Von einer heilen Welt wird uns erzählt, in der Soldaten helfen beim Bauen von Brunnen und Mädchenschulen. Es ist eine verlogene Welt. Denn die deutschen Militärs in Afghanistan sind nichts anderes als Interventionisten; tausende Kilometer weit entfernt von ihrer Heimat.
Die deutsche Bundeswehr trägt zwar den Auftrag in ihrem Namen; eine Wehr für den Bund der als Bundesrepublik Deutschland konföderierten deutschen Staaten zu sein (a1).
Stattdessen vertritt die deutsche Armee sehr konkrete Interessen – wessen Interessen? Ihre, meine? Durchaus.
Warum lassen sich überhaupt Bundeswehr-Soldaten auf das Kriegsabenteuer in Afghanistan ein? Warum rebellieren sie nicht? Das Recht dazu haben sie.
Die Bundeswehr ist seit einigen Jahren eine Berufsarmee. In ihr dienen Söldner. Zwei Dinge sind es heutzutage, die uns einen Beruf ausüben lassen, wobei die Wichtung oder Kombination jeweils verschieden ist: Geld verdienen und Überzeugungen. Diese Überzeugungen rühren jedoch oft aus ideologischer Indoktrination. Das gilt auch für die deutsche Armee.
Ein sehr guter Bekannter ging Mitte der 1990er Jahre nach Jugoslawien, genauer gesagt nach Bosnien-Herzegowina. Seine Motive waren schlicht: Er hatte kein Geld und keine Arbeit. Der Auslandseinsatz bei der Internationalen Friedenstruppe für Bosnien und Herzegowina, IFOR, später SFOR (1), brachte ihm in wenigen Monaten mehrere zehntausend D-Mark ein. Für die damalige Zeit im Osten der Republik sehr, sehr viel Geld.
Als ich ihm nach seiner Rückkehr begegnete, fragte ich ihn, ob er einen solchen Einsatz – zum Zwecke des Geldverdienens – wiederholen würde. Seine Antwort war kristallklar: Nie wieder! Spätestens als er sich mit seiner Einheit in einem Gebäude plötzlich in einen Schusswechsel verwickelt sah und sein einziger „Schutz“ ein umgekippter Tisch war, hatte er diese Entscheidung getroffen. Er hatte sie für sich getroffen, für den Fall, dass er überhaupt lebend aus der Situation herauskommen würde. Und er fragte sich im Nachhinein – mittlerweile ohne das Wohlfühlsprech von Politikern in den Ohren – was er überhaupt in Jugoslawien mit einer Waffe in der Hand verloren hatte.
Wir dürfen den ganzen Schaum von Wortblasen aus Politik und Medien beiseite wischen, all die Lügen darüber, dass wir Deutschen in Jugoslawien „humanitär intervenieren mussten“. Dann erfahren wir, dass Deutschland – wie auch sein großer Seniorpartner, USA – ein großes Problem mit Jugoslawien hatte, das allerdings mit „humanitärer Verantwortung“ nicht im Geringsten in Verbindung stand. Dann wird uns klar, dass wir auch damals, nur wenige Jahre nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland, bereits das Völkerrecht mit Füßen und mit Stiefeln traten.
Auch in Bezug auf Afghanistan lässt sich von einer einzigen großen Lüge sprechen, die in unzählige kleine Lügen zerfällt und nun schon seit vielen Jahren häppchenweise an die Menschen verfüttert wird. Die zum Beispiel:
„Die Bundeswehr sollte in Afghanistan Wiederaufbau leisten. Davon ist kaum mehr die Rede – es herrscht Kriegszustand.“ (2)
Dass die Bundeswehr jemals nach Afghanistan entsandt wurde um „Wiederaufbau zu leisten“, ist eine dieser Lügen. Die westlichen Interventionisten, zu denen sich Deutschland zählen darf, führen dort vielmehr schlicht Krieg, um mit Gewalt Zielvorstellungen umzusetzen, die sich mitnichten mit denen der Mehrheit der afghanischen Bevölkerung decken (3).
Andere Quellen erzählten mir diese Geschichte:
Eine Einheit der Bundeswehr ist irgendwo im Norden Afghanistans – wohl in der Region Kundus – stationiert. Besser gesagt, hat sie sich in einem Stützpunkt verbarrikadiert. „Ausflüge“ in die Umgebung sind mit großen Risiken verbunden und daher limitiert. Das Land ist so befriedet, wie es das in all den 17 Jahren zuvor auch war: gar nicht. Es gibt Anschläge, auch und vor allem auf die Besatzer, auch auf die Bundeswehr. Die Soldaten stehen vor dem Lagerkoller. Dagegen hilft Stärke demonstrieren, Präsenz zeigen.
Also macht sich ein kleiner Konvoi in voller Kampfausrüstung, bestehend aus einem Schützenpanzer und weiteren gepanzerten Fahrzeugen auf den Weg in das nächstbeste Dorf und pflanzt sich dort martialisch auf dem Dorfplatz auf. Dort werden nun „Bewohner auf Waffen kontrolliert“, alles in einer hochgradigen Spannung, in der Erwartung, dass aus dem Hinterhalt ein Angriff erfolgen könnte. Eine explosive Spannung, die auch einen „Fehlalarm“ auslösen kann. Es ist viel Angst im Spiel. Diese Angst zeigt deutlich, dass die Soldaten sich darüber im Klaren sind, dass sie sich in Feindesland befinden. Sie wirken wie Eroberer – und sie sind es auch. Sie haben in diesem Land nichts zu suchen.
Da kann ein Soldat noch so gut psychologisch geschult sein, Konflikte und Eskalationen angemessen zu handhaben. Es ist eine Illusion, zu glauben, man sei damit auf Kriegssituationen vorbereitet. Kriegsverbrechen sind entweder möglich, weil Täter und Opfer so weit voneinander entfernt sind, dass die persönliche Bindung gegen Null tendiert. Oder aber man erlebt das Opfer-Trauma selbst oder erwartet es – und wird dann selbst zum Täter. Das sind keine Szenarien, die Menschen beliebig steuern können.
Vielleicht kennen Sie diese Filme über den Zweiten Weltkrieg, in denen die deutsche Wehrmacht innerhalb der besetzten Gebiete mit ihrem Militär auf zentralen Plätzen auffuhr, mit den Waffen im Anschlag, einfach um Stärke zu zeigen, um Macht zu demonstrieren, um die eigene Angst vor dem Gegner in den Griff zu bekommen und ihn somit einzuschüchtern. Dann wissen Sie, was ich meine. Die Mechanismen, die zu unkontrollierter Gewalt führen, waren auch damals nicht anders.
Auch die Bewohner eines Dorfes in Afghanistan werden sich so ihre Gedanken machen. Es ist wie im Irak, wie in Syrien. Die Menschen wissen, wer den Krieg in ihr Land gebracht hat und ihn am Leben hält. Sie sind nicht dumm. Die Taliban sind mit Sicherheit stärker akzeptiert als die fremden Besatzer. Die Taliban bekämpfen zum Beispiel auch sehr entschlossen den Islamischen Staat in ihrem Land – bei den fremden Besatzern sollten wir uns diesbezüglich nicht so sicher sein. Die Taliban sind ja auch nicht die internationale Söldnertruppe extremistisch-islamistischer Glaubenskämpfer von Mujahedins, die mit dem Geld und den Waffen der CIA und Saudi-Arabiens Ende der 1970er Jahre nach Afghanistan exportiert worden waren.
Die Bundeswehr führt – um eine weitere Lüge anzusprechen – nicht einen Krieg gegen den Terror in diesem Land, sondern sie führt Krieg gegen Afghanistan und dessen Menschen. Deutschland bricht damit auch dort das Völkerrecht (4).
Der Krieg Deutschlands gegen Afghanistan hat handfeste Grundlagen. Diese wurden, gerade rechtzeitig vor dem Ausrufen des „Krieges gegen den Terror“, in den 1990er Jahren geschaffen. Womit wir zu den tatsächlichen Motiven westlicher Interventionspolitik kommen (a2):
„Unverblümt definierte Rühe (damaliger deutscher Kriegsminister, Anmerkung des Autors) „die vitalen Sicherheitsinteressen”, zu denen auch wirtschaftliche – wie die „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung” – zählten.“ (5,6)
Nun ist es aber so, dass ein großer Part unseres Alltags genau auf dem „ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ basiert. So anmaßend wir auch Rühes Definition wahrnehmen mögen, spricht er trotzdem das aus, was wir „brauchen“. So gesehen vertreten deutsche Soldaten in Afghanistan also doch unsere Interessen. Sichern sie doch mit militärischer Macht ab, dass sich in jenem Land kein politisches System etablieren kann, das unseren – speziell wirtschaftlichen – Interessen nicht ausreichend Genüge tut (7).
Die gesalbten Worte deutscher Politiker, die in öffentlichen Reden geschwungen werden, klammern diese nüchterne Tatsache einfach aus, um das Narrativ vom guten Westen zu pflegen, der ein Land aus dem Mittelalter führt. Da unterscheiden sie sich nicht von den europäischen Kolonialisten vergangener Jahrhunderte. Sie reden den Krieg schön, geben ihm eine Scheinlegitimation. Sie betrügen sich und uns. Der ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist diesbezüglich ein exzellentes Beispiel (8).
Das ist der erste Schritt für den im Auftrag von Resolute Support tätigen Bundeswehr-Soldaten: Zu erkennen, warum er wirklich mit der Waffe in der Hand in einem Land patrouilliert, das Deutschland nie bedroht und das ihn, wie auch alle anderen Interventionisten, ebensowenig eingeladen hat, „zu helfen“. Gelingt ihm das, kann er sich selbst die Frage stellen, ob er das tatsächlich so will – und vielleicht eine grundsätzliche Entscheidung treffen.
Bitte bleiben Sie schön aufmerksam.
Anmerkungen:
(a1) Wieder einmal sind wir bei Sprache. Bundeswehr ist die Wehr des Bundes, dem Namen und Auftrag nach also eine Verteidigungsarmee des Bundes deutscher Staaten.
(a2) Es ist ein Jahrhunderte altes Rezept westlicher Expansion gewesen, die „legitimen Interessen“, also den unbedingten und „gerechten“ Zugang zu Ressourcen und Märkten hinter einem Wertekanon zu verstecken. Früher war es derjenige christlicher Werte, heute sind es die der „demokratischen Wertegemeinschaft“. So wie „deutsche Interessen“ in den verschiedenen von Macht gefütterten und sie bedienenden Nichtregierungsorganisationen in Konzepten zur Politikfähigkeit entwickelt wurden, hat man das in den USA schon vor vielen Jahrzehnten mit dem Grand Area Planning praktiziert.
(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden.
Quellen:
(1) 24.7.2012; http://www.spiegel.de/politik/ausland/bosnien-herzegowina-bundeswehr-beendet-einsatz-nach-17-jahren-a-846204.html
(2) 22.6.2009; https://www.welt.de/politik/article3970819/Die-harte-Wahrheit-wird-nicht-ausgesprochen.html
(3) 26.7.2010; Matthias Gebauer, Sebastian Fischer, Philipp Wittrock; http://www.spiegel.de/politik/ausland/task-force-373-die-dreckigste-seite-des-krieges-a-708507.html
(4) 3.11.2018; https://www.stern.de/politik/deutschland/bundeswehreinsatz-in-afghanistan-im-krieg—auch-mit-der-wahrheit-3444572.html
(5) 9.11.2003; https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/001976.html
(6) Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR) vom 26.11.1992, Punkt 18; zitiert nach: Jürgen Grässlin: „Lizenz zum Töten. Wie die Bundeswehr zur internationalen Eingreiftruppe gemacht wird“. München, 1997, S. 361, Punkt 8
(7) Nico Wingert; 16.3.2014; https://www.stern.de/politik/ausland/rohstoffe-in-afghanistan-wer-schmiergeld-zahlt–gewinnt-3396504.html
(8) 5.12.2014; Rede von Frank-Walter Steinmeier; https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/141205-bm-resolute-support-bundestag/267438
(Titelbild) Bundeswehr-Soldaten von Resolute Support; Autor: Koch (Bundeswehr); Datum: 23.1.2017; Quelle: https://www.bundeswehr.de; Resolute Support- Der Einsatz am Hindukusch