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Der Demokratie geht die Luft aus

Der Demokratie geht die Luft aus

Maßnahmen, um drohende Gefahren abzuwenden und zukunftsverträglich zu handeln, sind wohl erst nach einem Crash durchsetzbar. Fortsetzung des Beitrags „Finanzfeudalismus und Konzerne überfordern die Demokratie.“

Konkrete Weichenstellungen

An konkreten, systemkonformen Vorschlägen fehlt es nicht. Sie gelten jedoch als „politisch nicht machbar“, weshalb die Politikerinnen und Politiker sie gar nicht ernsthaft diskutieren:

  • Die Macht von Großkonzernen wird eingeschränkt, damit der Staat unabhängig regulieren kann: Das Wettbewerbsrecht wird verschärft, so dass Monopolstellungen und Kartellabsprachen auch dann verboten sind, wenn sie angeblich einen gesellschaftlichen Nutzen bringen. Fusionen werden nur erlaubt, wenn auf Teilmärkten keine marktbeherrschenden Stellungen entstehen. Whistleblower werden geschützt, auch wenn sie sich an die Medien wenden. Unternehmen und deren Verbände können ihre Interessen weiterhin im Rahmen von Vernehmlassungen einbringen. Sie dürfen aber keine Zahlungen mehr leisten an Parteien, Wahlen und Abstimmungen.
  • Der Gebrauch von nicht erneuerbaren Gütern der Natur wird kostenpflichtig: Diese Güter erhalten einen Preis, der mit zunehmender Verknappung steigt.
  • Kostenwahrheit und Verursacherprinzip bleiben kein Wunsch ökonomischer Lehrbücher mehr, sondern werden durchgesetzt. Wettbewerb ist nur fair und nützlich, wenn die Unternehmen möglichst keine Kosten mehr sozialisieren, das heißt auf die Allgemeinheit abwälzen können. Ein solcher Kosten-Sozialismus herrscht in erster Linie bei Energieträgern wie Erdöl, Kohle und Kernkraft, im Verkehr sowie in der Landwirtschaft. Die Subventionen werden schrittweise, aber konsequent abgebaut. Heute oder in Zukunft anfallende Kosten und Risiken werden in Rechnung gestellt oder es wird eine Haftpflichtdeckung verlangt, wie sie jede Autofahrerin und jeder Autofahrer heute vorweisen muss.
  • Keine Großbank und kein Konzern darf „too big to fail“ sein: Die großen Risiken einer Pleite dürfen nicht mehr die Steuerzahlenden tragen. Bis das ungewichtete Eigenkapital von Großbanken 25 Prozent der Bilanzsumme (inklusive Staatsanleihen) erreicht, dürfen sie keine Dividenden auszahlen. Denn solange Banken ein Zehn- oder Zwanzigfaches an Krediten schaffen können, als sie Geld haben, bleibt das Bankensystem instabil und eine Gefahr für die Realwirtschaft. Das Einführen von „100-Prozent-Money“ oder von Vollgeld ist ernsthaft zu prüfen.
  • Unkontrollierte Schattenbanken wie Hedgefonds werden strikt reguliert, damit Banken die Eigenkapital-Vorschriften nicht umgehen können: Rund ein Viertel aller weltweiten Finanztransaktionen laufen heute über Schattenbanken. Die Verschiebung von Risiken in die Schattenbanken sei „die größte Gefahr für die Finanzstabilität“, warnte Goldman-Sachs-Vizepräsident Gary Cohn.
  • Kreditausfallversicherungen, sogenannte CDS, werden nur noch zugelassen, wenn tatsächlich ein vorhandener Kredit versichert wird. Reine Wettgeschäfte, welche die große Mehrheit des CDS-Handels ausmachen, werden verboten.
  • Das risikoreiche Investmentbanking muss in unabhängige juristische Personen verlagert werden. Der Eigenhandel, also Börsenspekulationen der Banken auf eigene Rechnung, wird verboten.
  • Das Schuldenmachen wird nicht mehr gefördert: Unternehmen und Private dürfen Schuldzinsen bei den Steuern nicht mehr in Abzug bringen, wie dies in Schweden schon seit Ende der Achtzigerjahre der Fall ist.
  • Eine radikale Steuerreform als einfachste und wirkungsvollste Kursänderung, die der Zürcher Vermögensverwalter Felix Bolliger vorschlägt (1) und vom Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney unterstützt wird: Das schrittweise Einführen einer Mikrosteuer von bis zu 2 Promille auf alle elektronischen Geldtransaktionen, zum Beispiel 1 Promille je Belastung und Gutschrift. Mit den Einnahmen kann man zuerst die viel höhere Mehrwertsteuer ersetzen und dann sämtliche anderen Steuern. Auch kommende Lücken bei den Renten wären damit leicht zu finanzieren. Eine Mikrosteuer auf alle Geldtransaktionen hat folgende Vorteile:
  1. Das unproduktive Wettcasino mit dem Hochfrequenzhandel verlagert sich weg ins Ausland.
  2. Die Realwirtschaft wird finanziell und administrativ stark entlastet, weil tiefere Steuern, einschließlich der Sozialabgaben, und das einfache Erfassen den Unternehmen einen erheblichen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
  3. Der Staat wird entlastet: Steuerbetrug, Steuervermeidungstricks und Steuerkriminalität werden praktisch unmöglich gemacht.
  4. Die automatische Mikrosteuer verschiebt die Steuerlast auf viel breitere Schultern: Es würde in Deutschland nicht mehr ein Bruttoinlandsprodukt von gut 3 Billionen Euro besteuert, sondern die mindestens 300 Billionen des Zahlungsverkehrs mikrobesteuert. Dies unter der Annahme, dass ein Teil der spekulativen Casino-Finanzgeschäfte inklusive des Hochfrequenzhandels ins Ausland „fliehen“ wird.
  5. Wer mehr Geld ausgibt und verschiebt, zahlt mehr Steuern. Die Zeit der Milliardäre und Millionäre, die keine oder kaum Steuern zahlen, ist vorbei.
  • Vermeidung von Arbeitslosigkeit: Wenn die Bedürfnisse der Bevölkerung mit weniger Erwerbsarbeit befriedigt werden können, ist dies zu begrüßen. Es ist falsch, einen angeblich „zu schwachen“ Konsum mit finanziellen Anreizen und mit unzweckmäßiger Werbung anzuheizen. Um die verbleibende Erwerbsarbeit besser aufzuteilen, braucht es finanzielle Anreize. In Zeiten drohender Arbeitslosigkeit sind Arbeitgebende zu belohnen, welche die Arbeiten auf mehrere Erwerbswillige verteilen. Arbeitslosigkeit ist die schlechteste Form von Teilzeitarbeit.
  • Karenzzeit für hohe Beamte: Bei ihnen wird eine große Motivation vorausgesetzt, dem Allgemeinwohl unabhängig zu dienen. Sie sollen als Karriereziel nicht einen noch besser bezahlten Posten außerhalb der Verwaltung anstreben. Deshalb gilt eine Karenzzeit von wenigstens zwei Jahren, bis sie einen branchenverwandten Job in der Privatwirtschaft annehmen dürfen.
  • Transparenz als eine Voraussetzung demokratischer Mitsprache: Das Öffentlichkeitsgesetz ist nach dem Vorbild des „Freedom of Information Act“ in den USA zu erweitern.
  • Werbung im Dienste der Konsumierenden: Werbung soll die Öffentlichkeit über Vorteile im Vergleich zu andern Angeboten informieren, damit die Konsumierenden ihre regulierende Rolle in der Marktwirtschaft wahrnehmen können. Deshalb soll nur vergleichende Werbung erlaubt sein, die dem Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb unterstellt ist. Falsche und irreführende Aussagen in der Werbung müssen nach gleich strengen Kriterien geahndet werden können wie Aussagen in den Medien.

Für fast alle dieser Maßnahmen finden sich keine politischen Mehrheiten, weil der Einfluss der Finanzindustrie und der Konzerne zu groß ist. Allerdings sollten sich weitsichtige Ökonomen und Politiker schon heute damit befassen, wie eine Zukunft ohne Schuldenkrisen, ohne ökologische und soziale Ausbeutung und ohne eine Machtanballung bei internationalen Konzernen gestaltet werden kann.


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Urs P. Gasche, urs.p.gasche@infosperber.ch, Mitglied der Redaktionsleitung Infosperber; Präsident des Stiftungsrats SSUI (Schweizerische Stiftung zur Förderung unabhängiger Information)


Quellen:

(1) Infosperber vom 18.2.2016

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