Zu sagen, was ist, bleibt die revolutionärste Tat.
In seinem Beitrag bei KenFM „Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags im Fokus der Kritik. Rufe nach dem Verfassungsschutz“ kommentiert Rainer Rupp die politisch wertvolle Einschätzung dieses Gremiums zum russischen Einsatz in Syrien. Wertvoll, weil sie sich mit der Ansicht der politischen Linken deckt, „dass Russlands Militäreinsatz dort im Einklang mit dem Völkerrecht steht, während die USA (und damit auch ihre westlichen Hilfstruppen, einschließlich der Bundeswehr) gegen das UN-Gewaltverbot verstoßen, also das Völkerrecht brechen.“
So erfreulich diese Aussage ist, so muss man andererseits auch feststellen: Glück gehabt! Denn was wäre gewesen, wenn der Wissenschaftliche Dienst zu einer anderen Einschätzung der rechtlichen Situation gekommen wäre? Hätten dann Linke und Befürworter des russischen Engagements dessen Einstellung gefordert, so wie man den Rückzug des Westens aus Syrien fordert? Das wäre doch dann die logische Schlussfolgerung gewesen. Oder hätte man den Bericht und sein Ergebnis unkommentiert gelassen, also sich genau so verhalten, wie man es den Hoheitsmedien vorwirft, nur umgekehrt?
Natürlich muss die politische Linke die Ansatzpunkte nutzen, mit denen Staat und Medien die eigene Sichtweise stützen oder deren Richtigkeit bestätigen. Und so sollte auch der Beitrag von Rainer Rupp verstanden werden. Andererseits aber kommt die politische Linke nicht umhin, in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung in erster Linie die eigenen Kräfte zu entwickeln, anstatt sich zu sehr den wechselhaften Launen der Nachrichtenlage zu überlassen.
Das bedeutet aber, dass sie selbst in solidarischer Diskussion, geprägt vom Ringen um Erkenntnis, eine Darstellung der gesellschaftlichen Vorgänge und Entwicklungen erarbeiten muss, die einerseits die Wirklichkeit verständlicher macht und sich andererseits auf die wirklichen Ereignisse und Fakten stützt. Unter den derzeit herrschenden Kräfteverhältnissen ist es nicht Aufgabe der politischen Linken, weltfremde oder nicht nachvollziehbare Forderungen aufzustellen, sondern sich um das Erkennen der Wirklichkeit zu bemühen und die gewonnenen Erkenntnisse in der Gesellschaft zu verbreiten. Um es mit den Worten Rosa Luxemburgs zu sagen: Zu sagen, was ist, bleibt die revolutionärste Tat.
Forderungen ersetzen keine Argumentation
Forderungen wie „Raus aus der NATO“ scheinen zwar revolutionär und sind sicherlich auch gut gemeint, entsprechen aber nicht den Möglichkeiten der politischen Linken. Angesichts der Kräfteverhältnisse klingt das mehr nach Selbstüberschätzung, ja fast schon lächerlich, als dass damit weite Kreise der Bevölkerung zu erreichen wären. Das bestätigen die Berichte über die nachlassende Teilnahme am Protest gegen Ramstein oder das hilflose Auftreten von Wagenknecht vor dem Brandenburger Tor anlässlich der Raketenangriffe der westlichen Staaten gegen Syrien im April dieses Jahres.
Die Aussichten auf die Umsetzung der eigenen Forderungen abhängig zu machen vom Anwachsen der Teilnehmerzahlen, ist Augenwischerei, solange man nicht in der Lage ist, die Erfüllung der eigenen Forderungen durch eigene Kraft zu erreichen statt durch den Appell an die Einsicht des politischen Gegners. Die politische Linke kann den Kräften hinter der NATO nicht zum Vorwurf machen, dass sie ihre eigenen Interessen verfolgen, nur weil ihr selbst dazu die Kraft fehlt und sie keinen Weg findet, diese Kraft aufzubauen.
Sich in Vorwürfen und Anklagen zu ergehen, verbessert nicht die Lage zugunsten der friedliebenden Kräfte. Im Gegenteil: der gesellschaftliche Einfluss der politischen Linken wird zunehmend schwächer, weil sie es unterlässt, einen eigenständigen, an ihren politischen Interessen und Möglichkeiten orientierten Standpunkt zu formulieren und zu vertreten.
Wirre und unverständliche Theorien und Forderungen mögen vielleicht als eigener politischer Standpunkt angesehen werden, machen aber die Wirklichkeit nicht verständlicher. Doch gerade darum muss es gehen, und leider hapert es daran oft am meisten.
Volksnähe ist das politische Gebot
Eine politische Linke muss politisch argumentieren, nicht juristisch, nicht moralisch und schon gar nicht wortradikal. Die Einstellung in der Bevölkerung zur NATO ist nicht aufzuweichen durch moralische Vorwürfe oder die ständige Betonung der Gefahr eines Dritten Weltkriegs. Die meisten Menschen wollen sich dieser Frage gar nicht stellen, so lange ihnen kein Ausweg aufgezeigt werden kann, der erfolgversprechend scheint.
Denn wie soll man das Leben genießen mit dem ständigen Gedanken an den drohenden Weltenbrand?
Denn es ist einfach nicht vorstellbar, dass es politische Kräfte geben soll, die so unvernünftig sind, einen atomaren Vernichtungskrieg führen zu wollen. Das scheint jeglicher Vernunft und Menschlichkeit zu widersprechen, und doch ist die Gefahr real, auch wenn sie noch so irreal scheint.
Was aber vermittelbar ist, sind die Kosten der Rüstung und der NATO-Mitgliedschaft. Obwohl nach den bekannten Fakten keine wirkliche Bedrohung besteht, werden die Rüstungsausgaben ständig ausgeweitet. Dabei rüstet „der“ Russe nachweislich nicht auf, sondern ab. Russland und China zusammen erreichen nicht das Militärbudget des Westens. Putin senkt nicht nur den Verteidigungshaushalt, sondern entwickelt im Gegensatz zur NATO Verteidigungswaffen statt Angriffswaffen.
Statt also die Angst vor den Angriffswaffen des Westen zu schüren, muss die Linke immer wieder auf diesen Widerspruch hinweisen und fragen, warum der Westen es den Russen nicht gleichtut. Das muss die Argumentationslinie der politischen Linken in dieser Auseinandersetzung mit den Kriegstreibern sein.
Trump brachte sogar trotz der nicht vorhandenen Gefahr eine Ausweitung der Rüstungsausgaben auf 4 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt ins Gespräch. Dabei wird doch ständig und überall auf die leeren Kassen verwiesen, wenn es um die Bedürfnisse der Bevölkerung geht, an allen Ecken fehlt es am Nötigsten. „Kämmerern fehlen 159 Milliarden vor allem für Schulen und Straßen“ meldete die FAZ am 17. Juli in ihrem Artikel „Kommunen melden riesigen Investitionsrückstand“.
Diesen Widerspruch muss die politische Linke immer wieder zum Thema machen und versuchen, den Unmut zu verfestigen.
Warum ist für Rüstung und Kriegsführung das Geld ohne Umschweife verfügbar, während zur Linderung der Wohnungsnot umständliche Gesetze verabschiedet werden, die wenig Erfolg bringen? Wieso wird das Geld für Waffen verplempert, statt das Elend an den Tafeln zu lindern, wo sich Bürger eines der reichsten Länder der Welt um Reste streiten müssen?
Über 300.000 Haushalten in Deutschland wurde der Strom abgestellt, weil sie sich die hohen Strompreise, die höchsten in Europa, nicht mehr leisten können. Statt Milliarden in die Rüstung zu stecken, muss die Linke dafür mobilisieren, dass der Strompreis gesenkt wird.
Das sind die Fragen, die gestellt werden müssen, volksnahe Fragen, die die Interessen der Menschen betreffen. Das sind die Probleme, die thematisiert werden müssen, anstatt durch Diskussionen über offene oder geschlossene Grenzen der Regierung die Ablenkung von diesen Fragen zu ermöglichen. Das sind die Ansichten, die Die Linke in die öffentliche Diskussion einbringen muss, will sie wieder Einfluss gewinnen auf das Denken weiter Teile der Bevölkerung. An diesen Interessen muss sie sich orientieren, nicht an moralischen Fragen, nicht an Scheingefechten auf der Ebene juristischer Rechthaberei.
Die politische Linke und das Völkerrecht
Man kann natürlich im Falle Syriens wie auch bei vielen anderen politischen Themen wie beispielsweise der „Annexion“ der Krim juristisch argumentieren. Das wird dann oftmals sehr spitzfindig und unverständlich, weil Juristensprache nicht gerade sehr volksnah ist (siehe dazu: Diskussion bei Linke Zeitung um die Rechtmäßigkeit des russischen Vorgehens auf der Krim https://linkezeitung.de/2018/06/02/es-gab-keine-annexion-der-krim/).
Natürlich spielt die juristische Argumentation eine Rolle, gerade wenn daran die Doppelzüngigkeit des Westens nachgewiesen und damit offengelegt werden kann, dass dessen politisches Handeln sich nicht nach Werten und Recht richtet, sondern in erster Linie nach den eigenen Interessen. Aber juristische Diskussionen tragen immer in sich die Gefahr, in Rechthabereien oder aber unverständliche Expertengespräche abzugleiten.
Will man aber die Bevölkerung erreichen, und darum muss es der politischen Linken gehen, wenn sie wieder an gesellschaftlichem Einfluss gewinnen will, muss man volksnah argumentieren.
Luthers Aufforderung, dem Volk aufs Maul zu schauen, sollte sich besonders die politische Linke zu Herzen nehmen. Das ist aber nicht damit zu verwechseln, dem Volk nach dem Munde zu reden.
Im Falle der Einlassung des Wissenschaftlichen Dienstes zum russischen Engagement in Syrien bedeutet das, diese als Bestärkung des eigenen Standpunktes aufzuführen, aber nicht als Grundlage der eigenen Argumentation. Denn es kann auch wieder anders kommen. Und die Gegner des russischen Engagements werden alles daran setzen, die Sichtweise des Wissenschaftlichen Dienstes zuerst in Frage zu stellen und dann nach und nach in Vergessenheit geraten zu lassen.
Verständnis in der Öffentlichkeit findet der Standpunkt, der bisher auch immer besonders vom Westen vertreten wurde, dass es das gute Recht eines jeden Staates ist, seine Souveränität und Integrität zu schützen. Dazu gehört auch, dass er sich nach eigenem Ermessen die Unterstützung sucht, die er dafür für angemessen hält. Das würde sicherlich jeder unterschreiben, solange es nicht konkret wird. Denn diese scheinbare Selbstverständlichkeit des Völkerrechts bricht sich an den konkreten Interessen des Westens in Bezug auf Staaten wie Nord-Korea, Iran, aber auch Syrien, ja sogar Russland und China.
Natürlich muss die politische Linke an diesem Grundsatz festhalten, auch wenn er juristisch ist, denn er regelt und sichert in weiten Teilen das friedliche Zusammenleben der Völker. Aber sie muss auch immer wieder deutlich machen, dass besonders der Westen in dieser Frage mit unterschiedlichem Maß wiegt und zudem auch mit gespaltener Zunge argumentiert.
Denn im Falle dieser speziellen Staaten steht Völkerrecht nicht mehr alleine da. Hier packt der Westen bevorzugt die Keule des Menschenrechts aus. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wird ausgespielt gegen die Menschenrechte – je nach dem, was den Interessen des Westens (Rüdiger Rauls: Menschenrechte und westliche Interessen) dienlicher ist.
Dieses Spiel ist in den meisten Fällen erfolgreich, weil einerseits die Mehrheit der Menschen menschlich ist und denkt. Das bedeutet, dass sie nicht wollen, dass es dem Rest der Menschheit schlecht geht.
Die Mehrheit der Menschen will nicht, dass Hunger und Krankheit, Elend und Hoffnungslosigkeit herrschen. Sie will es nicht für sich selbst, aber ebenso wenig für die anderen. Diese Haltung der Mitmenschlichkeit der Menschen untereinander missbrauchen jene, die das Menschenrecht für die eigenen Interessen gegen andere Völker und Staaten anwenden.
Andererseits wird diese westliche Politik unterstützt durch ein Interesse weiter Kreise der Bevölkerung an Vorgängen, das umso mehr abnimmt, je weiter diese Vorgänge vom der eigenen Lebenssituation entfernt sind. Dieses Desinteresse an den Vorgängen in anderen Teilen der Welt wird nicht aufgehoben durch Streitgespräche, in denen Rechthaberei und das Auftürmen von Fakten, Statistiken, Forschungsergebnissen und allerhand anderen „unschlagbaren“ Argumenten den Ton angeben. Damit überzeugt man nicht, damit erschlägt man allerhöchstens das Interesse am Thema.
Perspektiven für die Linke
Da aber helfen einfache, lebensnahe Fragen, um oberflächliche Ansichten aufzubrechen: „Würden es die USA oder Deutschland widerspruchslos hinnehmen, wenn fremde Mächte staatsfeindliche Gruppen auf dem eigenem Territorium mit Geld und Waffen unterstützen? Würden die USA oder Deutschland es tolerieren, wenn sich fremde Mächte ungefragt und ungebeten auf dem eigenen Staatsgebiet einnisten, Stützpunkte errichten, Milizen im Kampf gegen die Regierung ausbilden wie in Syrien und die eigene Bevölkerung mit Drohnen oder Bombern unter Beschuss nehmen?“
„Würden es die USA hinnehmen, wenn Russland, der Iran oder Nordkorea rund um das amerikanische Staatsgebiet Militärstützpunkte errichten, Raketen stationieren, Manöver abhalten und Bündnisse gegen die USA schließen? Würde es der Westen hinnehmen, wenn der Iran oder Nord-Korea versuchen würde, uns ihre Vorstellungen von gesellschaftlicher Ordnung und Demokratie aufzuerlegen?
„Und was würdest DU machen, mein Freund, wenn DU in Syrien lebtest, und seit sieben Jahren Angst haben müsstest um deine Kinder, deine Familie? Wenn Deine Kinder jeden Tag nur unter Lebensgefahr das Haus verlassen könnten? Wenn sie nicht zur Schule gehen könnten? Wenn du Angst haben müsstest, dass sie krank werden oder verletzt und niemand könnte helfen, weil die medizinische Versorgung zusammengebrochen ist? Was würdest DU machen, wenn deine Lebensgrundlagen zerstört wären, es keine Arbeit gäbe aufgrund des Krieges? Würdest nicht auch DU da an Flucht denken, um der Gefahr für dich und deine Liebsten zu entkommen? Würdest nicht auch DU nach einem besseren, einem menschenwürdigen Leben suchen in Sicherheit und Hoffnung auf eine freundliche Zukunft?“
Das sind die Fragen, die denen gestellt werden müssen, die Flüchtlinge, die syrische Regierung oder andere Staaten verurteilen, weil diese ihnen von den Mächtigen als Bedrohung dargestellt werden. Dabei kauen sie nur nach, was die herrschenden Medien ihnen vorbeten. Sie übernehmen diese einfachen Erklärungen, weil sie ihnen genügen, um sich ein Bild von der Welt zu machen, das ihrem Bedürfnis an Erklärungen genügt. Die so argumentieren, sind nicht dümmer oder ungebildeter oder menschenfeindlicher als so manche Linke, Intellektuelle oder Akademiker. Sie sind nur nicht weiter interessiert an diesen Themen, und schon gar nicht, wenn moralisch oder juristisch argumentiert wird.
Die richtigen Fragen zu stellen, das ist derzeit die Aufgabe und zugleich aber auch die Chance der politischen Linken. Und dazu ist es notwendig, dass die politische Linke zusammenwächst, miteinander diskutiert anstatt sich zu diffamieren.
Dazu muss sie über die Gruppen und Foren hinweg ein Gremium schaffen, in dem diese Fragen diskutiert werden, Antworten erarbeitet und, wenn möglich, Vorgehensweisen vorgeschlagen und vorbereitet werden.
Es muss ein Ende haben mit den inneren Streitigkeiten, Abgrenzungen und gegenseitigen Vorbehalten, den Eitelkeiten und Selbstdarstellungen, dem Glauben, die einzig richtige Linie zu vertreten und den Stein der Weisen bereits gefunden zu haben. Wenn die Lage so ernst ist, wie die Linke sie immer darstellt, dann ist das Gebot der Stunde, dass sie mit sich selbst anfängt und das Trennende überwindet.