Grundlagen des Artikels sind meine Erfahrungen als leitender Arzt einer Rehabilitationsklinik, die bereit war, auch Patienten mit einer HIV-Erkrankung zur Rehabilitation aufzunehmen. So wurden in der Zeit von 1990 bis 2006 neben anderen Krankheitsgruppen wie Herz-Kreislauf- und Atemwegs-Erkrankungen auch ca. 1200 mit HIV-infizierte Patienten aller klinischen Schweregrade in unserer Klinik behandelt (1- 4). Darunter befanden sich auch Patienten, die sich in Subsahara-Afrika mit HIV infiziert hatten.
Auf zwei der dortigen Länder, Uganda und Südafrika, werde ich besonders eingehen. 2013 konnte ich mich auf einer Reise nach Uganda über die Folgen von HIV/AIDS in diesem Lande informieren und dort mit Menschen sprechen, die entweder selbst oder deren Familienangehörige von AIDS betroffen waren (5, 6). Auf die Situation in Südafrika werde ich deshalb besonders eingehen, weil die Menschen in diesem wie auch den angrenzenden Ländern seit mehr als zwei Jahrzehnten unter den höchsten Prävalenzraten von HIV-Infektionen in Afrika leiden. Davon Betroffene in Südafrika haben ihr Schicksal aber nicht als unabänderlich hingenommen, sondern haben mit öffentlichen Aktionen ihr Recht auf eine Behandlung mit wirksamen Medikamenten eingefordert und durchgesetzt.
HIV und Aids - was ist das?
HIV ist die Abkürzung für Humanes Immunschwäche Virus, das zum Typ der Retroviren gehört. Ein Retrovirus besteht aus Ribonucleinsäure-(RNA)-Partikeln, die, wenn sie in die Wirtszelle gelangen, Desoxyribonucleinsäure-(DNA)-Kopien ihrer eigenen RNA herstellen und damit die Zelle in eine Fabrik für neue Viren umwandeln. Daran geht die Zelle schließlich zugrunde. Man unterscheidet zwischen dem HI-Virus-1, das für die mit großem Abstand meisten Infektionen zuständig ist und in Zentralafrika, Ost- und dem südlichen Afrika vorkommt, und dem „kleinen Bruder“, dem HI-Virus-2, das vor allem in Teilen Westafrikas auftritt und als weniger bösartig eingeschätzt wird (7, 8).
Die Abkürzung AIDS steht für Aquired Immune Defiency Syndrom, das bedeutet „erworbenes Immunschwäche-Syndrom“. Die französische Abkürzung für AIDS ist SIDA (Syndrome d'Immunodefience Acquise).
Bei der HIV-Erkrankung handelt es sich um eine chronische Infektion mit dem HI-Virus, die zu einem langsam fortschreitenden Immundefekt führt, weil Immunzellen neben Nervenzellen bevorzugt von den HI-Viren angegriffen und zerstört werden. Nach erfolgter Infektion kommt es in der Regel zunächst zu einer langjährigen Symptomfreiheit (Kategorie A). Die akute Infektion kann sich mit Symptomen eines vorübergehenden grippalen Infektes bemerkbar machen.
Anschließend kann es zu einer anhaltenden generalisierten Lymphknotenschwellung kommen (7). 2 bis 4 Jahre nach der akuten HIV-Infektion treten meist leichtere Erkrankungen auf (Kategorie B). Diese weisen auf eine beginnende Störung der Immunabwehr hin. Sie können zum Beispiel aus einem Herpes zoster (Gürtelrose) bestehen, der mehrere Segmente betrifft. 8 bis 10 Jahre nach der Infektion kommt es dann zum Auftreten von sogenannten AIDS-definierenden Erkrankungen (Kategorie C), an denen die Patienten ohne eine wirksame medikamentöse Therapie in der Regel innerhalb weniger Jahre versterben.
Diese AIDS-definierenden Erkrankungen waren eine neuartige Erkrankungsgruppe, der ich Anfang der 1990er Jahre zum ersten Mal begegnet bin. Es handelte sich um schwerste Infektionen, sogenannte opportunistische Infektionen, zum Beispiel nicht therapierbare Lungenentzündungen, verursacht durch ansonsten harmlose Erreger, eine Tuberkulose, die nicht auf die Lunge beschränkt bleibt, oder schwersten Pilzinfektionen der Atemwege. Weiterhin zählen Krebserkrankungen der Lymphknoten oder seltene Krebserkrankungen der Haut wie zum Beispiel das Kaposi-Sarkom dazu. Diese Erkrankungen traten bei Patienten auf, die einen positiven HIV-Test aufwiesen, und führten damals nach kurzer Zeit zum Tode.
Eine wirksame, effektive medikamentöse Behandlung, die sogenannte antiretrovirale Therapie (ART), gibt es erst seit 1994/1995. Sie besteht aus einer Kombination von mehreren verschiedenen virushemmenden Arzneimitteln mit unterschiedlichem Angriffspunkt und hat zu einem dramatischen Rückgang von AIDS-bedingten Todesfällen geführt. Unter einer ART kommt es meist zu einer ausreichenden Wiederherstellung des Immunsystems, so dass AIDS-definierende Erkrankungen ausheilen können. Die Wirksamkeit der Behandlung hält aber nur so lange an, wie die ART weitergeführt wird. Eine Heilung der HIV-Erkrankung ist auch heute nicht möglich. Eine effektive Impfung gegen das HI-Virus zur Verhinderung einer Infektion gibt es nicht und ist ebenfalls nicht in Sicht (7).
HIV/ AIDS in Deutschland
2014 waren in Deutschland 0,1 % der Bevölkerung mit dem HI-Virus infiziert, das sind etwa 83.000 Personen, davon waren ca. 68.400 Männer, ca. 15.100 Frauen und ca. 200 Kinder. Nach dem Infektionsrisiko war die Verteilung folgendermaßen: Ca. 53.800 Männer hatten Sex mit Männern gehabt, ca. 16.500 Menschen hatten sich über heterosexuelle Kontakte infiziert und ca. 7900 waren intravenöse Drogengebraucher. Weiterhin zählten ca. 450 Hämophile und Bluttransfusionsempfänger dazu. Ca. 400 Infizierte waren Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die sich vor, während und nach der Geburt über ihre Mutter infiziert hatten (7).
Weitere Informationen geben die neuesten statistischen Daten vom Robert-Koch-Institut für 2015: Zwei Drittel der infizierten Männer befinden sich im Alter von 25 bis 40 Jahren. Ca. 72 % der infizierten Personen nehmen antiretrovirale Medikamente. Ungefähr 3.200 Menschen infizierten sich im Jahr 2015 neu, das sind ebenso viele wie im Jahr zuvor. Die Zahl der Neuinfektionen ist seit 2006 weitgehend stabil. Rund 460 Menschen starben 2014 an den Folgen ihrer HIV-Infektion. 1.200 Menschen erhielten 2015 ihre Diagnose erst, nachdem sie bereits schwer erkrankt waren. Ca. 12.600 Menschen mit HIV wissen nach Hochrechnungen nichts von ihrer Infektion. Und was die 90-90-90-Zielsetzung der UNAIDS hinsichtlich der HIV-Infektion betrifft (siehe dazu auch im nächsten Kapitel weiter unten): 2015 wurden in Deutschland 85 % der wahrscheinlich bestehenden HIV-Infektionen diagnostiziert, 84 % der Diagnostizierten erhielten HIV-Medikamente und bei 93 % davon war das HI-Virus nicht mehr nachweisbar (9).
Wie in den meisten Ländern mit hohem Einkommen ist es mit der Einführung der antiretroviralen Kombinationstherapien auch in Deutschland seit 1996/1997 zu einem starken Rückgang von AIDS-definierenden Erkrankungen und Todesfällen gekommen. So hat schon die im Jahre 2000 veröffentlichte große Euro-SIDA-Studie gezeigt, dass zwischen 1994 und 1998 sowohl Mortalität und Morbidität auf weniger als ein Zehntel gefallen sind (10).
Bei den in unserer Rehabilitationsklinik betreuten HIV-Patienten kam dieser Fortschritt in der Behandlung zum Beispiel darin zum Ausdruck, dass es Anfang der 1990er Jahre sehr häufig passierte, dass ich von MitarbeiterInnen die traurige Mitteilung erhielt, dieser oder jener unserer HIV-Patienten sei kurze Zeit nach der Entlassung verstorben. Das kam nach 1996 immer seltener vor, weil seit dieser Zeit immer mehr AIDS-Patienten mit einer ART effektiv behandelt wurden.
Auch der körperliche und geistig-seelische Zustand unserer AIDS-Patienten war nach 1996 gegenüber der Zeit vorher in den meisten Fällen stabil und deutlich gebessert. Das ließ sich zum Beispiel auch an den Ergebnissen der beruflichen Leistungsbeurteilung unserer HIV-Patienten ablesen, unter denen sich im Durchschnitt ca. 40 % in der Kategorie C, im Stadium AIDS, befanden. Eine bei uns durchgeführten Untersuchung ergab, dass der Anteil der Patienten mit erhaltener Leistungsfähigkeit für die letzte Berufstätigkeit von 54 % (1995 bis 1997) auf 70 % (2001 bis 2004) angestiegen war, und dazu kamen noch 7 % der Patienten, die so eingeschätzt wurden, dass sie diese Tätigkeit zwar nicht mehr vollschichtig, aber noch halbschichtig ausüben konnten (2, 4, 11).
Wenn auch die HIV-Infektion für die einzelnen Betroffenen ein schwerer Schicksalsschlag ist, bedeutet diese Diagnose heute nicht mehr die Ankündigung des baldigen Lebensendes wie in der Zeit vor 1994/1995, sondern eher „bedingte Gesundheit“, solange eine effektive ART durchgeführt wird. Auch wenn die antiretroviralen Medikamente zu den teuersten Arzneimitteln gehören und die Behandlungskosten sich leicht auf 10.000 € und mehr pro Krankheitsfall und Jahr belaufen können, sind die allermeisten bei uns betroffenen Patienten über ihre Mitgliedschaft in einer der gesetzlichen Krankenkassen finanziell abgesichert. Somit handelt es sich in Deutschland bei HIV/AIDS heute eher um ein medizinisches Randproblem.
Das ist bei den sozialen und psychosozialen Auswirkungen von HIV/AIDS jedoch anders zu beurteilen. Das größte gesellschaftliche Problem ist nach Einschätzung der Deutschen AIDS-Stiftung die Angst vor Diskriminierung und Stigmatisierung (12). Wer ein HIV-positives Testergebnis bekommt, hat einerseits natürlich Angst um seine körperliche Unversehrtheit und um die Zukunft. Aber er ist sicher immer auch unsicher, mit wem kann ich darüber sprechen, was bekomme ich für Reaktionen, was sagen mein Chef und meine Arbeitskollegen, wenn ich ihnen mitteile, ich bin „HIV-positiv“. Es ist immer noch so, dass viele denken, HIV-positiv-sein bedeutet automatisch „Krankheit“ und dadurch bedingter ständiger Arbeitsausfall. Wie bei vielen weiteren Stigmata, die Menschen mit HIV betreffen, handelt es sich hier jedoch meist um Vorurteile, denen mit Informationen, zum Beispiel über die oben berichtete berufliche Leistungsfähigkeit von HIV/AIDS-Patienten, entgegengewirkt werden kann.
HIV/AIDS in Subsahara-Afrika
Nach Angaben von UNAIDS lebten 2014 weltweit ca. 37 Millionen Menschen mit dem HI-Virus, ca. 50 % davon sind Frauen. Allein ca. 26 Millionen Erwachsene und Kinder lebten in Subsahara-Afrika, das am Schwersten betroffen ist. Die HIV-Prävalenzrate lag hier bei durchschnittlich 4,7 % der erwachsenen Bevölkerung und war damit etwa 50-mal höher als in Deutschland (7). Dahinter verbergen sich jedoch erhebliche Unterschiede. Während die Prävalenzraten in Zentral- und Ost-Afrika einen Wert zwischen 5 und 10 % der erwachsenen Bevölkerung aufweisen, betragen sie in Südafrika und weiteren angrenzenden Ländern des südlichen Afrikas ca. 20 % und liegen in einigen Landesteilen sogar noch höher. Die Zahl der Neuinfektionen mit dem HI-Virus liegt in Deutschland bei ca. 3000/Jahr, in Subsahara-Afrika jedoch bei 1,4 Millionen/Jahr. Erfreulich ist, dass diese Zahl seit 2000 um 35 % zurückgegangen ist (7).
AIDS ist in Subsahara/Afrika zur häufigsten Todesursache überhaupt geworden. Jeder fünfte Todesfall in Afrika ist inzwischen auf HIV/AIDS zurückzuführen, die Lebenserwartung ist in einigen Ländern um 20 Jahre gesunken. Weit über 10 Millionen Kinder wurden bereits zu Waisen. 2014 starben in Subsahara-Afrika ca. 790.000 Menschen an AIDS. Damit ist ein deutlicher Rückgang der AIDS-bedingten Todesfällen von 42 % seit 2005 zu verzeichnen, was auf einen breiteren Zugangs zur ART hindeutet (7).
Während in Deutschland vor allem schwule Männer von HIV/AIDS betroffen sind, ist der Hauptübertragungsweg in Subsahara-Afrika der heterosexuelle Geschlechtsverkehr, wobei sich mehr Frauen als Männer infizieren. Ein großes Problem ist aber auch die Mutter-Kind-Übertragung. Ohne adäquate Behandlung werden bis zu 40 % der Kinder HIV-infizierter Mütter ebenfalls infiziert. Mit einer effektiven antiretroviralen Behandlung lässt sich diese Quote auf unter 1 % senken.
Für die Länder mit niedrigem Einkommen in Subsahara-Afrika, den sogenannten armen Ländern, zu denen auch Uganda gehört, ist bedeutsam, dass antiretrovirale Medikamente immer noch sehr teuer sind und die für das Gesundheitswesen zur Verfügung stehenden Mittel dieser Länder weit überschreiten. Deshalb sind die meisten dieser Länder auf Medikamentenspenden internationaler Organisationen angewiesen (13).
In vielen Ländern Subsahara-Afrikas ist HIV/AIDS das größte gesundheitliche Problem noch vor Tuberkulose und Malaria (7). Eine der wichtigen Ursachen dafür ist, dass das HI-Virus wahrscheinlich schon in den 1920er bis 1930er Jahren des letzten Jahrhunderts in West-Afrika beim Übergang des Simian Immunodefiency Virus (SIV) vom Schimpansen auf den Menschen entstanden ist (7). Über mehrere Jahrzehnte konnte sich das HI-Virus bei den Menschen in Zentral- und Ostafrika unerkannt bis zur Erstbeschreibung von HIV/AIDS Anfang der 1980er Jahre in den USA ausbreiten. Die älteste bekannte HIV-positive Probe stammt aus dem Jahre 1959 aus Kinshasa im Kongo.
UNAIDS, ein Projekt der UNO für die weltweite Bekämpfung von HIV/AIDS, hat 2014 das 90-90-90 Ziel proklamiert. Danach sollten große Anstrengungen unternommen werden, um zu erreichen, dass bis 2020 90 % aller HIV-Infizierten diagnostiziert, 90 % davon antiretroviral behandelt und bei 90 % aller Behandelten eine Virussuppression erreicht ist, so dass HI-Virus nicht mehr nachzuweisen ist. Dann könne AIDS bis 2030 weltweit ausgerottet sein.
Auch wenn in den letzten 10 Jahren weltweit sicherlich Fortschritte bei der Behandlung erzielt worden sind, wird diese Zielsetzung in einer aktuellen Online-Publikation des renommierten British Medical Journal vom März 2017 als unrealistisch angesehen (14). Die heutige Situation wird so eingeschätzt: 2014/2015 waren von den weltweit 37 Millionen Menschen mit HIV nur 54% diagnostiziert, 41% wurden mit einer ART behandelt and 32% wiesen eine Virussuppression auf, das heißt, sie waren wahrscheinlich effektiv behandelt. Diese Zahlen zeigen, dass wir derzeit noch sehr weit davon entfernt sind, weltweit das 90-90-90-Ziel zu erreichen. Das gilt vor allem für die Länder mit niedrigem Einkommen in Subsahara-Afrika.
HIV/AIDS in Uganda
Mitte der 1980er Jahre wurde in Uganda mit ca. 15 % eine der damals höchsten Prävalenzraten für HIV in der erwachsenen Bevölkerung (Alter 15 bis 49 Jahre) in Subsahara-Afrika festgestellt. Mit Unterstützung von UNAIDS wurde eine große Präventionskampagne gestartet. Basis war die ABC-Regel, wobei A für Abstinence (Enthaltsamkeit), B für Be faithfull (Treue zum Partner) und C für Condomise (Kondombenutzung) steht. Mit dieser Kampagne, von der noch heute große Plakate an den Hauptverkehrsstraßen Zeugnis ablegen und die unter anderem mit täglichen eindringlichen Appellen im Rundfunk begleitet wurde, soll es gelungen sein, die HIV-Prävalenzrate auf ca. 5 % zu senken. Bei unserem Besuch im Frühjahr 2013 wurde uns berichtet, dass die Prävalenzrate aber in den letzten Jahren wieder angestiegen sei und bei 7,6 % liege.
HIV/AIDS ist auch heute noch in Uganda eines der größten gesundheitlichen Probleme mit einer hohen Mortalitätsrate unter den jüngeren Erwachsenen. Durch den frühzeitigen Tod der Eltern werden viele Kinder zu Waisen. In Uganda wird die Zahl der AIDS-Waisen auf 1,2 Millionen geschätzt, die vor allem in den Familien der Angehörigen mit großgezogen werden müssen. Die meisten Familienväter, mit denen ich bei meiner Reise Kontakt hatte, berichteten von 1 bis 2 Waisen, die zusätzlich zu den eigenen Kindern betreut werden müssen.
Anfang 2013 wurde ein Gesetz für eine obligate HIV-Testung aller Patienten, die in Krankenhäusern behandelt werden, verabschiedet. Nach den Informationen, die wir in der Medizinischen Hochschule von Ishaka im Bezirk Bushenyi erhielten, stehen für die ART auf Grund von Spenden internationaler Organisationen in Uganda antiretrovirale Medikamente zur Verfügung (13). Die wenigsten Kranken in den ländlichen Gebieten, in denen ca. 80 % der Bevölkerung lebt und es kaum eine medizinische Grundversorgung gibt, dürften jedoch Zugang zu einer effektiven ART haben.
Auch die Prävention der HIV-Infektion stößt in Uganda weiterhin auf große Barrieren. Kondome sind nur eingeschränkt verfügbar, zu teuer oder oft von schlechter Qualität und werden darüber hinaus von vielen Männern nicht akzeptiert. Die katholische Kirche, der etwa 40 % der Bevölkerung angehören, und evangelikale Sekten, die immer mehr Anhänger finden, sind strikt gegen den Kondomgebrauch. Bei Männern sind parallele sexuelle Kontakte mit mehreren Partnerinnen weit verbreitet. Auch die Polygamie ist noch teilweise anerkannt. Große Bedeutung hat die Armutsprostitution, wobei viele Prostituierte HIV-infiziert sind.
Generell hat die untergeordnete gesellschaftliche Stellung der Frau zur Folge, dass die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen eingeschränkt ist. Eines der größten Probleme ist, dass HIV/AIDS weiterhin stigmatisiert und tabuisiert ist und deshalb die Aufklärung über die HIV-Erkrankung und deren Prävention schwierig ist.
HIV/AIDS in Südafrika
In den 1980er und frühen 1990er Jahren waren die Prävalenzraten für HIV in der erwachsenen Bevölkerung niedrig (unter 1 %). Seit Mitte der 1990er Jahre ist es jedoch zu einem fulminanten Anstieg bis auf 20 % und mehr in einigen Landesteilen gekommen.
Tragisch ist, dass unter der Präsidentschaft von Thabo Mbeki, dem Nachfolger von Nelson Mandela, HIV/AIDS von staatlicher Seite verleugnet wurde (15, 16). Eine Mitverantwortung dafür tragen auch westliche AIDS-Dissidenten, von denen sich die südafrikanische Regierung damals beraten ließ. Die Folgen waren katastrophal: Obwohl Südafrika (im Vergleich zu Uganda) über ein wesentlich höheres Bruttosozialprodukt verfügt und zu den Ländern mit mittlerem Einkommen, den sogenannten Schwellenländern, zählt, gab es 10 Jahre lang keine staatliche Unterstützung für die ART, keine medikamentöse Prophylaxe für Neugeborene HIV-positiver Mütter, obwohl antiretrovirale Medikamente zur Verfügung standen, und die Prävention wurde vernachlässigt, da von Regierungsseite in Frage gestellt wurde, ob die HIV-Infektion die Ursache von AIDS ist.
Seit etwa 2008 gibt es in Südafrika aber eine neue HIV/AIDS-Politik: Ein staatliches ART-Programm mit mehreren 100.000 behandelten AIDS-Patienten, die kostenlos antiretrovirale Medikamente erhielten, wurde aufgelegt, alle Schwangeren wurden auf HIV getestet, durch eine antiretrovirale Behandlung von HIV-positiven Schwangeren ist es zu einer deutlichen Verminderung der Neu-Infektionsrate bei Neugeborenen gekommen und große Präventionskampagnen wurden gestartet.
2011 lebten in Südafrika 5,6 Millionen Menschen, die HIV-positiv waren, das sind 17,6 % der Bevölkerung. Darunter waren 500.000 Kinder und 5,1 Millionen Erwachsene (15 bis 49 Jahre), davon 2,9 Millionen Frauen und 2,2 Millionen Männer. 2013 gab das südafrikanische Gesundheitsministerium eine erschreckende Statistik heraus, wonach 28 % aller Schülerinnen (Mädchen unter 15 Jahren) HIV-infiziert waren, dagegen nur 4 % der männlichen Schüler (17).
Die zuletzt angeführten erschütternden Zahlen sprechen dafür, dass für die AIDS-Katastrophe in Südafrika neben dem Verlust von 10 Jahren der Aufklärung und Behandlung durch die Politik der AIDS-Leugnung und den schon oben im Abschnitt Uganda aufgeführten Ursachen weitere Gründe anzuführen sind, zum Beispiel, dass in der Provinz Ostkap Mädchen gezwungen wurden, ältere HIV-positive Männer zu heiraten, da manche Männer daran glaubten, dass Sex mit Jungfrauen sie heilen könne (17).
Auswirkungen der HIV-Epidemie in Subsahara-Afrika
Es lassen sich demographische, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen der HIV-Epidemie in Subsahara-Afrika unterscheiden.
In demographischer Hinsicht ist AIDS die wichtigste Todesursache noch vor Tuberkulose und Malaria und für jeden 5. Todesfall verantwortlich (7). Von AIDS betroffen sind vor allem junge Erwachsene im Alter von 25 bis 34 Jahren. In den Ländern mit den höchsten HIV-Prävalenzraten hat die Erkrankung zu einer dramatischen Senkung der durchschnittlichen Lebenserwartung geführt. Betrug sie dort in den 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre des letzten Jahrhunderts noch etwa 60 Jahre, so ist sie für den Zeitraum 2005 bis 2010 auf etwa 40 Jahre abgesunken (15). Zu diesen Ländern mit der niedrigsten Lebenserwartung gehören neben Südafrika Swasiland, Lesotho, Namibia, Botswana, Sambia, Simbabwe und Malawi. Laut UNAIDS soll allerdings in Südafrika in den letzten 10 Jahren die durchschnittliche Lebenserwartung wieder deutlich angestiegen sein (18).
Zu besonders katastrophalen sozialen Auswirkungen ist es im Bildungsbereich und im Gesundheitswesen gekommen, da hier viele gut ausgebildete jüngere Beschäftigte an AIDS gestorben oder deswegen vorzeitig ausgefallen sind (15, 16). Daneben sind hohe soziale Belastungen durch die AIDS-Waisen entstanden. Man schätzt ihre Gesamtzahl auf ca. 10 Millionen in Subsahara-Afrika. Das sind fast 20 % aller Kinder unter 15 Jahren. Ein Viertel aller Familien hat AIDS-Waisen aufgenommen.
Nicht zuletzt sind verheerende wirtschaftlichen Auswirkungen zu verzeichnen. Durch den vorzeitigen Tod bzw. Ausfall vieler Menschen im produktiven Alter durch HIV/AIDS erlitt die Wirtschaft massive Einbrüche und es ist zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen und industriellen Produktion und des Wachstums um etwa ein Drittel gekommen (19).
Lebensgeschichten von Menschen mit HIV/AIDS in Afrika
2007 erschien die kanadische Originalausgabe und im selben Jahr die deutsche Übersetzung des herausragenden Buches von Stephanie Nolen mit dem Titel „28 stories über aids in afrika“ (20). Die kanadische Journalistin, die lange Jahre im südafrikanischen Johannesburg gelebt und von dort viele Reisen kreuz und quer durch Subsahara-Afrika unternommen hat, erzählt von 28 Frauen, Männern und Kindern, und jede der Geschichten steht für etwa 1 Million Menschen in Subsahara-Afrika, die dort um ihr Leben kämpfen.
In dem Buch begegnen wir Frauen und Männern, aber auch Jugendlichen wie zum Beispiel Tigist Haile Michael, einer 14-jährigen Waise aus Äthiopien, die sich und ihren kleinen Bruder in den Slums von Addis Abeba durchbringt, oder Alice Kadzanja, einer infizierte Krankenschwester aus Malawi, wo jeder Sechste HIV-positiv ist und die Lebenserwartung 36 Jahre beträgt, oder Zackie Achmat, dem südafrikanischen Helden im Kampf gegen HIV/AIDS.
Zackie ist seit seiner Jugend ANC-Mitglied und Polit-Aktivist, der 1998 die Treatment Action Campaign (TAC) in Südafrika gegründet hat. Diese kämpfte mit zahlreichen öffentlichkeitswirksamen Kampagnen für die Zulassung von kostengünstigen antiretroviralen Medikamenten (Generika) gegen die Macht der internationalen Pharmakonzerne, die sich auf die internationalen Patentschutz-Abkommen für ihre (überteuerten) Arzneimittel beriefen, aber auch gegen die AIDS-Politik der südafrikanischen Regierung.
Zu den Menschen, denen wir in dem Buch begegnen, gehört auch Nelson Mandela, der 2005 in Johannesburg Medienvertretern bekannt gab: „Wir haben sie heute zusammengerufen, um Ihnen mitzuteilen, dass mein Sohn an AIDS verstorben ist“. Es war sein letzter noch lebender Sohn gewesen. Weiter sagte er: „Lasst uns die Krankheit öffentlich machen und sie nicht verstecken, denn offen mit ihr umzugehen und zu sagen, dass jemand an AIDS gestorben ist, ist die einzige Möglichkeit, sie als normale Krankheit wie Tuberkulose und Krebs anzusehen“.
Nelson Mandela hatte erst mit einiger Verspätung das schreckliche Ausmaß der Epidemie in seinem Land erkannt. Er hat dann aber nach dem Rückzug vom Amt des Staatspräsidenten mit seiner ganzen Autorität gegen die Stigmatisierung der Menschen mit HIV/AIDS gekämpft, aber auch gegen die Verleugnung der Krankheit und für die Finanzierung einer effektiven ARV-Therapie für alle betroffenen Südafrikaner. 2002 hatte er Zackie Achmat vor laufenden Fernsehkameras umarmt und trug dabei ein T-Shirt mit der Aufschrift „HIV-POSITIV“.
Auch wenn die Erstveröffentlichung des ergreifenden Buches von Stefanie Nolen schon 10 Jahre zurückliegt, ist es weiterhin hochaktuell. Es erzählt, wie das Virus funktioniert, wie es sich ausbreitet und wie es tötet. Es erklärt den fatalen Zusammenhang zwischen HIV/AIDS und Konflikten wie Hungerepidemien und dem Kollaps vieler afrikanischer Länder. Wir sehen auch, wie leicht AIDS sich behandeln lässt, wenn man das Glück hat, wirksame Medikamente zu bekommen, und wie der Kampf ums Überleben für diejenigen aussieht, die nicht behandelt werden.
Fazit
HIV/AIDS ist in Deutschland auf Grund der relativ geringen Zahl der Betroffenen und der Erfolge der antiretroviralen Therapie eher ein medizinisches Randproblem. Viele Betroffene leiden jedoch in psychosozialer Hinsicht unter Diskriminierungen und Stigmata.
HIV/AIDS hat sich in den letzten Jahrzehnten von Zentralafrika über Ostafrika in das südliche Afrika ausgebreitet, wo derzeit die höchsten HIV-Prävalenzraten festzustellen sind.
Für die am meisten betroffenen Länder in Subsahara-Afrika gilt: Keine Ökonomie der Welt kann den Verlust von einem Viertel bis einem Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung bei gleichzeitiger Zunahme der sozialen Lasten für Kranke und Waisen allein aus eigener Kraft tragen.
Es wird Zeit, HIV/AIDS als einen Faktor anzuerkennen, der in Subsahara-Afrika völlig neue soziale und wirtschaftliche Bedingungen geschaffen hat.
Deshalb reicht der „Selbsthilfeansatz“ in der Entwicklungspolitik für die in starkem Maße von HIV/AIDS betroffenen Länder nicht aus. Mehr Solidarität von Seiten der europäischen Länder ist dringend geboten. Das betrifft nicht nur die (kostenlose) Zurverfügungstellung von effektiven antiretroviralen Medikamenten, sondern auch die Unterstützung beim Aufbau einer modernen medizinischen Grundversorgung vor allem für die ländliche Bevölkerung in den ärmsten Ländern, ohne die eine flächendeckende erfolgreiche medizinische Behandlung von HIV/AIDS eine Illusion bleibt.
Zu fordern ist darüber hinaus, dass eine praktizierte Solidarität im obigen Sinne sich verbinden muss mit einer Politik, die die Konzerne der westlichen Welt zwingt, faire Wirtschaftbeziehungen mit den afrikanischen Ländern zu entwickeln, damit sich der Ressourcen-Reichtum von Subsahara-Afrika für die Mehrheit der dortigen Bevölkerung nicht weiterhin zum Fluch entwickelt. Zu dieser Thematik verweise ich auf das aktuelle Afrika-Buch von Tom Burgis mit dem Titel „Der Fluch des Reichtums“ (21).
Literaturangaben und Links:
- Kolenda KD, Hoffmann C. Rehabilitation, sozialmedizinische Beurteilung und Beratung bei HIV-infizierten Patienten. Die Rehabilitation 2006; 45: 102- 109
- Kolenda KD. HIV und Rehabilitation. In: Hofmann/Jäger (Hrsg.): HIV/AIDS. Wunschwelt - Heilung. Evidenz für Fortschritt oder Stillstand. Druck: Kessler, Boblingen 2006, S. 269- 270
- Johnsen K, Kolenda KD. Rehabilitation bei HIV-infizierten Patienten. Schlesw Holst Ärztebl 1/2009; 62: 49- 55; zugleich: Schattenblick (elektronische Zeitschrift) AIDS/739
- Hoffmann C, Kolenda KD: HIV-Infektion und AIDS. In: Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung. Springer Verlag Berlin-Heidelberg, 7. Auflage 2011, S. 259- 268
- Kolenda KD: Uganda setzt auf obligatorische HIV-Tests, Heiler und viel Tatkraft. Schlesw Holst Ärztebl 4/2013; 67: 46-47
- Kolenda KD. HIV/AIDS in Subsahara-Afrika. 1. Teil: Mehr Solidarität für die von AIDS betroffenen Länder erforderlich. Schlesw Holst Ärztebl 11/2014; 67: 54- 56
- Hoffman C, Rockstroh JK. HIV 2016/2017, www.hivbuch.de Medizin Fokus Verlag, Hamburg 2016, S. 2-13; https://hivbuch.files.wordpress.com/2017/04/hiv2016-17_fix.pdf
- https://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=37267
- https://www.aidshilfe.de/hiv-statistik-deutschland-weltweit
- Mocroft A, et al. AIDS across Europe, 1994-1998: the Euro SIDA Study. Lancet 2000; 356: 291-296
- Carstensen K, et al. The impact of highly active antiviral therapy on sociomedical assessment in HIV-infected patients undergoing rehabilitation measures: a monocentric study of more than 800 patients. Oral presentation V11, 10. Deutsch-Österreicherischer AIDS-Kongress, Wien, June 1.- 4., 2005. Eur J Med Res2005, 10 (Suppl II): 28
- https://de.sputniknews.com/german.ruvr.ru/2013_12_02/Der-AIDS-Welttag-Das-gro-te-Problem-bei-HIV-Positiven-ist-Angst-vor-Diskriminierung-9050/
- Camp R: 6.13. Global Access to HIV-Treatment. In: HIV 2012/2013, www.hivbook.com. Edited by Hoffmann C and Rockstroh JK, Medizin Fokus Verlag, Hamburg 2012, S. 254 ff
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5435269/
- Kalichman S: Denying AIDS. Conspiracy Theories, Pseudoscience, and Human Tragedy. Springer Science and Business Media, 2009
- Cameron E. Tod in Afrika. Mein Leben gegen AIDS. Verlag CH Beck, München 2007
- Spiegel-online vom 23.3.2013. AIDS in Afrika. Fast ein Drittel aller Schulmädchen ist HIV-positiv.
- http://www.unaids.org/en/resources/documents/2015/MDG6_15years-15lessonsfromtheAIDSresponse
- Goldberg J. Überleben im Goldland: Afrika im globalen Kapitalismus. Papy Rossa, Köln 2008
- Nolen S. 28 stories über aids in Afrika. Piper, München- Zürich, 2007
- Burgis T. Der Fluch des Reichtums. Warlords, Konzerne, Schmuggler und die Plünderung Afrikas. Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main, 2016