von Katharina Mauer
Liebe ist Ja zum Leben
Ich bin dieser Tage zerrissen zwischen einem tiefen Gefühl der Verzweiflung und großer Hoffnung, einer Art Aufbruchsstimmung und dem Gefühl des „endlich kann es losgehen“. Was ich damit meine, ist, dass es für mich noch keine opportunere Zeit gegeben hat, um in meine Selbstbestimmung zu gehen und die Liebe in mir wieder zu spüren — und das, was mich von beidem getrennt hat. Ein Erfahrungsbericht.
Ich bin Mutter einer 2-jährigen Tochter, lebe seit 10 Jahren in den USA und bin mit meiner Familie im Prozess, nach Deutschland zu ziehen. Lange Zeit wollte ich aus den USA weg, habe angenommen, dass ich in Deutschland mehr Sicherheit gewinne, mich geborgener fühle, immerhin bin ich hier ja geboren und aufgewachsen. Für meine Tochter wäre es bestimmt auch besser.
So habe ich gedacht und gefühlt — bis Corona unsere Gesellschaften umwälzte und ihre brüchigen Sicherheiten offenbarte. Ich würde angesichts der Furcht erregenden Entwicklungen in unseren Systemen in ein Loch tiefster Verzweiflung rauschen, wenn ich nicht auch ein Netzwerk und eine Herangehensweise an mein Leben hätte, die mich erkennen lassen, wie notwendig und heilsam es ist, meine Eigenverantwortung und Selbstbestimmung zu leben.
Das ist kein kognitiver Prozess. Und einer, der im Sinne von Jens Wernicke in „Die Zukunft beginnt jetzt“, die Beziehungen zu anderen Menschen braucht. Er basiert auf der Erkenntnis, dass die vulnerablen und sensiblen Systeme von Kleinkindern — angefangen bei der Empfängnis — langfristig beeinträchtigt werden können, wenn ihre Eltern sie nicht wollen oder lieben. Und mit lieben meine ich, sehen und nehmen, wie sie sind, Zeit und Raum für sie haben und eine familiäre Atmosphäre schaffen, die Geborgenheit gibt und Autonomie erlaubt.
Wenn das in großen Teilen nicht so ist, beginnt psychische Spaltung und die Entwicklung von Mechanismen, die uns helfen, uns anzupassen oder auch schlicht zu überleben. Für einen kleinen Menschen ist das so.
Eines der Resultate aus meinen frühkindlichen Erfahrungen war, dass ich lange nach Sicherheiten und Orientierung im Außen gesucht habe. Ständige Ortswechsel, instabile Beziehungen, wechselnde Arbeitgeber und ein permanentes Gefühl, auf das Leben zu reagieren, anstatt es in der Hand zu halten und aktiv zu formen. Ich war nicht mein eigener Referenzpunkt. Das Außen und die Anderen werden es wohl besser wissen, habe ich immer angenommen.
Bis ich in meiner Schwangerschaft das Buch „Wer sind wir in einer traumatisierten Gesellschaft“ von Franz Ruppert gelesen habe, das mich tief berührt hat, weil es schlüssig beschreibt, wie der Zustand unserer Psyche die Gesellschaften formt, in denen wir leben.
Und vor allen Dingen, dass es einen einfachen, effektiven und individuellen Weg aus diesem Teufelskreis gibt. Einen, der darauf baut, meine eigene Identität und Realität, das heißt die Summe meiner Lebenserfahrungen, in den Vordergrund treten zu lassen, weg von allen Überlagerungen, Verstrickungen, Narrativen und der Fremdbestimmung.
Seitdem treffe ich mich wöchentlich online mit Gruppen von Menschen, denen es wie mir ein tiefes Anliegen ist, sich selbst wieder zu finden, zu erkennen und zu verfestigen, was sie wirklich wollen und brauchen. Gemeinsam unterstützen wir uns, uns selbst in all unseren Facetten, schmerzhaften Lebenserfahrungen und tiefen Gefühlen zu begegnen. Diese regelmäßigen (Selbst-)Begegnungen sind unglaublich berührend. Sie lehren mich wie nichts Anderes, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.
Und was für eine tragende, heilsame und wahre Kraft Liebe ist. Auch die kann nicht kognitiv herbeigezwungen werden. Durch das Beobachten oder meine aktive Teilnahme an Selbstbegegnungen Anderer kann ich zunehmend in mir Liebe spüren und ihre Klarheit und Ruhe ausbreiten lassen. Liebe ist der krasseste Gegenspieler zu Angst und Stress. Beides kann nicht zugleich existieren, zumindest nicht in seiner vollen, sinngebenden Form.
Liebe ist Ja zum Leben, wie eine Kollegin in einem vergangenen Trainingswochenende mit Franz Ruppert treffend beschrieben hat. Es bedeutet für mich, die Kraft und den Fokus zu finden, das zu sehen und anzuerkennen, was ist. Im Hier und Jetzt auf Basis meiner Lebenserfahrungen. Es bedeutet auch, mich und Andere nicht andauernd ändern zu wollen, stattdessen in Konflikte aus meiner ganz eigenen Perspektive zu gehen, anstatt in der Anklage, Diffamierung oder Manipulation zu verharren.
Das ist nicht leicht. Aber nach meiner bisherigen Erfahrung wird es immer leichter, wenn ich ganz konsequent mir selbst begegne und somit allmählich meinen inneren Kompass oder auch meine innere Autorität stärke. Das ist für mich die Grundlage für heilsame, liebevolle und kreative Beziehungen — und von da aus für eine wirklich inklusive, liebevolle, selbstbestimmte und blühende Gesellschaft.
Katharina Mauer, Jahrgang 1984, studierte European Studies, Management und Conflict Resolution in Maastricht, Berlin und Tel Aviv. Sie arbeitete in der Kommunikation einer Versicherung und bei der UN in New York, wo sie seit 2014 lebt. Seit einigen Jahren ist sie als Mediatorin und Meditationslehrerin tätig und bildet sich derzeit in der Identitätsorientierten Psychotraumatherapie nach Franz Ruppert weiter. Weitere Informationen unter katharinamauer.com.
Quellen und Anmerkungen:
Für mehr Infos zum Prozess der Selbstbegegnung auf Grundlage der von Franz Ruppert entwickelten Identitätsorientierten Psychotraumatheorie und -therapie, können Sie sich gerne an die Autorin wenden oder weitere Ressourcen unter franz-ruppert.de finden.