Die Lage sei, so betonte Merkel zugleich, sehr ernst und die Deutschen müssten sie ernst nehmen. Zuvor hatte sich schon Bundespräsident Steinmeier ähnlich geäußert und forderte die Bevölkerung auf, jetzt besonnen und vernünftig zu handeln.
Die zum ganzen Vorgang lange schweigende Kanzlerin, ansonsten Verfechterin der Alternativlosigkeit zum Bestehenden, hatte zuvor schon angekündigt, dass man von Regierung wegen einen „Schutzschild“ gegen die Bedrohung errichte, niemand im Stich gelassen würde und alle jetzt solidarisch sein sollen. Das klingt ähnlich, wie ihr 2015 in der Flüchtlingskrise allzu leichtfertig lanciertes Motto des „Wir schaffen das!“, das sie in der Folge nicht aufrechterhalten konnte, denn sie hatte die Tragweite ihres Satzes gar nicht mehr selbst in der Hand.
Was dann „geschafft“ wurde, war die Aufrichtung eines „Schutzschildes“ zur koordinierten europäischen Flüchtlingsabwehr mit eigener Frontex-Polizeiagentur und dem per EU-Deal bezahlten Grenzhüter zu Land, dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan. Front-ex, das bedeutet weg von der Grenze!. Wir scheinen gut zu sein im Aufrichten von Schutzschilden gegen Menschen und allesmögliche. Doch den heimtückischen Eindringling Coronavirus scheint dies bislang wenig bis gar nicht abzuhalten.
Und sei es, dass gegen die Verbreitung des Erregers jetzt mit drastischen Methoden und Maßnahmen vorgegangen werden soll, wie etwa Eingriffen in die öffentliche Ordnung und garantierte Grund- und Freiheitsrechte des Individuums. Wir sind nicht nur in einem Krieg, sondern befinden uns auch wie viele Länder der Welt in einem nationalen Not- und Katastrophenfall, im Ausnahmezustand, was offenbar medizinisch-seuchenhygienisch wie politisch zu weitreichenden Schritten dagegen zu legitimieren scheint. Die Menschheit sozusagen in einer „Gegenoffensive“, diesmal nicht mit Panzern, Raketen und Truppen, sondern mit autoritativer Administration und erlassenen Verboten, um- und durchgesetzt durch Polizei und an den Grenzen Bundespolizei. Der offene Schengenraum ist tot, jeder hütet wieder seine eigenen Grenzen und koordiniert sich darin bei Bedarf mit anderen.
Militärisch ist man derzeit dabei, die mobilisierten Truppen für die großangelegte US-NATO-Übung „Defender Europe 20“ in diesem Frühjahr kontrolliert zurückzuziehen und das Manöver in Mittel- und Nordeuropa vorzeitig zu beenden. Zig Millionen Euro Kosten sozusagen in den Sand von Truppenübungsplätzen gesetzt. Die Bundeswehr könnte je nach Lage das Antikatastrophen-Instrumentarien bald ergänzen, indem sie Seite an Seite mit Polizei und Bundespolizei notstandsmäßig in Aktion tritt. Reservisten hat man vorsorglich schon mobilisiert.
Es ist ein beispielloses Szenarium, was derzeit vor den Augen von Bürgern und Bürgerinnen abläuft, deren Mitspracherecht offenbar auf ein Minimum reduziert ist. Es scheint die Stunde der Gesundheitsspezialisten mit ihren alarmierenden wissenschafts-statistischen Expertisen und von Volksvertretern zu sein, die ihnen nahezu aufs Wort folgen. Verwundern muss dabei allerdings, dass zumeist nur Virologen zu Wort kommen, die von Epi- und Pandemien wenig Ahnung haben. Während die Epidemiologen als die eigentlichen Experten meist außen vor bleiben. Es gibt weder ad hoc zu bildende Bürger*innen-Komitees noch irgendwelche Krisen-Räte aus der Bevölkerung, die miteinbezogen würden und mitzureden hätten.
Die Rechtslage von Einsprüchen ist kompliziert, auch weil viele Gerichte landesweit ihre Tätigkeit heruntergefahren haben. CSU-Ministerpräsident Söder ließ am vergangenen Sonntag (15.3.) im ganzen Land schnell noch eine Kommunalwahl durchziehen, bei der in den Wahllokalen alle hautnah allen begegneten, um dann am Tag darauf für ganz Bayern den Katastrophenfall mit landesweiter Quarantäne für fast alles auszurufen. So was nennt man einen Coup landen, über dessen Verantwortungsmaß man sehr geteilter Meinung sein kann. Vielleicht hätte im Fall einer verschobenen Wahl nach der Krise seine Partei weit schlechter dagestanden. Das katholischste Bundesland schließt Kirchen und Wirtshäuser, die zentralen pulsierenden Adern des Landes.
Von Tag zu Tag wird mehr reglementiert und eingeschränkt, wird Bewegungs- und Versammlungsfreiheit beschnitten und erheblich reduziert (zum Beispiel keine Demos mehr!). Fridays for Future demonstriert im Homeoffice-Modus, Greta Thunberg setzt sich in ihrem Mädchenzimmer auf den Boden und hält ihr Schulstreik-Plakat in die Skype-Kamera.
Wir werden sukzessive entmündigt, niemanden scheint das groß zu interessieren oder gar zu stören, ist doch alles nur zu unserem Schutz und allgemeinen Besten. Das Argument kennt man aus der Erziehung.
Unite with science (Vereint mit der Wissenschaft) ist das Fridays for Future-Gebot auch der aktuellen Stunde. Keiner will an der als „schwer“ eingestuften Lungenerkrankung Covid-19, die das neue SARS-Virus auslösen kann, aber nicht muss, erkranken, geschweige denn daran sterben. Das ist die momentane Ultima ratio sowohl der Vernünftigen als auch der Hamsterer. Notabene: Wir haben derzeit je nach Quelle, erfassten statistischen Daten und Zeitpunkten in Deutschland zwischen 8.200 und 12.000 Infizierte und mindestens 12 plus x gemeldete Verstorbene. 2017/18 gab es im Zuge einer weltweiten Influenza-Epidemie 43 Millionen Erkrankte, verstarben daran rund 1 Million Menschen, davon in Deutschland etwa 25.000!
Es gab damals keinen Notstand, keine Massenhysterie und keine Hamsterkäufepanik. Die Nation war hinlänglich mit anderem beschäftigt: mit schwieriger Regierungsbildung, Flüchtlings- und dann hausgemachter Regierungskrise in der neuen Großen Koalition. Fußball, Sport und öffentliches Kulturleben liefen unbeeindruckt weiter, da kaum jemand über die Epidemie genau informiert war, weil von höchster Stelle Informationen auch nicht ausgegeben und massenmedial verbreitet wurden.
Gegenüber solcher „Gewohnheitsepidemie“ sind wir allerdings jetzt in einer ganz anderen Lage, in dem wir es mit einer neuen gesundheitlichen Bedrohung zu tun haben, die uns aus allen Gewohnheiten rüttelt und in tiefe existenzielle Nöte zu stürzen scheint wie einst die Mittelalterseuchen Pest, Pocken oder Cholera, den häufigen Begleitern von Kriegen oder Hungersnöten, die wir für „besiegt“ halten. Es wird uns warnend vorgemacht, dass es bei jedem/jeder ums eigene Leben und Überleben geht, als kollidiere die Erde in einem halben Jahr unweigerlich mit einem Kometen oder Asteroiden aus dem Weltraum und könnte dies die Menschheit insgesamt oder einen großen Teil von ihr auslöschen. Vor etwa 65 Millionen Jahren war eine solche Gestirne-Kollision das Ende der Dinosaurier. Es gibt einen Begriff dafür in der christlichen Religion: Apokalypse, die Sekte der Zeugen Jehovas nennt es Armageddon, das Weltenende.
Die Hollywood-Filmindustrie griff die Bezeichnung auf und inszenierte danach im Verlauf von Jahrzehnten immer wieder Katastrophenfilme wie „Krieg der Welten“, „The Day After“, „Deep Impact“ oder „Independence Day“, die sagenhafte gute Kassen machten. Jedem/jeder seine/ihre Lieblingskatastrophe. Genossen vom Fernsehsofa oder Kinosessel aus. Jetzt scheint dies plötzlich zu einer Realität werden zu können wie in einem schlechten Alptraum.
Weltweit sind derzeit etwa 200.000 Menschen Corona-infiziert und verstarben über 8.000 Menschen an Covid-19. Das scheinen noch keine Zahlen, die einen vom Fernsehsessel hochreißen müssten. Jährlich sterben bei uns an den „Volkskrankheiten“ Herzinfarkt, Schlaganfall und Diabetes, an Übergewicht, oder Alkohol- und Nikotinsucht jeweils weit mehr Menschen. Das sind auch keine Zahlen, die Panik schüren und Angst-Hysterien erzeugen oder Notstandsmaßnahmen in großem Umfang erfordern müssten. Doch unsere kollektive, prägeschichtliche Programmierung auf „Katastrophe“ als etwas, das uns das Heft des Handelns völlig aus der Hand nimmt, und die Angst davor, ist nicht zuletzt o. g. „Science Fiction“ wegen eindeutig auf das derzeit angestrengte Szenarium fixiert.
Ironie im Fall „Krieg der Welten“ (nach einem Roman von H. G. Wells) ist, dass die übermächtigen, blutsaugenden Eindringlinge vom Mars ausgerechnet an simplen irdischen Mikroben und Bakterien in unseren Blutbahnen zugrunde gehen, die sie und damit ihre hochtechnische Apparatur, mit der sie die Menschheit zu vernichten suchen, zur Strecke bringen, ohne dass der Mensch aktiv etwas dazu vermocht hätte. Es gibt doch noch zuverlässige Verbündete.
Doch das SARS-CoV-2-Virus ist kein Verbündeter, sondern spielt ideal angepasst die Rolle der feindlichen Marsianer. Als stammte es aus einem der Labors biologischer Kriegsführung, wo mit Coronaviren schon lange experimentiert wird und entwickelte Stämme bereitgehalten werden, um einen Gegner eines Tages durch Seuchen zu dezimieren. Entwickelt und optimiert, um zu überleben und sich mithilfe zivilisatorischer Bedingungen, insbesondere der komplexen Netzwerkmechanismen und multiplen Wege der Globalisierung bis hin zum Massentourismus von alleine zu verbreiten. Alles hängt, alle hängen mit allem und allen zusammen, eine fatale Konstellation wie im gegebenen Fall. Ist das eine Gefahr, die so bisher niemand gesehen und bedacht hat?
Wir denken heutzutage, wir hätten alles im Griff, beherrschten die Natur von Grund auf. Doch Corona-Epidemie und Klimakatastrophe führen uns vor, dass es Mächte und Kräfte gibt, die vielmehr uns im Griff zu haben scheinen.
So gesehen und verstanden ist Corona auch eine Art von Strategie der Natur, gegen die Zivilisation zurückzuschlagen. In der Bibel schickt ein strafender Gott die Plagen und Seuchen, um die Menschen zu einer Einsicht in ihr „sündhaftes Tun“ zu bringen und zur Umkehr auf den rechten Weg zu bewegen, abzulassen vom Götzen Baal, von menschlicher Anmaßung und Hybris. Sodom und Gomorra. Quasi nach dem Motto, wer nicht auf IHN hören will, muss fühlen, seien es nun die Sintflut oder eine Heuschreckenplage, die Ernten vernichtet wie derzeit im Osten und am Horn von Afrika. Die Botschaft der Bibel kann immer noch aktuell sein, es gilt sie richtig zu verstehen und deuten.
So lautet die biblische Botschaft aber auch, es ist uns aufgegeben, die Schöpfung und damit die Natur zu erhalten, machet euch die Erde untertan wird gesagt und wie wir das heute verstehen müssen, heißt das nicht, sie zu beherrschen, gnadenlos auszubeuten und alle bis in jeden Winkel zu missionieren. Sondern nachhaltig zu bewahren und erhalten, Säer, Kultivierer und Ernter in einem zu sein, sonst gibt es bald nichts mehr, was uns „untertan“, das heißt Basis für unsere Existenz sein könnte.
Eng verbunden mit dieser biblischen Weltethik ist auch die Conditio humana, verdeutlicht etwa im Kantschen Imperativ des Zieles allgemeinen sinnvollen Handelns des einzelnen zum Wohle aller oder in Rousseaus Contrat social, was letztlich nichts anderes ist als der Generationenvertrag. Kein geringerer als der betagte katholische Theologe Hans Küng hat uns dies mit seinem ökumenischen Begriff des Weltethos der Religionen vor Augen geführt.
Der Befreiungstheologe und ehemalige Franziskanerpater Leonardo Boff hat dies in den befreiungstheologischen Kontext übersetzt, zum Beispiel in seinem Werk „Tugenden für eine bessere Welt“ (publik-forum edition 2009). Darin sind und erörtert er als die zentralen Begriffe Gastfreundschaft, Zusammenleben, Respekt, Toleranz, Tischgemeinschaft und ein Leben in Frieden. Autonomie, Egalität, Freiheit, Erlösung aus der Sklaverei (auch durch ein Virus) sind Elemente der Emanzipation des Menschen in der Bibel, die sich als „Große Erzählung“ trifft und vereint mit anderen weltlichen Großen Erzählungen, die das Ziel der Befreiung, Gleichheit und Solidarität auf ihre Fahnen geschrieben haben.
Was wir aber am Beispiel von Corona erleben, steht dem in vielem entgegen. Es wird kein Frieden gelebt, sondern gesellschaftlich Krieg vorbereitet und praktiziert. Es wird Feinderklärung betrieben und „soziale Distanz“ (Social Distancing) gefordert und propagiert, um vermeintlicher Ansteckung mit dem Virus vorzubeugen. Doch hat das Virus potenziell jeder Nächste? Wohl kaum, bei den Zahlen.
Kirchen werden geschlossen, Gottesdienste verboten. Papst Franziskus geht durch Roms menschenleere Straßen, betet am Pestkreuz einer Kirche und fleht Gott um Verschonung durch die Virusgeißel an. Das Gebet, die Zwiesprache des Menschen mit Gott, müssen die Menschen jetzt vereinzelt in Quarantäne zuhause abhalten. Die lebendige liturgische Gemeinschaft ist aufgehoben bzw. es gibt sie noch virtuell. Der innere Bereich der islamischen Kaaba in Mekka, normalerweise mit Zehntausenden Gläubigen und Pilgernden dicht gedrängt belebt, ist leergefegt wie ein Betriebshof am Freitagnachmittag. Jesus verkehrte mit den Aussätzigen, Armen und noch anderen schwer Kranken und Gezeichneten und er trug keinen Mund- oder Atemschutz.
Einige befreite der Heiler und Exorzist Jesus sogar von ihrer großen körperlichen und seelischen Not. Der auf dem Wasser wandle, vertraue auf Gott. Komm Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast, heißt es im christlichen Tischgebet. Teilen mit anderen ist gemeint, was an Nahrung für alle reichlich und wundersam da ist: ein paar wenige Brote und Fische, die die vielen Tausend um Jesus Versammelten satt machen, so dass noch körbeweise Reste übrig bleiben –, nicht Regale leerzuräumen und zu raffen. Gier ist christlich gesprochen eine der Todsünden.
Aber diese Anderen sind uns in einer immer anonymeren Alltagswelt mit der Zeit immer fremder geworden, das zeigt auch der Umgang mit dem Flüchtlingsthema. Flüchtlings- und Coronakrise hängen in gewisser Weise eng miteinander zusammen. Es ist die gleiche zugrundeliegende Abwehrhaltung gegenüber dem „Fremden“. Gewiss, wir müssen uns (und andere!) in einer Ausnahmesituation schützen, die Infektionsketten unterbrechen, das sei alles hier nicht in Frage gestellt.
In Frage steht allerdings vieles davon, wie dies und mit welchen Mitteln rigoros umgesetzt und erreicht werden soll. Muss man dieses Schutzdiktat einfach so hinnehmen? Was rechtfertigt solche einschneidenden Maßnahmen wie gegenwärtig, den Ausgang zu verbieten bzw. stark einzuschränken, Schulen und Kindergärten zu schließen (nur Produktionsbetriebe schließt man staatlicherseits nicht, da dürfen sich die Leute weiter gegenseitig anstecken), Massenquarantänen zu verhängen –, ohne darüber noch nachzudenken, warum dies so sein muss. Solidarität und Abschottung durch Social Distancing passen nicht zusammen. In einer Reihe von Städten haben 23 von 102 sozialen Tafeln ihre Tore geschlossen. Teilweise gibt es Notdienste.
Es wird nicht umfassend, breit und differenziert über die Zusammenhänge des Virus informiert und berichtet. Die völlig vermischten Themen in den „Corona-TV-Talks“ sind immer wieder dieselben, drehen sich im Kreis, schüren oft noch die Ungewissheiten. Leere Publikumsreihen und weit auseinandersitzende oder per Video hinzugeschaltete Diskutanten demonstrieren optisch den Ernst der Lage.
Man fühlt sich erinnert an Szenen im SF-Film „Unheimliche Begegnung der dritten Art“: Wenn zur Abwehr von Massen an Schaulustigen und Störern der „Devil’s Tower“, ein markanter, steil aufragender Basaltklotz in der Landschaft von Wyoming, dessen tiefe Seitenfurchen im Fels der Teufel mit seinen Krallen gezogen haben soll, für die vorgesehene Begegnung der Regierungsvertreter mit Außerirdischen hermetisch abgeriegelt wird. Wozu man abschreckend die Lüge verbreitet, es herrsche an dem Ort eine für Mensch und Tier gefährliche Seuche.
Die Basis der Erkenntnisse und des Wissens der Experten über den unbekannten Corona-Erreger scheint selbst relativ gering zu sein. Elektronenmikroskopische Aufnahmen eingefärbter Präparate zeigen ein rundliches Gebilde umgeben von zackenartigen Fortsätzen, den Andockstellen für die Zellen wie bei den abstehenden Kontaktzündern einer Seemine, daher der Name Corona = Kranz oder Krone.
Wie sinnig sich dieses Bild aufdrängt: das Virus als hochexplosive Mine.
Das Virus unterminiert das Menschenrecht des Gesunden wie des Erkrankten auf menschenwürdige Arbeit, Bildung, Freiheit, Gesundheit und Muße. Diese ethischen Aspekte bleiben im öffentlichen Diskurs weitegehend außen vor.
Da geht es um leere Supermarktregale, fehlende Atemschutzmasken und die Frage, wie funktioniert ein Corona-Test. Man kann alles Notwendige an Information in Textdiensten von verschiedenen TV-Sendern kompakt und detailliert nachlesen oder sich über online-Portale besorgen.
Die bundesdeutsche APO-Linke hat vereint mit dem Widerstand von einzelnen Gewerkschaften und bestimmten Parteien in den 1960er Jahren einen erbitterten Kampf auf den Straßen und mit politischen Kundgebungen gegen die Verabschiedung der Notstandsverfassung geführt, die Sicherstellungsgesetze beinhaltet für Wirtschaft, Energie, Gesundheit, Verkehr, Ernährung, Wasserversorgung usw., darunter auch das Seuchenschutz-Gesetz, dessen Regime wir gerade aktuell erleben. Gedacht vor allem für den „Katastrophenfall“ (Atom-)Krieg und gegen Unruhen und Aufstände im Innern.
Der Hintergedanke war doch gerade, keine Gesellschaft zu wollen, die Militär braucht, um Kriege zu führen und deshalb die Bevölkerung auf Notstände vorbereitet als Folge von Kriegen. Kritischer Konsens war immer, man braucht für bestimmte Aufgaben Polizei, Feuerwehr, Technische Hilfswerke (THW), Rettungsdienste – also Zivil- und Katstrophenschutz – aber keine Pionierbataillone und Bergepanzer der Bundeswehr, um sie z. B. in einer Schneekatastrophe wie im Winter 1978/79 einzusetzen (das einzige Mal, dass sie zivil überhaupt gebraucht wurden). Schweres Berge- und Räumgerät können auch Feuerwehren und THW bereitstellen. Und dann gibt es auch noch Bagger, Kräne, Raupen, Lastwagen von ganz normalen Unternehmen.
Unter dem Rechtfertigungsaspekt von nationalem Notstand wird die Bundeswehr zum parapolizeilichen Ordnungs- und Exekutivinstrument. Auch jetzt wird die Armee wieder in die militarisierte Krisenbewältigung eingebunden, zunächst indem Kapazitäten der Bundeswehrkrankenhäuser zur Verfügung gestellt werden und Notkrankenhäuser in Hallen und Messegebäuden eingerichtet werden sollen, um einem postulierten Massenanfall mit Schwerstkranken zu begegnen, bei dem durch Triage (Einteilung nach Schwere der Erkrankung) zu rettendes von todgeweihtem Leben separiert wird.
Das Virus ist sowohl Symptom als auch Phantom. Symptom darum, weil es nicht seine eigene Ursache, sondern Folge von etwas, das dahinter liegt, ist. Symptom auch, weil es wie ein Indikator anzeigt, wie sehr wir durch Ausbeutung, Entfremdung und Profit- und Wachstumswahn in der Sackgasse einer „imperialen Lebensweise“ stecken und festgefahren sind, die die Monopole der Herrschenden dieser Welt den Menschen tagtäglich aufzwingen bis hin zur Massenversorgung mittels industrieller Billigproduktion von Gütern und Lebensmitteln.
Davon kann nun der Katastrophen-Diskurs wunderbar ablenken und die Menschen mit permanenter kleinteiliger Daseinsvorsorge beschäftigen. Hier greift das System der „schwarzen Pädagogik“: Du sollst nicht merken. Insofern offenbart die jüngste Merkel-Rede an die Nation trotz vorgetragener Sorge etwas grundsätzlich Heuchlerisches und Vernebelndes.
Die Menschen werden ihn alle neu zu schätzen wissen, den Kapitalismus, ist die Krise mit Millionen Erkrankten und Zehntausenden von Toten erstmal überstanden und wenn man wieder weitermachen kann wie zuvor. Wie die Finanzwelt nach ihrer Krise 2008/09. Zu fragen wäre doch: Wie kann ein mikroskopisch winziges Virus mit einem einzigen simplen Exponential-Algorithmus eine ganze Welt lahmlegen? Eine Welt, die offenbar nicht mehr fähig ist, sich selbst zu regulieren, die nach dem Prinzip der Kettenreaktion funktioniert. Und bei einem „Fehler im System“, denn nichts anderes verkörpert das Virus, nur noch mühsam notreguliert werden kann, indem Prinzipien der Demokratie und des Humanen eingeschränkt und ausgeschaltet werden.
Es ist dasselbe Prinzip, das bei einer Übung die Notabschaltung des überkritischen Reaktors von Tschernobyl in jener Nacht zum 26. April 1986 durch unerfahrene Ingenieure scheitern und den Super-GAU auslösen ließ. Das Virus straft jegliches Reden über einen freien Markt, der alles zu regeln vermag, der Lüge. Der in Wahrheit deregulierende Markt wird im Viruskrisenfall, der auch die Wirtschaft nicht verschont, stillschweigend transformiert in ein staatliches Regime der Anordnungen und Weisungen im Rahmen einer gigantischen globalen Notfallübung. Sogar ein Erzliberaler wie der FDP-Chef Lindner regt davon offenbar angetan an, hinderliche föderale Strukturen und Elemente der Entscheidungsautonomie des politischen Systems der BRD zu überdenken. Dem muss entschieden widersprochen werden!
Das Virus ist zugleich Phantom, weil es nicht wie ein Ding zu greifen und zu besiegen ist. Wie Don Quichote im Kampf gegen die Flügel der Windmühle, die wohl eher nur in seiner Einbildung existierten. Er schaffte es, damit immerhin eine der bedeutendsten Allegorien der Weltliteratur zu kreieren. Sinnbild der Vergeblichkeit. Wie der bergan gewuchtete Stein des Sisyphos, der dem Götterverdammten immer wieder neu entgleitet und bergabrollt, um von neuem die Sisyphosarbeit zu beginnen. Sinnbild des Absurden.
Wie der Kampf des Dr. Rieux gegen die Seuche in Camus‘ Roman „Die Pest“. Wir lehnen uns auf gegen das Virus, wir revoltieren gegen seine vermeintliche Zwangsläufigkeit, gegen seine Sinnlosigkeit und Grausamkeit. Wir sind die Eingeschlossenen in Sartres „Die geschlossene Gesellschaft“. Wir fühlen uns ausweglos und ausgeliefert wie in Marlen Haushofers Roman „Die Wand“. Wir kommen nicht mehr raus, niemand kommt mehr rein. Wir sind hermetisiert.
Wir müssen mit wachem, kritischem Grundverhalten sehen, merken und untersuchen, wie die Dinge in einem „Diskurs der herrschenden Ordnung“ ablaufen, sich selbst organisieren und von den Regierenden organisiert werden: Um es nochmal klar zu sagen: Es geht nicht darum, das, was jetzt vom hygienischen Schutzaspekt her ernst zu nehmen wäre, leichtfertig nicht ernst zu nehmen und keine oder nur unzureichende Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Aber man muss dies zu trennen wissen vom diskursiven Beiwerk der Ein- und Verkleidungen der Thematik, von dem, was damit ideologisch transportiert wird und werden soll: nämlich grundsätzliches Vertrauen in den Staat und die bürokratische Exekutive auf Länder- und Bundesebene zu haben; in die zahlreichen Medienbotschaften; in die Meinungen und Empfehlungen der „Experten“, die im Grunde nicht viel mehr „wissen“ und genauso spekulieren wie Otto und Erna Normalbürger*in, nur sind sie „anerkannter“, indem sie sich erklärtermaßen auf „wissenschaftliche Studien“ berufen. Science rules us (Wissenschaft beherrscht uns).
Man sollte lieber den eigenen Verstand mehr benutzen und Vernunft oder besser gesagt Skepsis walten lassen, denn Vernunft ist an sich schon wieder eines dieser fraglichen Axiome. Vernunft und Aufklärung – die scheinbar unwiderlegbaren Doktrinen der Moderne.
Und dennoch verband sich machiavellistisches Staatsdenken mit der Ideologie und Zweckratio von Macht und Herrschaft, gab es Diktatoren wie Napoleon, Stalin, Hitler, den Holocaust und die Atombombe.
Der französische strukturalistische Philosoph Michel Foucault (1926-1984) kritisierte Vernunft und Ratio in seinen Werken über die „Archäologie des Wissens“, die „Analytik der Macht“, „Die Ordnung der Dinge“, in seinem dreibändigen Hauptwerk „Sexualität und Wahrheit“ und in seinen Untersuchungen über „Wahnsinn und Gesellschaft“, „Überwachen und Strafen“ sowie „Gouvernementalität I/II“. Der homosexuelle Gelehrte, Medizin-, Diskurs- und Machtkritiker starb kurioserweise an der Immunschwäche Aids. Seine Relektüre sei hier ausdrücklich empfohlen.
Jedes menschliche Phänomen, jedes soziale und kulturelle Ereignis offenbart etwas über den Charakter und die innere Verfassung des individuellen und sozialen Kontextes, in dem Sprechen und Handeln dazu stehen. Im Fall der Coronakrise ist dies der tiefe Einblick in die Anfälligkeit und Fragilität komplexer Systeme, ihre Zusammenhänge und Funktionsweisen wie z. B. Globalisierung, Welthandel und Weltverkehr bis hin zum widersinnigen Kreuzfahrt-Tourismus.
Dezentrale und regional verwobene assoziative Wirtschaftsstrukturen ohne Koppelung an Spekulationsbörsen und an wirklichen Bedarfen ausgerichtet, wären von den Auswüchsen und Zwängen der „überentwickelten Nationen“ (Leopold Kohr) weit weniger betroffen und heimgesucht.