von Dahr Jamail
Den Amazonas speisen mehr als 1.100 Nebenflüsse, von denen 17 länger sind als 1000 Meilen. Der Regenwald erzeugt auch „fliegende Flüsse” — massive Luftströme an Feuchtigkeit, die sich über seiner Krone entwickeln und mit den Wolken und Niederschlagsmustern über den gesamten südamerikanischen Kontinent bewegen.
Viele Wissenschaftler glauben, dass der Amazonas auf dem Planeten die wichtigste Quelle der biologischen Vielfalt ist, und Statistiken belegen dies. Allein im Rio Negro leben Tausende von Vogel- und Baumarten, schätzungsweise 2,5 Millionen Insektenarten und mindestens 3.000 Fischarten, wobei ständig neue Arten entdeckt werden. Im Durchschnitt wird jeden zweiten Tag eine neue Art entdeckt.
Und jetzt brennt der Amazonas. Nach Angaben des brasilianischen National Institute for Space Research (INPE, wie es allgemein genannt wird) vernichten Lauffeuer den Regenwald im Rekordtempo. INPE hat kürzlich erklärt, dass im Amazonasgebiet die Waldbrände um 80 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres anstiegen.
Der Rauch aus dem brennenden Regenwald hat den Himmel über Sao Paulo verdunkelt, einer Stadt, die mehr als 1.700 Meilen von den Bränden entfernt ist. Satellitenbilder zeigen, dass sich der Rauch bis zur Atlantikküste ausgebreitet hat, halb Brasilien bedeckt und sogar Teile von Paraguay, Bolivien und Peru überspannt.
Überschreiten von Schwellenwerten
Thomas Lovejoy arbeitet seit 1965 im brasilianischen Amazonasgebiet, aber er ist der erste, der Truthout in einem Interview im Jahr 2017 sagte: „Wir haben die Oberfläche kaum angekratzt“, was unser Verständnis von diesem Regenwald anbelangt. Er war 14 Jahre lang Direktor des World Wildlife Fund in den USA und erhielt den Spitznamen „der Pate der Biodiversität“, nachdem er den Begriff „Biodiversität“ selbst geprägt hatte. Allein einer seiner Berichte führte dazu, dass mehr als die Hälfte des Amazonas-Regenwaldes unter Schutz gestellt wurde.
Während unseres Interviews warnte Lovejoy vor den kommenden Ereignissen, einschließlich der herzzerreißenden Wildfeuer, die wir jetzt sehen.
Wir können höchstwahrscheinlich mit dem Untergang des Amazonas rechnen, möglicherweise sogar noch vor 2100.
Er stellte fest, dass international vereinbarte Emissionsgrenzwerte die Katastrophe nicht verhindern werden. In einem Leitartikel für die New York Times mit dem Titel „The Climate Change Endgame“ schrieb er: „Es ist völlig klar, dass das Ziel einer 2-Grad-Celsius-Grenze für den Klimawandel hauptsächlich von dem abgeleitet wurde, was bequem und machbar schien, ohne jeden Bezug darauf, was es wirklich ökologisch bedeutet. Zwei Grad sind tatsächlich zu viel für Ökosysteme.“
Genau das zeigen die aktuellen Amazonas-Wildfeuer, denn der Planet hat sich seit Beginn der industriellen Revolution um 1,2 Grad Celsius erwärmt und wird sich eindeutig weiter erwärmen.
„Denke darüber nach, was es insgesamt bedeutet“, sagte Lovejoy, wie der Planet aussehen und sich anfühlen wird, wenn er 2 Grad Celsius erreicht (ein Maßstab, den er jetzt garantiert weit übertreffen wird). „Es bedeutet eine Welt mit einem vier bis sechs Meter höheren Meeresspiegel. Es bedeutet eine Welt ohne tropische Korallenriffe — wie wir bereits jetzt sehen können — und wahrscheinlich wird eine ganze Reihe von Schwellenwerten überschritten, die wir nicht vorhersagen können.“
Anstatt Kohlenstoff zu binden, Wasser und Niederschläge zu erzeugen, wird der Amazonas stattdessen zu einem Netto-Emittenten von Kohlenstoff.
Wenn ein tropischer Regenwald gesund ist, entzieht er der Atmosphäre CO2. Aber wenn Regenwälder durch Dürre, Waldbrände, von Menschen verursachte Brände, Kahlschläge und menschliche Entwicklungen zerstört werden, geben sie den größten Teil oder den gesamten gespeicherten Kohlenstoff wieder an die Atmosphäre ab. Die Dürre im Amazonasgebiet 2010 hat so viel Kohlendioxid freigesetzt wie die jährlichen Emissionen Russlands und Chinas zusammen, beobachteten Wissenschaftler der Universität Oxford. Angesichts zunehmender Dürre und Waldbrandmuster können wir höchstwahrscheinlich mit dem Untergang des Amazonas rechnen, möglicherweise sogar noch vor 2100.
Bolsonaro: Der tropische Trump
Laut INPE hatte sich die Entwaldung im Amazonasgebiet bereits im Juni 2019 gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 60 Prozent als Folge der schrecklichen Umweltpolitik des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro beschleunigt.
Im vergangenen Monat bezeichnete Greenpeace Bolsonaro und seine rechte Regierung als „Bedrohung für das Klimagleichgewicht“. Wie viele Wissenschaftler warnte auch der World Wildlife Fund davor, dass der Amazonas, wenn er einen Wendepunkt erreicht, zu einer Trockensavanne werden könnte und nicht mehr in der Lage sein wird, einen Großteil der heute dort lebenden Tiere zu erhalten.
Anstatt Kohlenstoff zu binden und Wasser und Niederschläge zu erzeugen, wird der Amazonas stattdessen zu einem Nettoemittenten von Kohlenstoff. Damit wird der Planet den größten Teil von dessen Sauerstoff produzierender Funktion verlieren. Unterdessen wird der Verlust der Biodiversität des Amazonas jenseits der verheerenden Folgen für den Planeten liegen.
Bolsonaro hat kürzlich die grundlose Behauptung aufgestellt, dass Umweltorganisationen für die Waldbrände verantwortlich seien.
Bolsonaro hat wie Trump in den USA mit rasanter Geschwindigkeit daran gearbeitet, Umweltvorschriften zu beseitigen. Seit seiner Machtübernahme im Januar dieses Jahres hat er den Amazonas für Holzeinschlag, Agrobusiness und Bergbau geöffnet.
In einem besonders „trumpianischen Moment“ hat Bolsonaro kürzlich die grundlose Behauptung aufgestellt, dass Umweltorganisationen für die Waldbrände verantwortlich seien. The Guardian berichtete vor einem Kongress der Stahlindustrie in der Hauptstadt Brasilia, dass Bolsonaro sagte sinngemäß: Meiner Meinung nach sind die Brände im Amazonasgebiet von NGOs initiiert worden, weil sie Geld verloren haben. Ist ihre Absicht, Probleme nach Brasilien zu bringen?
Bolsonaro nutzte diese Rede wahrscheinlich, um seine eigentlichen Pläne für den Amazonas zu zerstreuen oder davon abzulenken. Kürzlich durchgesickerte Dokumente zeigen, dass Bolsonaro beabsichtigt, mit Hilfe von Hassreden die im Amazonasgebiet lebenden Minderheiten weiter zu isolieren und zu marginalisieren, um räuberische Projekte wie Dämme voranzutreiben, die sich verheerend auf die Umwelt auswirken würden.
Auf einer der Folien aus dem durchgesickerten Powerpointvortrag stand: „Entwicklungsprojekte müssen im Amazonasbecken durchgeführt werden, um es in den Rest des Landes zu integrieren, den internationalen Druck für die Umsetzung des sogenannten Triple-A-Projekts zu verringern. Dazu ist es notwendig, das Wasserkraftwerk Trombetas River sowie die Óbidos-Brücke über den Amazonas zu bauen und die Autobahn BR-163 bis zur Grenze zu Suriname zu realisieren.“
Daher sind die gegen NGOs gerichteten Angriffe des rechtsextremen Führers Bolsonaro wahrscheinlich Teil seiner Entwicklungspläne für den Amazonas.
Dahr Jamail, Truthout-Reporter, ist der Autor von „The End of Ice: Bearing Witness and Finding Meaning in the Path of Climate Disruption (The New Press, 2019)“, „The Will to Resist: Soldiers Who Refuse to Fight in Iraq and Afghanistan (Haymarket Books, 2009)“, und „Beyond the Green Zone: Dispatches From an Unembedded Journalist in Occupied Iraq (Haymarket Books, 2007)“. Jamail berichtete mehr als ein Jahr lang aus dem Irak sowie in den letzten 10 Jahren aus dem Libanon, Syrien, Jordanien und der Türkei und gewann unter anderem den Izzy Award und den Martha Gellhorn Award für investigativen Journalismus. Sein drittes Buch, „The Mass Destruction of Iraq: Why It Is Happening, and Who Is Responsible“, entstand zusammen mit Ko-Autor William Rivers Pitt. Jamail lebt und arbeitet in Washington State.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst bei Truthout unter dem Titel „The amazon is dying and bolsonaro is fanning the flames“. Er wurde von Ullrich Mies aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.
Mit freundlicher Genehmigung: „Copyright, Truthout.org. Reprinted with permission“.