiks ausmachen wird — und bauen dann Stück für Stück mit Geduld das Design zusammen, das sie sich ausgedacht haben.
2004 absolvierte Paola Cervoni eine Ausbildung zur Kunsttherapeutin und ließ diese in ihre Leidenschaft für Mosaik einfließen. Nach 9 Monaten intensiver Forschung brachte Viv‘arthe die Kunsttherapie in verschiedene Institutionen wie Schulen, Altenheime und Behindertenzentren. Einige Kunstwerke schmückten die Wände dieser Einrichtungen.
Paola Cervonis Arbeit verbreitete sich in den Straßen und nördlichen Vierteln von Marseille. Die Wände und der Beton regten die Fantasie der Mosaikkünstlerin an, die immer größere Mosaike entwarf, damit sich die Menschen in Marseille in einem kollektiven Werk vereinen können.
Die kollektiven Fresken begannen in Schulen, dann in den Straßen, den Anti-Lärm-Wänden, dann kam „Marseille Mosaique“, das Mosaik für die längste Bank der Welt: 1.200 Meter Banklänge zum Ankleiden! Meine Freundin Axelle ist mit Paola befreundet und erzählte mir von ihr:
„Ich habe Paola in diesen Workshops begleitet und es ist faszinierend ... Sie hat eine Ausdauer und einen Mut, die aus dem Rahmen fallen ... Ich kenne die Geschichte dieses Projekts und es ist nicht einfach. Jetzt möchte sie junge Jugendliche aus den Problemvierteln einstellen, um sie auszubilden und ihnen eine andere Zukunft zu bieten.“
Welch eine Inspiration. Menschen erleben sich selbst wieder als die Schöpfer ihrer Realität und verschönern gemeinsam ihre Stadt.
Kostenlose, nachhaltige Mode statt Fast Fashion, Umweltverschmutzung und Ausbeutung
Bei einem Feierabend-Bier in meinem Co-Working-Büro in Palma lernte ich Tara kennen. Mit ihrer Größe von ungefähr 1,80 Meter, ihrem ausgefallenen Stil und ihrer fröhlichen Persönlichkeit weckte sie sofort mein Interesse und ich begann den üblichen Small Talk, der bereits nach zwei Sätzen in ein begeistertes Gespräch über die Welt, die Medien und unsere Gesellschaft mündete.
Tara ist halb Niederländerin, halb Bosnierin und wuchs als Hippie-Tochter in Portugal auf. Ihre Mutter macht Mode, ihr Vater pflanzt Bäume. Und Tara kam die Idee zu einer App, die helfen soll, Textilmüll zu verhindern und zugleich auch ärmere Frauen in den Genuss zu bringen, sich modisch und vielseitig einzukleiden. Die einfache Logik: Warum leihen wir uns Kleidung nicht einfach untereinander aus, wie es Freundinnen tun? Desto größer das Netzwerk, desto mehr Auswahl.
Ich wollte unbedingt über Taras App schreiben und bin natürlich auch selbst dabei. Für diesen Hoffnungsquickie stellte ich ihr ein paar Fragen:
Elisa Gratias: Was ist mit den Daten in deiner App? Wird sie Daten von Nutzern sammeln und diese vielleicht verkaufen oder die Nutzer für die eigene Geschäftsmodellanalyse tracken?
Tara Van Ginkel: Wir haben definitiv nicht die Absicht, Daten von unseren Nutzern für irgendwelche Zwecke Dritter zu nehmen, allerdings werden wir irgendwann Mechanismen entwickeln müssen, die Menschen vor Diebstahl schützen, und möglicherweise wird eine ID-Verifizierung einer davon werden. Das heißt, wir werden Daten nur sammeln, um die Nutzer zu schützen und eine sichere Erfahrung zwischen den Ausleihenden zu ermöglichen. Kleiderschrank-Matchmaking ist eine Methode, die wir in unserer Community auf ihren Wert hin testen werden. Dafür würde ein Algorithmus entwickelt werden, der die Benutzer anhand einer Reihe von Merkmalen (Stil, Körperform und -größe, Standort ...) mit den besten „Kleiderschränken“ zusammenbringt, aber alle diese Informationen würden in Lender und nur für Lender aufbewahrt werden.
Ist es möglich, Investoren für ein Projekt zu finden, das versucht, den Konsum zu überwinden?
Diese Frage stelle ich mir auch. Ich weiß, dass sich die Menschen mehr denn je der Auswirkungen ihres Verhaltens auf die Umwelt bewusst und bereit sind, mehr für einen Service zu zahlen, der ihren Fußabdruck kleiner macht. Übermäßiger Konsum ist ein widersprüchliches Problem, die Industrie macht einen täglich durstig zu konsumieren, gleichzeitig wird mit Scham darüber gegeißelt, wie schlecht es ist.
Davon abgesehen konzentriert sich Lender darauf, das, was wir alle in unseren Kleiderschränken haben, aufzuwerten und als Tauschwährung zu nutzen. In dem Moment, in dem wir ein klares Monetarisierungsmodell entwickeln, glaube ich, dass Investitionen kein Problem sein werden.
Wie kamst du auf die Idee, diese App zu entwickeln, und wie fandest du den Mut, sie zu starten? Wie hast du die Entwicklung bis jetzt finanziert?
Ich starrte buchstäblich in meinen Kleiderschrank, gelangweilt davon und wütend auf mich selbst, dass ich das Gefühl hatte, nichts zum Anziehen zu haben. Ich bin die Tochter einer Modedesignerin: Mode und Kleidung waren schon immer Teil meines Lebens. Ich drücke mich jeden Tag durch die Art, wie ich mich kleide, aus.
Man kauft etwas Neues, trägt es und nach einer Weile ist das Hochgefühl vorbei und man hat ein schlechtes Gewissen. Also dachte ich, warum nicht das benutzen, was ich schon habe und stattdessen mit jemand anderem tauschen? Jeder hat bereits etwas, das einem gefällt. Was mir fehlte, war die Verbindung und das Vertrauen zwischen den Menschen. Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber ich habe so viele Gespräche wegen etwas begonnen, das ich trug, und ich fühle dasselbe für andere, also warum nicht sogar neue Freundschaften darüber schließen?
Ich würde nicht sagen, dass es Mut ist, ich würde sagen, es ist mehr eine Unruhe als alles andere. Ich habe die ganze Zeit Ideen und dies war diejenige, die für mich am meisten Sinn gemacht hat. Die Finanzen sind im Moment eine knifflige Sache, ich habe im Moment verschiedene Einnahmequellen geschaffen, die ich dann in den Lender für die Grundkosten übertrage. Aber am wichtigsten ist, dass ich sehr viel Glück mit den Leuten hatte, die mir bei der Entwicklung des Projekts geholfen haben, ohne sie wäre es nicht möglich gewesen.
Wird die App auf Englisch oder in verschiedenen Sprachen angeboten? Da ich für ein deutsches Publikum schreibe.
Für den Anfang wird die App in Englisch sein, aber wer weiß, wohin das noch führen kann ...
Ein paar Wochen später saß ich wieder beim Feierabend-Bier mit Tara zusammen. Wir hatten uns zwei Dosen im Supermarkt geholt und auf eine Parkbank gesetzt. Sie war müde und zweifelte. Mit Nebenjobs finanzierte sie ihr Leben und die App, ohne zu wissen, ob sie jemals damit Erfolg haben würde. Und dann erhielt ich vor einer Woche eine SMS mit dem Link zum Anmelden. Es ist soweit: Lender ist online! Nun fehlen nur noch Menschen, die sie ausprobieren und sich eine neue, umweltfreundliche Liebe zur Mode angewöhnen. Ich bin begeistert!
Umweltschutz darf Freude machen. Seien wir so kreativ wie Tara und erfinden uns mit unseren Leidenschaften neu.
Tier- und menschengerechte Ernährung
Es war anstrengend. Sasha isst schon seit Jahren vegan und erklärte mir immer wieder, dass ich nur Ausreden vorbrachte, warum ich mich nicht vegan ernährte. Auch viele meiner Rubikon-Kollegen essen schon lange vegan und ich verzehre seit Ewigkeiten keine Fleischprodukte mehr.
Am Ende der Woche mit meiner Freundin war jedoch nicht mehr nur ihr, sondern auch mir klar, dass ich mir und meinen Werten und Idealen nicht treu bin, wenn ich Milchprodukte zu mir nehme. Und plötzlich war es soweit. Ein Kipppunkt war erreicht. Es kostete mich mehr Anstrengung, mein Wissen um die Tierquälerei bei der Milchproduktion zu verdrängen, als die Gewohnheit zu ändern, Käse zu essen.
Auf dem Biogemüsefeld, wo ich aushelfe, erzählte ich Omar, der sich um das Feld kümmert, von meinem Entschluss und er freute sich so sehr darüber, wie ich über die frisch gepflückten, selbst gepflanzten Tomaten. Wir sprachen über Tierschutz und auch über Ungleichheit.
Omar erzählte mir von Coanegra:
„Im Jahr 2010 beschloss eine Gruppe von Menschen aus Marratxí, Santa Maria und Sencelles, ein genossenschaftliches Projekt für landwirtschaftliche Produkte zu starten. Die globale Krise hat sie zu der Überzeugung gebracht, dass es notwendig ist, für ein neues Wirtschafts- und Sozialmodell zu arbeiten und nach neuen Wegen zu suchen, um auf der Grundlage von Werten wie Nachhaltigkeit, Gesundheit, Solidarität und Gerechtigkeit zu produzieren und zu konsumieren. In seiner ‚botiga d‘Es Figueral‘ finden Sie neben einer exquisiten Behandlung auch biologische Produkte aus eigenem Anbau. Auch lokale und saisonale Produkte.“
Omar sagte, manches Gemüse dort sei biologisch angebaut, aber habe die strengen Zertifikate nicht erhalten. Es wird zum Preis von nicht biologischem Gemüse, also viel günstiger, verkauft. So können sich auch einkommensschwächere Familien gesünder ernähren.
Mein Herz schlägt jedes Mal höher, wenn ich von einem Projekt höre, das Menschen gemeinsam aufbauen, um sich und anderen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen, das unseren Lebensstil mitwelt- und menschenfreundlicher macht. Der Segen der kleinen Schritte.
Auch Omar selbst ist eine inspirierende Person: Mit nur 27 Jahren versucht er sich nun als selbstständiger Biolandbauer und lernt beständig dazu, seit Jahren isst auch er vegan und interessiert sich für Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Außerdem gibt er mit seiner Band Konzerte und lebt somit ebenfalls privat seine Leidenschaft. Als wir am Freitag bei seinem ersten Open-Air-Live-Konzert nach dem Lockdown waren, gab es dort nur vegane Hamburger mit Pommes und ein Biobauer, der aussah wie ein Rocker aus dem Bilderbuch, verkaufte am Ausgang Biogemüse. Wie ulkig mit einer Kiste Gemüse vom Konzert in die nächste Bar zu gehen.
Meine Erlebnisse zeigen: Es gibt sie, die Menschen, die nicht als ignorante Konsumzombies vor sich hin vegetieren und jeden, der versucht, die Welt auch nur ein bisschen zu verändern, als Spinner oder Naivling abtun. Ohnmacht und ein Gefühl von Sinnlosigkeit überkommen mich immer wieder, wenn ich merke, dass viele Leute überhaupt keine Veränderung wollen. Die Rückbesinnung auf die kleinen Projekte und die Begegnung mit Menschen, die ihre Welt einfach selbst neugestalten, sind immer wieder ein gutes Heilmittel. Es kommt darauf an, wohin ich meinen Fokus lenke.
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