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Das Totschlagargument

Das Totschlagargument

Der Begriff „Verschwörungstheoretiker“ soll Andersdenkende einschüchtern und den Raum des Sagbaren immer mehr verengen.

Ein „Verschwörungstheoretiker“ stirbt unerwartet! Stellen wir uns das vor. Ein prominentes Gesicht aus den Kreisen, die von der Mainstream-Presse als „verschwörungstheoretisch“ betitelt werden, segnet unerwartet das Zeitliche. Wie würden die großen Pressehäuser, die ARD, das ZDF, aber auch Denunzianten-Plattformen wie Psiram oder Facebook-Seiten wie Friedensdemo-Watch reagieren? Sportlich und fair? Darüber berichten, dass XY unerwartet verstorben ist, der in der Vergangenheit zu Themen wie 9/11 oder dem Migrationspakt vom Mainstream abweichende Standpunkte vertrat? Und angesichts seines Todes über diese Differenzen hinwegsehen und den Hinterbliebenen viel Kraft in diesen schweren Zeiten wünschen?

Oder würden diese Medien wie bei den beiden kürzlich verstorbenen George H. W. Bush und John McCain reagieren — nur umgekehrt: So wie man Bush und McCain aller Gräueltaten zuwider einen Heiligenschein ausstellte, würden dem „Verschwörungstheoretiker“ stattdessen Teufelshörner aufgesetzt und alle humanistischen Ansätze ausgeblendet werden? Ließe man die Vita des verstorbenen „Verschwörungstheoretikers“ so negativ Revue passieren, wie es die verbliebenen Sitten gerade noch so zulassen?

Die zweite Variante klingt wesentlich realistischer. Und hier müssen wir der Frage nachgehen: Wie weit ist die Entmenschlichung dieser Personen im öffentlichen Diskurs bereits vorangeschritten? Bisher drehte sich die Debatte eher darum, was dieser Kampfbegriff aussagt, welche Funktionen er hat und woher er stammt. In diesem Artikel soll es primär um die entmenschlichende Funktion dieser Begriffsverwendung gehen. Vorab kann es allerdings nicht schaden, wenn wir die Entwicklung des Begriffes samt seiner Wirkung in den vergangenen Jahren betrachten. In diesem Artikel wird der Begriff der „Verschwörungstheorie“ oder des „Verschwörungstheoretikers“ zumeist in Anführungsstriche gesetzt. Damit möchte ich meine persönliche Abgrenzung zur Verwendung dieser Begriffe deutlich machen.

Die erstmalige Zusammensetzung der Begriffe „Verschwörung“ und „Theorie“, respektive „conspiracy“ und „theory“, wird häufig auf das CIA-Memo „Document 1035-960, Concerning Criticism of the Warren Report“ datiert. Dieses wurde im Zuge des Kennedy-Attentates vom CIA-Büro in Phoenix ausgehend an sämtliche Stellen des Secret Service versendet. Mit dem Begriff sollten all jene als conspiracy theorists gebrandmarkt werden, die an die physikalischen Gesetze und nicht an magische Patronen glauben, die in der Luft auf Wunsch des Schützen Kurven fliegen und mehrere gewünschte Ziele treffen können. Die Liste an Ungereimtheiten bezüglich des Kennedy-Attentats füllt Seiten.

Bis zur großen, durch das Netz ermöglichten Informations-Revolution zu Beginn dieses Jahrzehnts schlummerte der Kampfbegriff wie ein stiller Vulkan vor sich hin. Zum Ende der Jahrtausendwende konnte man sich mit diesem Begriff sogar noch schmücken. 2007 rappte Prinz Pi im Song Allein:

„Ich praktiziere als Verschwörungstheoretiker /
das Salz der Welt ist Zucker, doch ich bin Diabetiker“

Solche Zeilen wären heute undenkbar!

Nun, da der embedded press, der eingebetteten Presse also, sukzessive das Informations-Monopol und die Glaubwürdigkeit abhanden kommen, ist dieser Begriff aus den Medien nicht mehr wegzudenken. Eine falsche Äußerung, ein kurzes Gespräch mit der falschen Person und schon erhält man den Verschwörungstheoretiker-Stempel samt Aluhut.

Der Begriff ist Teil der psychologischen Kriegsführung. Er verbannt Themen in eine Tabuzone, zersetzt Diskurse und kann die Existenz Einzelner gänzlich zerstören. In Debatten ist der Begriff eine argumentative Viagra-Kapsel. Wer keine Gegenargumente mehr „hochbekommt“, greift zu dieser Kapsel und kann sich der inhaltlichen Auseinandersetzung mit seinem Gegenüber gänzlich entziehen.

Bevor wir uns der Kernthematik dieses Artikels zuwenden, sei hier noch einmal auf die stichhaltige Definition der „Verschwörungstheorie“ verwiesen, die aus der Feder von Professor Rainer Mausfeld stammt:

„Der politische Kampfbegriff der Verschwörungstheorie lässt sich kurz abhandeln. Er ist ohne jede ernsthafte intellektuelle Substanz und erschöpft sich weitgehend in seiner ideologischen Verwendung als Diffamierungsbegriff.“

Verschwörungstheoretiker — Was sind das nur für Menschen?

Was für ein Menschenbild haben die Denunzianten von denen, die sie als „Verschwörungstheoretiker“ diffamieren? Was sind ihre Wesenszüge? Was macht sie als Personen aus? Was ist das Leben eines „Verschwörungstheoretikers“ in den Augen von Meinungsmachern, Antideutschen und Alpha-Journalisten wert? Betrachten wir die Zuschreibungen einmal nacheinander.

1. Verschwörungstheoretiker sind alle gleich!

Diese Annahme müssen wir zuallererst behandeln, da sie die nachfolgenden Behauptungen und Klischees von „Verschwörungstheoretikern“ maßgeblich beeinflusst. In den Augen der Denunzianten unterscheiden sich „Verschwörungstheoretiker“ lediglich in Nuancen und darin, an welche Theorie sie glauben, voneinander.

Während in allen anderen Bereichen nach Gender und Diversity geschrien wird, behandelt man das Spektrum derer, die den Stempel „Verschwörungstheoretiker“ aufgedrückt bekommen haben, als einen monolithischen Block. Wenn die Mainstream-Presse ihre tiefe Sorge darüber ausdrückt, dass „Verschwörungstheoretiker“ mit ihrer Desinformation unsere ach so intakte Demokratie gefährden würden, wird kein Pfifferling auf gendergerechte Sprache gelegt! Man liest nie Zeilen wie:

„Durch das hohe Aufkommen von Verschwörungstheoretiker*innen (die Möglichkeit eines Zugehörigkeitsgefühls zu einem Dritten Geschlecht wird bei Betrachtung dieser Gruppe ebenfalls berücksichtigt) führt im Internet zu einer hohen Dichte von Desinformation.“

Warum kommt der Gruppe, die als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet werden, kein Gender-Sternchen zu? Warum wird nicht berücksichtigt, dass es auch lesbische, schwule, bisexuelle und transgender-“Verschwörungstheoretiker“ geben kann? Und ist es überdies nicht enorm sexistisch, eine riesige Gruppe als „Aluhut-Träger“ zu bezeichnen? Schließlich könnte die Form eines Aluhutes auch als Phallus-Symbol gedeutet werden. Würde man damit nicht allen weiblichen Personen, die in dieses Raster fallen, unrecht tun? Warum ist das Bild von „Verschwörungstheoretikern“ so patriarchalisch? Sind Frauen etwa nicht dazu imstande, unter Einsatz ihres gesunden Menschenverstandes die offizielle 9/11-Theorie zu hinterfragen? Oder sollte man gleich von „aluhutistisch“ sprechen?

Und was ist eigentlich mit den Öko-„Verschwörungstheoretikern“? Den umweltbewussten „Verschwörungstheoretikern“? Möchte man diesen hier pauschal vorwerfen, eine riesige Menge umweltschädlicher Alufolie dafür aufzuwenden, sich nutzlose Aluhüte zu basteln? Eine ungeheuerliche Unterstellung!

Und warum unterteilt man die Gruppe, die wir korrekterweise als kritische Masse bezeichnen müssen, nicht in unterschiedliche Strömungen? In die Zweifler, die auf Grundlage wissenschaftlicher Methoden Axiome hinterfragen? In diejenigen, die schlicht kritische Beobachter sind und sich auch mal Fehler eingestehen können? Und in eben diejenigen, die sich ihr Wissen aus dubiosen Videos zusammenschustern?

Und warum wird zwischen den genannten und denjenigen nicht unterschieden, die wirklich an einer krankhaften Paranoia leiden? Man kennt sie — gemeint sind die, die des Nachts unentwegt in den Sternenhimmel starren und nach mit Davidsternen verzierten UFOs Ausschau halten, die von Hybriden aus Illuminaten und Reptiloiden gesteuert durch den Nachthimmel fliegen, dabei schwulmachende Gase auf die Erdoberfläche sprühen und aus dem eingebauten Subwoofer im UFO-Kofferraum Lady-Gaga-Songs in dreifacher Geschwindigkeit und rückwärts laufend abspielen, weil sie dann einen auf lateinisch vorgetragenen, satanischen Gesang ergeben.

Wenn also in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen jeder noch so abgefahrene Kniekehlen-Fetisch und jede Geschlechts-Variante berücksichtigt und toleriert werden muss, dann muss bitte auch bei dieser Personengruppe — also den sogenannten „Verschwörungstheoretikern“ — präzise, detailliert und kleinlich differenziert werden!

2. Verschwörungstheoretiker sind krankhaft paranoid!

Das vorhin überspitzte Beispiel eines wirklich krankhaft paranoiden Weltbeobachters ist die Art Stereotyp, die man der gesamten „Szene“ überstülpen möchte. „Verschwörungstheoretiker“ seien demnach hyper-wahnhafte Zeitgenossen, die nichts und niemandem trauen — Eremiten, die sich in der Einsamkeit ihrer Rechner ein hanebüchenes Weltbild zusammenreimen. Einsame Nerds, deren rare Dates nicht ohne subtile Fragen auskommen, die angeblich prüfen, ob das hübsche Gegenüber auf der anderen Seite des Tisches nicht insgeheim für den BND, die CIA oder den Mossad arbeitet und darauf angesetzt wurde, ihn auszuspionieren.

Wer also seine Frontkamera abklebt — wie Mark Zuckerberg das ebenfalls tut —, oder aus der Furcht vor einer Bargeldabschaffung PayPal und Kreditkarte meidet, oder aus Angst vor giftigen Zusatzstoffen im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten einen weiten Bogen um Tiefkühl- oder Monsanto-Produkte macht, ist in den Augen der Denunzianten ein an Verfolgungswahn leidender Spinner.

Wenn dem also so ist, wie muss man dann den Sicherheitsapparat in den westlichen Staaten bezeichnen? Überwachungskameras, so weit das Auge reicht. Aufrüstung und Ausweitung der Befugnisse im polizeilichen Bereich. Stärkere Überwachung im Netz. Bürokratische Erleichterungen in der Klassifizierung von sogenannten Gefährdern.

Wäre demzufolge die Polizei nicht ein regelrechter Verein von „Verschwörungstheoretikern“? Uniformierten „Verschwörungstheoretikern“? Anscheinend nicht! Wahn, Paranoia und das Wittern von Gefahren sind nur kritikwürdig, wenn sie im gemeinen Fußvolk stattfinden!

Wenn sie vonseiten des Staates kommen, ist die Folge lediglich der „Ausbau der nationalen Sicherheit“. Selbst dann, wenn die Gefahr, Opfer eines „Terroranschlages“ — unter welcher Flagge auch immer — zu werden, weitaus geringer ist, als beim Fensterputzen in der zweiten Etage dem Sensenmann zu begegnen.

3. Mit Verschwörungstheoretikern kann man nicht diskutieren! Außerdem halten sie starr an ihrer Weltsicht fest, in der sie immer tiefer versinken!

Dieses Axiom ist weit verbreitet und an Kurzsichtigkeit — zumindest in Deutschland — kaum zu überbieten. Der „Verschwörungstheoretiker“ hält also starr an seinem Weltbild fest? So, so! Und dieser Vorwurf in einem Land, dessen oberstes Amt eine Frau bekleidet, die permanent von „Alternativlosigkeit“ quasselt.

Und jetzt mal ehrlich! Wer von denen, die behaupten, man könne mit „Verschwörungstheoretikern“ nicht diskutieren, hat es denn jemals ernsthaft versucht? Ist man gleich verkopft, wenn man seine Meinung nicht sofort ändert, weil die Möglichkeit besteht, dass etwas anders ist, als die Masse glaubt? Ist die Koexistenz zweiter unterschiedlicher Meinungen nicht möglich? Ist es nicht möglich, dass Person A die offizielle Version des Kennedy-Attentates glaubt und Person B dies nicht tut, beide aber trotzdem miteinander auskommen, ohne aufeinander loszugehen? Tut man irgendjemandem weh, wenn man gewisse Dinge nicht glaubt und nach einer alternativen Deutungsmöglichkeit sucht? Gefährdet man damit etwa die Demokratie? Die Demokratie, die — so weit die Theorie — von Meinungsvielfalt lebt?

Und warum gilt das Festhalten an dem „einzig Wahren“ nur bei den „Verschwörungstheoretikern“ als pathologisch? Warum niemals bei Fußball-Fans? Halten die nicht auch verbissen daran fest, dass ihr Verein der einzig wahre und beste ist? Und wenn dieser verliert, treten die wildesten Spekulationen zutage, die jeder „Verschwörungstheorie“ den Rang ablaufen! Bestochener Schiedsrichter, Manipulation der Spieler, das Tor sei zu klein und so weiter. Und was ist mit den ganzen BWL-Wissenschaftlern? Die, die unentwegt ihr Mantra vom unendlichen Wachstum auf einem begrenzten Raum predigen? Sind das nicht die wahren Anwärter für den „goldenen Aluhut“?

Und der letzte Vorwurf dieser Kategorie ist, dass „Verschwörungstheoretiker“ immer tiefer in ihrer Weltsicht beziehungsweise in ihrer Welt versinken. Tief in einer Welt zu versinken und nicht mehr erreichbar zu sein, scheint also nach dieser Lesart ein großes Problem zu sein. Genauso lässt sich das auf Smartphone-Junkies oder Netflix-Bingewatcher beziehen. Bei den erstgenannten kommen im Gegensatz zu „Verschwörungstheoretikern“ sogar tatsächlich Menschen zu Schaden. Meist die Betroffenen selber, wenn sie mit ihrem gen Smartphone gerichteten Kopf gegen einen Laternenpfahl knallen.

Und was ist mit den ganzen Serien- und Fantasie-Süchtigen? Diejenigen, die des Nachts — manchmal auch tagsüber — stundenlang in den fiktiven Welten von Serien versinken. Diejenigen, die darüber hinaus auch noch in die Tiefen von Fan-Fiction-Welten herabsteigen, in denen Spin-Offs und Schmuddelgeschichten mit den Charakteren aus dieser Welt, also ganze eigene intradiegetische „Verschwörungstheorien“ verfasst werden?

Das wird im öffentlichen Diskurs nur am Rande problematisiert, jedoch nie zu prominenten Sendezeiten oder in den Zeitungen wie das leidige Thema der „Verschwörungstheorien“. Warum eigentlich nicht? Sind diese Menschen nicht auch so tief in ihrer Welt versunken und für die gesellschaftlichen und demokratischen Belange nicht mehr zu erreichen? Aber vielleicht ist ja genau das gewünscht! Weil die Welt, in die sie versinken, eben nicht die echte ist. Wenn Netflix-Kunden und Fantasie-Fans in ihren fiktionalen Welten versinken, schauen sie den Politikern, Militärs und anderen Machtzirkeln nicht mehr auf die Finger. Von daher ist das Versinken in diese Welten doch sehr willkommen.

Die „Verschwörungstheoretiker“ hingegen versinken nicht in der falschen Welt, sondern in der echten. Sie befassen sich mit den Belangen, die sie und ihre Mitmenschen im realen Leben betreffen.

Und dafür zahlen sie oft einen hohen Preis — wie der Wikileaks-Gründer Julian Assange. Der Vorwurf, „Verschwörungstheoretiker“ würden sich nur in Filterblasen und Echokammern aufhalten, ist ebenfalls zu kurz gegriffen. Die Wände dieser Filterblasen und Echokammern wurden schließlich auch den Denunzianten errichtet, indem sie diese Personen zu Unpersonen deklarieren, sie aus dem Diskurs ausschließen und unentwegt versuchen, ihr Leben durch Rufschädigung zu erschweren. Das ist in etwa so, als würde man eine Person in ein Verlies sperren und ihr dann vorwerfen, sie sei ein totaler Stubenhocker und würde niemals an die frische Luft gehen.

4. Verschwörungstheoretiker haben immer eine Theorie! Ferner reden sie sich damit raus, immer nur Fragen zu stellen.

Diese Aussage entblößt Begriff der „Verschwörungstheorie“. Ganz viele von denen, die als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet werden, haben nämlich gar keine „Theorie“! Und was ist ein „Verschwörungstheoretiker“ ohne eine Theorie? Es bleibt nur noch eine Verschwörung übrig. Und zwar gegen die diffamierte Person selbst.

Viele der Verleumdeten weisen auf himmelschreiende Ungereimtheiten bei gewissen historischen Ereignissen hin, die geradezu darum „betteln“, neu untersucht zu werden. Dr. Daniele Ganser — der im deutschsprachigen Pressespiegel prominenteste Verschwörungstheoretiker — hinterfragt beispielsweise in diversen Vorträgen die offizielle Darstellung der Ereignisse vom 11. September und weist auf Lücken im Bericht der amerikanischen Regierung hin.

Selbst diese Herangehensweise wird ihm dann aber zur Last gelegt. Ganser stelle lediglich Fragen und unterstelle zugleich das Gegen-Narrativ — so lautet die Argumentation des Amerikanisten Dr. Michael Butter von der Universität Tübingen. „Dieses Vorgehen hat Ganser, der in Geschichte promoviert wurde und auf eine Universitätskarriere hinarbeitete, in der Wissenschaft und weiten Teilen der Öffentlichkeit unmöglich gemacht“, schreibt Butter in der Schweizer Republik.

Dieses Argument von Butter ist wie das gleichnamige Nahrungsmittel, wenn man es aufs Brot schmiert — flach!

Es is also unwissenschaftlich, Fragen zu stellen? Ganz abgesehen davon, dass Ganser keineswegs das Gegen-Narrativ unterstellt, ist es als Wissenschaftler peinlich, diese Aussage von sich zu geben. Besonders peinlich ist das für einen Professor, der an der Universität Tübingen forscht, an der im Oktober 1961 die Arbeitstagung der „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ stattfand und an deren Eröffnungstag es zum legendären Aufeinandertreffen von Karl Popper und Theodor Adorno kam. Von den 27 Thesen zum kritischen Rationalismus, die Karl Popper an jenem Tag in seinem Referat mit dem Titel „Logik der Sozialwissenschaften“ vortrug, sollte jeder Geisteswissenschaftler schon einmal gehört haben! Ganz besonders, wenn man in Tübingen lehrt.

Diese 27 Thesen behandeln unter anderem die Spannung zwischen Wissen und Nichtwissen. Jede Erkenntnis sei nur von kurzer Dauer und gerade so lange beständig, bis sie widerlegt werde. Fragen zu stellen gehört somit ganz legitim zu jeder Wissenschaft. Fragen und Zweifel sind vergleichbar mit Seil und Verschlusskarabiner für den Bergsteiger, denn nur so kann er weiterkommen.

Und selbst wenn Butter sich der Gegenseite, also der kritischen Theorie der Frankfurter Schule zugeneigt fühlen sollte, müsste er das denkwürdige Zitat eines ihrer prominentesten Vertreter, Adorno, kennen:

„(...) als ehrlich gilt, auch in den Wissenschaften, vielfach der, welcher denkt, was alle denken, bar der vorgeblichen Eitelkeit, etwas Besonderes erblicken zu wollen, und darum bereit, mitzublöken. Ebenso sind Geradlinigkeit und Einfachheit keine unbedenklichen Ideale dort, wo die Sache komplex ist“ (Adorno, 1983; 131).

Mit seinem absolut linientreuen Werk „‚Nichts ist, wie es scheint‘: Über Verschwörungstheorien“ bläst Butter unentwegt in das systemkonforme Horn. Dessen Klang wird sicher kein rufschädigendes Echo der etablierten Medien nach sich ziehen. Er liefert ein nur dem Anschein nach wissenschaftliches Fundament, auf welchem das Gerüst der Mauer errichtet werden soll, die Andersdenkende an den gesellschaftlichen Rand verbannt.

Halten wir also fest: „Verschwörungstheoretiker“ gehen nicht unwissenschaftlich vor, nur weil sie sich mit Fragen der Wahrheit nähern wollen. Und der Begriff an sich ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch inhaltlich falsch. Die meisten „Verschwörungstheoretiker“ haben gar keine Theorie und müssten — wenn das Wort „Verschwörung“ schon unbedingt enthalten seien muss — richtigerweise als „Verschwörungssuchende“ betitelt werden. Damit würde sich dann — wenn man diesen Begriff zu Ende denkt — dessen beleidigende Wirkung aufheben, denn „Verschwörungssucher“, respektive Menschen, die (beruflich) nach Verschwörungen suchen, finden wir in jedem Polizeirevier, jedem Zollamt und jeder Kartellbehörde.

5. Verschwörungstheoretiker besitzen autistische Züge und keinerlei Empathie!

Dies ist die letzte Stufe der Rakete, die auf „Verschwörungstheoretiker“ abgefeuert wird. Damit soll diese Personengruppe entmenschlicht und dämonisiert werden. Diese These wurde sogar in einer kürzlich erschienenen Studie „wissenschaftlich“ untersucht. „Wenn im Großen betrogen wird, muss man sich im Kleinen auch nicht an die Regeln halten“, zeichnet eine Replik von telepolis die Grundannahme der Studie nach, die als konkretes Ergebnis u.a. bereithält, dass „Verschwörungstheoretiker“ demnach auch öfter bei Rot die Straße überqueren. Kein Scherz.

Ein weiteres Beispiel für die These, Verschwörungstheoretiker seien empathielos, liefert der TV-Beitrag der Berliner Abendschau des rbb über „Verschwörungstheorien“ zum Breitscheitplatz-Anschlag. Der Ersthelfer Andreas Schwartz schildert hier seine Kritik an einer tatsächlich abstrusen Verschwörungstheorie, nach welcher der Laster nicht gefahren, sondern nur abgestellt worden und die Opfer des Anschlags nur Puppen gewesen seien.

Solche Theorien bezeichnet Schwartz zu Recht als „unmenschlich“. Der Beitrag insgesamt allerdings impliziert, dass dieser Vorwurf der Unmenschlichkeit auf alle zutreffen müsse, die die offizielle Version nicht glauben. Wer den offiziellen Verlauf der Geschehnisse in Frage stellt, trampelt damit auf dem Grab der Verstorbenen herum. Diese Argumentation lässt sich auch bei Theorien um 9/11 wiederfinden.

Es ist eine besonders perfide Taktik, um kritische Fragen aus dem Raum des Sagbaren zu verbannen. Hier werden jegliche Zweifler mit dem Frame der Pietätlosigkeit belegt. Wehe, es wage einer, die offizielle Version anzuzweifeln.

Der ist nicht nur ein „Verschwörungstheoretiker“, sondern zugleich ein „unmenschlicher“, rücksichtsloser und gefühlskalter Computer-Nerd, der ohne Rücksicht auf die Gefühle der Hinterbliebenen seine „kruden Theorien“ verbreiten möchte. Dabei entbehrt es im Falle des Breitscheitplatzes nicht einer gewissen Ironie, dass sich zahlreiche Punkte, die in diesem Beitrag als „krude Theorien“ abgetan wurden, mittlerweile teilweise als wahr herausgestellt haben.

Dieses letzte Klischee komplettiert das Menschenbild, welches die Denunzianten vom „Verschwörungstheoretiker“, dem homo conspiratio haben: Er ist ein unzurechnungsfähiger, einsamer, empathieloser, nerdiger, gesellschaftsunfähiger und an Geisteskrankheit grenzender Spinner, der „unsere“ Demokratie gefährdet.

Ein neues, altes Feindbild ist geboren!

Die Jagd ist eröffnet!

Am amerikanischen Radiomoderator Alexander Jones wurde bereits ein Exempel statuiert, welche Folgen es haben kann, wenn man außerhalb des Raums des Sagbaren zu viel Krawall macht. Jones‘ Accounts wurden synchron von allen größeren Plattformen wie YouTube, Facebook und Twitter gelöscht. Und die Presse jubelt und feiert dies als kräftigen Schlag im Kampf gegen „Verschwörungstheoretiker“. Die Meinungsfreiheit geht im tosenden Applaus unter!

Es darf hierbei natürlich nicht abgestritten werden, dass mit der Verbreitung falscher Informationen durchaus ein immenser Schaden angerichtet werden kann. Ein Schaden, der für gewisse Beteiligte auch tödlich enden kann. Dies ist allerdings nicht der Fall, wenn Menschen, die als „Verschwörungstheoretiker“ betitelt werden, zurückliegende Ereignisse erforschen oder gegenwärtige Phänomene darauf zu prüfen versuchen, ob diese Leib und Leben sowie dem friedlichen Miteinander schaden.

Bemerkenswert ist es doch, dass in gerade den Themenbereichen auf „Verschwörungstheoretiker“ geschossen wird, die die aktuellen Herrschaftsverhältnisse antasten beziehungsweise deren Manipulations- und Unterdrückungsmethoden offenlegen.

Stellen wir uns mal Folgendes rein hypothetisch vor: Eine Gruppe deutscher, österreichischer und schweizerischer Naturwissenschaftler stellen die Hypothese auf, in den Tiefen des Bodensees wohne ein Urzeit-Monster. Sie sammeln per Crowdfunding die Forschungsgelder, um sich Schiffe und U-Boote anzuschaffen, damit sie alle Winkel des Bodensees nach diesem Monster absuchen können. Besteht die Wahrscheinlichkeit, dass man diese Forschungsgruppe als „Verschwörungstheoretiker“ betitelt? Ja!

Würde das irgendjemanden interessieren? Nein! Abgesehen von wenigen Feuilleton-Blättern, einen in Themen-Not geratenen Jan Böhmermann oder einem 60-Sekunden-Beitrag in Oliver Welkes Heute-Show würde kaum jemand diesem Unterfangen Beachtung schenken. Kein Geheimdienst würde einen Blick darauf werfen, niemand würde Bücher darüber schreiben und keine Talkshow würde sich damit auseinandersetzen, warum ein paar Meeresbiologen einen europäischen See nach einem Urzeit-Monster abfischen.

Warum? Weil es die Geschicke der Welt nicht tangiert! Anders verhält sich das mit 9/11, dem Kennedy-Attentat und den aktuellen Anschlägen in Europa. Hier kann ein Wissenschaftler schon mal ganz schnell den Lehrauftrag verlieren, wenn er die „falschen“ Fragen stellt oder mit den „falschen“ Personen redet.

Langsam bekomme ich Angst!

Ja, langsam wird es mir mulmig in der Magengegend! Weil im Pressespiegel sprachlich eine neue Eskalationsstufe gezündet wurde. Es fallen nicht mehr nur Worte des Hohnes und des Spottes, sondern des Kampfes! Heutzutage geht es um „den Kampf gegen Verschwörungstheoretiker“. Es reicht nicht mehr, sich über sie lustig zu machen, ihren Lack zu ruinieren. Nein! Sie müssen jetzt bekämpft werden! Zum Schweigen gebracht und unschädlich gemacht werden!

„Munition gegen Schwurbler“, „Offensive gegen Wahn-Wichtel“ — solche Titel liest man immer häufiger. Wohin führt das? Wann wird zum Beispiel das Schreiben eines Artikels — wie ich ihn gerade verfasse — als Straftat klassifiziert? Wegen einer hanebüchenen, kafkaesken Rechtsverdrehung, die mein Recht auf Meinungsfreiheit in einen dubiosen Strafbestand der Verbreitung von Desinformation ummünzt.

Wie lange dauert es noch, bis der Tag kommt, an dem ich — nichts Böses ahnend — vom Schellen meiner Klingel aus dem Schlaf gerissen werde, die Wohnungstür öffne, mir eine Polizeimarke mit dem Bild eines finster dreinblickenden Polizeibeamten entgegenschießt, die sie haltende Hand sich senkt und mir der Polizist mit nicht minder grimmiger Miene mitteilt, er habe einen Durchsuchungsbefehl, während seine Kollegen sich bereits daran machen, meine Schultern rammend in mein Zimmer zu gehen, um meinen Computer sowie mein Handy zu konfiszieren? Das PAG macht’s möglich!

Wann wird man härtere Bandagen anlegen, um gegen die vorzugehen, die der neoliberalen und in Krieg und Vernichtung führenden Entwicklung etwas entgegensetzen? Der Raum des Sagbaren wird immer kleiner.

Und die überwiegend aus dem links-liberalen-SZ-Milieu kommenden Befürworter, die diese Entwicklung bejubeln, fangen auch noch auf dieser begrenzten Fläche das Tanzen an.

Ich bekomme Angst, ob der geistigen Eindimensionalität der breiten Masse, ganz gleich ob jung oder alt, die häufig lediglich nur noch dazu imstande ist, in kurzen Parolen, hippen, kecken Sprüchen oder gar nur in #Hashtags zu denken. Teilweise wollen viele deutsche Mitmenschen gar keine Gegenargumente mehr hören, da eine Auseinandersetzung mit diesen einiges an Zeit und Denkaufwand kosten würde. Eine solch eindimensionale Denkweise, die außerstande ist, im 360-Grad-Raum zu denken, macht es natürlich wunderbar einfach, das Feindbild des „Verschwörungstheoretikers“ zu programmieren und die Geister darauf zu konditionieren.
Wir müssen eine Erinnerungskultur aufrechterhalten beziehungsweise verhindern, dass die Möglichkeit in Vergessenheit gerät, dass die friedliche Koexistenz zweier unterschiedlicher Meinungen möglich ist. Ein simples Beispiel:

Person A glaubt an Chemtrails, Person B glaubt nicht an Chemtrails. Sie sind also unterschiedlicher Meinung. Person B ist sich allerdings des immens hohen CO2-Ausstoßes durch Flugzeuge bewusst. Person B argumentiert: „Bei dieser hohen Menge an CO2-Ausstoß pro Flug braucht es keine Chemtrails, um der Menschheit und der Welt zu schaden!“ Beide einigen sich darauf: Flugzeug fliegen ist — Chemtrails hin oder her — scheiße! Passt! Prost! Peace!

Diesen Appell an die friedliche Koexistenz der Menschen mit unterschiedlichen Meinungen schreibe ich aus der Erfahrung heraus, dass sie möglich ist. In meinem politisch breit aufgestellten Freundeskreis werde ich häufig freudestrahlend, mit offenen Armen und den neckischen Worten begrüßt: „Da ist ja wieder mein linker / kommunistischer / sozialistischer / Verschwörungstheoretiker- Putin-Freund“. Demokratie lebt von unterschiedlichen Ansichten und der gegenseitigen Toleranz derselben.

„Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzten, dass du es sagen darfst“.

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