Seit anderthalb Jahren nehme ich kein Blatt mehr vor den Mund. Freundlich, aber bestimmt gebe ich zu verstehen — wenn das Gespräch auf die Weltlage kommt — dass die Sache mit Reformen nicht mehr ins Lot zu bringen, sondern eine grundlegende Umwälzung nötig sei. Diese Feststellung erhält fast durchwegs Zustimmung, selbst von Menschen wie zum Beispiel Bankern, für die eine Fortsetzung des Status quo essenziell ist.
Aber wenn selbst Wissenschaftler Endzeitstimmung verbreiten, die sich im Grunde auf Erfahrung berufen müssten, dann ist tatsächlich Feuer im Dach. Dabei sind es nicht nur die Klimatologen und Spezialisten für Biodiversität, die Alarm schlagen. Probleme historischer Dimension bereiten uns unter anderem die Digitalisierung und Roboterisierung, die gemäß einer Studie der OECD mittelfristig 46 Prozent aller Arbeitsplätze gefährden. Die Militarisierung und die Erosion des Völkerrechts stimmen auch nicht gerade zuversichtlich für eine friedliche Lösung der multiplen Krise, die den Globus im Griff hält. Zu all dem steigt die Verschuldung mit exponentieller Geschwindigkeit.
Der Versuch, die Probleme des Geldes mit noch mehr Geld zu lösen, wird aller Voraussicht nach scheitern — „mit einem großen Knall“, wie viele Menschen intuitiv ahnen.
All die Reformen, die uns wieder auf Kurs bringen könnten, werden verwässert, verzögert oder verhindert. Kleine, aber gut organisierte Lobbys sind mehr als doppelt so erfolgreich in der Durchsetzung ihrer Interessen als die Bevölkerungsmehrheit — und das in einer Staatsform, die sich als Demokratie, also „Volksherrschaft“ bezeichnet.
Die Ungleichheit, historisch die bedeutendste Ursache gewaltsamer Konflikte, wächst ungebremst. Gleichzeitig sinkt in der Kakophonie von Fake und Halbwahrheiten die Fähigkeit zum klaren Denken.
Wenn wir Zukunft haben wollen, wie wir sie uns wünschen — friedlich, gerecht und nachhaltig — dann sind eine Neubeurteilung der Lage und die Entwicklung einer Strategie das Gebot der Stunde. Es geht darum, den Gegner zu identifizieren und den Weg frei zu machen für eine Welt, in der Mensch und Natur in Harmonie leben können. Die Erde könnte zwölf Milliarden Menschen ernähren; die Technologien sind da; alle könnten in Fülle leben. Wenn da nur nicht eine Kraft wirken würde, die den Überfluss in einen Mangel verwandelt, der den Menschen in einen ständigen Kampf ums Überleben zwingt!
Geld regiert bekanntlich die Welt. Es empfiehlt sich deshalb, die Natur des Geldes zu entschlüsseln, um seine Wirkung auf das Kollektiv und das Individuum zu verstehen und verändern zu können. Aber wenn es um Geld geht, sind wir von einem kolossalen Irrtum geblendet. Wir alle behandeln Geld, als wäre es ein Wert. Aber das ist es nicht.
Geld ist eine Schuld, und eine unbezahlbare dazu, wie sich direkt aus der Geldschöpfung ableitet.
„Die Banken schöpfen Geld, indem sie Kredite verleihen“, beschreibt die Schweizerische Nationalbank den Geldschöpfungsvorgang, der mittlerweile von allen namhaften Zentralbanken bestätigt wird.
Die Banken verleihen also nicht das Geld der Sparer, wie sie immer behaupten, sondern schöpfen Geld gewissermaßen aus dem Nichts. Unsere Bankguthaben sind also privates Geld, gestützt durch das Versprechen, es auf Wunsch gegen gesetzliche Zahlungsmittel zu tauschen — für uns Bürgerinnen und Bürger: Münzen und Noten der Zentralbank. Aber bei einer Mindestreserve von einem Prozent im Euroraum beziehungsweise 2,5 Prozent in der Schweiz und einem Eigenkapital von fünf bis zehn Prozent ist dieses Versprechen zu 90 Prozent leer.
Das Versprechen gilt nur, weil wir ihm glauben und solange es nicht gehalten werden muss.
Bei diesem Vorgang, und das ist entscheidend, entsteht nicht nur ein gleichbleibendes Guthaben, das in Zirkulation geht, sondern auch eine Forderung, die mit der Zeit wächst. Der Kreditnehmer muss nicht nur den Betrag, sondern auch Zins und Zinseszins bezahlen. Es hat also nie genug Geld im System, um die Schulden zu begleichen — ein absurder Zustand mit mindestens zwei gravierenden Folgen:
Damit wir den unüberbrückbaren Mangel nicht wahrnehmen, vergeben die Banken immer neue und größere Kredite. Solange das Volumen steigt, ist immer gerade genug Geld vorhanden, um die fälligen Schulden zu bezahlen. Das ist die Ursache des Wachstumszwangs, dem wir immer mehr Bereiche des Lebens und der Natur opfern und der zu unermesslicher Verschuldung führt. Gemäß dem Institute for International Finance liegen die expliziten Schulden Ende 2018 bei 244 Billionen Dollar. Die Menge an gesetzlichen Zahlungsmitteln und Bankguthaben beträgt 2017 36,8 Billionen Dollar — Rückzahlung ausgeschlossen. Um diese Tatsache zu verbergen, werden die kleinen Schuldner hart an die Kandare genommen, wie etwa Griechenland. Die großen, die USA beispielsweise, lässt man laufen.
Die zweite schwerwiegende Konsequenz der privaten Kreditgeldschöpfung ist die unsichtbare Umverteilung.
Weil alles Geld auf unseren Konten ein Kredit ist, versteckt sich der Zins in allen Preisen und muss bezahlt werden, auch wenn wir selber nicht Schuldner sind.
Knapp ein Drittel des BIP — und damit unserer privaten Auslagen — sind Zins- und Kapitalgewinne, gemäß dem französischen Ökonomen Thomas Piketty langfristig 25 bis 32 Prozent. Das ist es, was die Reichen reicher und die Armen ärmer macht. Dies ist die tieferliegende Ursache der meisten Konflikte, die die Welt zerreißen.
Es ist müßig, die Herren des Geldes und seiner Ideologie ausfindig zu machen. Wenn es sie denn gibt, sind sie unsichtbar — Macht wächst, indem sie sich verbirgt. Und gegen die Repräsentanten der Macht zu kämpfen, gegen all die Politiker, Manager und Experten, ist so sinnlos wie der Kampf gegen die Hydra. Jedem abgeschlagenen Kopf wachsen zwei neue nach. Das ist das Schicksal derjenigen, die Macht mit reiner Gegenmacht bekämpfen.
Unsere Gegner sind also nicht Menschen, denen wir in irgendeiner Form Gewalt antun sollten. Unser Gegner ist eine Ideologie. Und um diesen Gegner zu besiegen, müssen wir uns zuerst mit uns selber befassen. Dies ist die Empfehlung des chinesischen Philosophen und Strategen Sunzi.
„Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten“,
schrieb er vor zweieinhalbtausend Jahren in seiner „Kunst des Krieges“.
Schon bald werden wir feststellen, dass wir alle Opfer dieser Ideologie sind. Unsere monetäre Ordnung ist ein System des Mangels, das aus dem Überfluss der Erde ein ständiges Zuwenig macht, das sich unmerklich unserer Gedanken und unseres Verhaltens bemächtigt und das Zusammenleben in der Menschheitsfamilie vergiftet: Jeder gegen jeden und — fast — alle gegen die Natur.
Der schnellste Weg, sich vom Geld zu befreien, ist, es zu verschenken. Um nämlich Geld verschenken zu können, muss man seinen mentalen Schalter von „zu wenig“ auf „genug“ oder sogar „reichlich“ umlegen. Die Empfehlung ist, täglich fünf Euro oder einen dem Einkommen angemessenen Betrag zu verschenken, mindestens drei Monate lang. Dann sind wir zuverlässig auf dem Weg der Heilung. Das ist übrigens billiger und wirksamer als eine Psychotherapie.
Sobald wir nicht mehr Opfer sind, können wir den nächsten Schritt in Angriff nehmen: Sagen, was wir denken, Wahrheit leben.
Man darf dabei auch klein anfangen, gewissermaßen zur Probe. Hier einmal etwas sagen, das man vorher nicht gewagt hätte, dort etwas tun, was ein bisschen Mut erfordert. Dabei machen wir immer wieder die wunderbare Erfahrung, dass Wahrheit tatsächlich frei beziehungsweise freier macht. Vielleicht entstehen daraus auch Konflikte, aber das ist der Preis der Wahrheit. Das bringt uns zur nächsten Aufgabe: der Überwindung der Angst.
Angst ist politisch gewollt und wird instrumentalisiert, um uns gefügig und damit Geschäfte zu machen, wie Professor Rainer Mausfeld in seinem Büchlein „Angst und Macht“ überzeugend darstellt.
Gründe für die Anfälligkeit für Angst können wir aber auch in uns selber finden. Dabei stoßen wir früher oder später auf die Wirkungen des Egos, hier in der Bedeutung eines falschen Selbstbildes. Es entsteht durch Identifikation mit Dingen, die wir nicht sind: Rollen, Ruf, Status, Besitz. Weil diese Dinge falsch sind — indem wir sie eben nicht sind — können wir sie jederzeit verlieren. Angst ist die Folge.
Die Lösung ist natürlich nicht, zur Angst zu stehen und dann ängstlich sein zu dürfen — höchstens als Übergangsphase —, sondern die falschen Selbstbilder abzubauen und dann angstfrei vor Verlust von Status et cetera handeln zu können.
Damit können wir uns endlich mit dem Gegner befassen, der ständig neue Krisen erzeugt und neue Regeln erlässt, die den legalen Widerstand erschweren. Wir können deshalb nicht, wie es die strategische Doktrin empfiehlt, unsere Stellung sichern, auf einen Fehler warten und die Gunst der Stunde nutzen. Wir müssen angreifen — ein großer Nachteil!
Dazu empfiehlt es sich, ein Feld finden, auf dem der Gegner schwach ist und wir schwer verwundbar sind. Schwach ist er auf dem Gebiet des Geistes — deshalb werden abweichende Meinungen so scharf bekämpft, sobald sie „das System“ in Frage stellen.
Unverwundbar sind wir, wenn wir nicht als Gegner auftreten, sondern gewissermaßen als Verbündete. Und schließlich müssen wir, weil wir wenige sind, darauf achten, mit möglichst wenig Aufwand große Wirkung zu erzielen.
Das Mittel erster Wahl, das alle diese drei Erfordernisse erfüllt, ist die soziale Homöopathie, ein Fachgebiet, das erst noch entwickelt werden muss. Ihr Grundsatz besteht darin, einen gesellschaftlichen Missstand nicht mit Gegenmaßnahmen zu bekämpfen, sondern durch Injektion des krankmachenden Impulses in homöopathischer Dosis in den sozialen Organismus. Gleiches mit Gleichem behandeln.
Wie können wir dieses neue Werkzeug nun konkret einsetzen, um den Glauben an das illusionäre, destruktive Geld ins Wanken zu bringen?
Mit ganz einfachen Botschaften:
„Glaubet ans Geld!“
„Vertraut den Banken!“
Oder
„Mehr Besitz macht glücklicher!“
Wir können diese Botschaften auf zig Arten unter die Leute bringen: Plakate, Flugblätter, Performances, Installationen, Aktionen — fiktive Bankruns —, Statements an Veranstaltungen. Wichtig: alles möglichst öffentlich. Es ist der Beginn einer ansteckenden Gesundheit.
Zwei Empfehlungen von Sunzi müssen wir in unserer Strategie noch berücksichtigen, die Verwirrung der gegnerischen Generäle und die Spaltung des Gegners. Den Gegner verwirren wir, indem wir zwar öffentlich handeln, für die Überwachungsinstrumente aber unsichtbar bleiben. Wir erreichen dies, wenn wir selbstbestimmt und in kleinen Gruppen handeln, ohne Führung, Symbole und gemeinsame Begriffe. Dann werden uns die Algorithmen vielleicht für schräge Vögel halten, aber die Kraft der Idee und ihre vielen verschiedenen Vertreter nicht erkennen.
Den Gegner spalten wir, indem wir auf die Leute im mittleren Management zugehen, die ihre Seele noch nicht dem Bonus geopfert haben. Sie sind meist gut vernetzt und haben einen gewissen Einfluss; sie kontrollieren bereits Ressourcen und haben Fähigkeiten. Mit ihnen bauen wir die neue Welt.
Das Problem der Weltverbesserungsbranche ist die Tatsache, dass die allermeisten Maßnahmen erst mit Mehrheiten etwas bringen, also ganz selten. Die Strategie der friedlichen Umwälzung umgeht dieses Problem, indem bereits die ersten Schritte — die Überwindung der Opferrolle und der Angst und das Leben in Wahrheit — so viel persönlichen Gewinn bringen, dass wir für die Krise eigentlich dankbar sein und sofort loslegen müssten. Es gibt nur zu gewinnen.