In der Anfrage möchte Jelpke wissen, ob es Kooperationen der Bundesregierung mit Vereinen der Gülen-Bewegung in Deutschland gibt. Hintergrund sind Pressemeldungen über geflüchtete Gülen-Anhänger, denen der türkische Geheimdienst MIT auf den Fersen ist. Allerdings verweigert die Bundesregierung eine Antwort mit der Begründung, die Funktionsfähigkeit der Geheimdienste würde sonst berührt. Was bedeutet, dass geflüchtete oder von der Türkei gesuchte Gülen-Anhänger hier problemlos Asyl erhalten und vor dem Zugriff des MIT geschützt werden.
„Allein im Jahr 2017 stellten rund 8.000 türkische Staatsbürger einen Asylantrag, in den ersten drei Monaten dieses Jahres knapp 2.000. Die Neuankömmlinge werden bei Gülen-nahen Vereinen wie der ‚Aktion für Flüchtlingshilfe‘ in Berlin betreut. Dort erhalten sie Rechtsberatung und Hilfe auf der Suche nach Sprachkursen, Jobs und Wohnungen. Die Asyl-Anerkennungsquote unter den Antragstellern ist nach Angaben der Bewegung hoch. In Berlin etwa liege sie bei rund 90 Prozent“, schreibt die Deutsche Welle hierzu.
Zweierlei Maß
Wenn man sich allerdings den Umgang der Bundesregierung mit Geflüchteten ansieht, die die Türkei der Zugehörigkeit zur linken Arbeiterpartei PKK bezichtigt oder kurdischen Politikern, die wegen angeblicher PKK-Unterstützung auf einer Todesliste des MIT stehen, ist die Frage berechtigt, ob hier nicht mit zweierlei Maß gemessen wird.
Da ist zum Beispiel Yüksel Koc, der Co-Vorsitzender des Demokratischen Gesellschaftskongresses der Kurden in Europa, auf den im vergangenen Jahr ein Killer im Auftrag des MIT angesetzt war. Dieser Politiker erhielt jedenfalls keinen Polizeischutz.
Man darf gespannt sein, wie die bundesdeutschen Behörden mit den vielen geflüchteten oppositionellen Journalisten, Wissenschaftlern und Politikern a]( der Türkei umgehen, die hier um Asyl ersuchen. In den letzten zwei Jahren gab es immer wieder Bestrebungen, die Türkei zum sicheren Herkunftsland zu erklären.
Interpol als Werkzeug Erdogans
Ein weiteres Problem stellen die sogenannten „Red notice“ von Interpol dar. Die Türkei bedient sich dieses Instrumentes, um Oppositionelle in Europa ausfindig zu machen und ausliefern zu lassen.
Ein bekanntes Beispiel ist der Fall des Schriftstellers Dogan Akhanli, der in Deutschland lebt und während seines Spanienurlaubes aufgrund einer „Red notice“ verhaftet wurde. In diesem prominenten Fall ist es gelungen, die Auslieferung abzuwenden.
Nun wurde ein weiterer Fall bekannt: der eines in Hamburg lebender Geschäftsmanns, der ebenfalls der linken Opposition angehört. Aufgrund einer Interpol-Fahndung wurde er in Italien verhaftet. Auch ihm drohte die Auslieferung in die Türkei.
Und: Ein weiterer Fall ereignete sich in den letzten Tagen erneut in Spanien, wo ein Tübinger Busfahrer aufgrund einer „Red Notice“ im Urlaub verhaftet wurde.
Seine Auslieferung konnte noch nicht sicher abgewendet werden. Da er nicht über einen Promi-Bonus verfügt, wird sein Fall in den Medien kaum beachtet.
Im Fall von Gülizar Taşdemir, einer kurdischen Frauenaktivistin und ehemaligen Guerillakämpferin, die erst in Norwegen und dann in Deutschland um Asyl bat, wurde dem Auslieferungsbegehren der Türkei stattgegeben.
Deutschland schob die schwer kranke Frau nach Norwegen ab, dort wurde sie in einer Nacht und Nebel-Aktion verhaftet und an Händen und Füssen gefesselt mit einer Militärmaschine nach Istanbul geflogen und den dortigen Behörden übergeben. Seitdem ist die Frau verschwunden. Keiner, weder ihre Familie noch ihre Anwälte, weiß , wo sie ist oder ob sie überhaupt noch lebt.
Die Hizmet-Bewegung – eine subversive Geheimorganisation?
Doch zurück zur Gülen-Bewegung. Es stellt sich die Frage, warum gerade Gülen-Anhänger den besonderen Schutz der deutschen Geheimdienste genießen. Es handelt sich auch bei ihnen um eine islamistische Bewegung. Im Kern ist sie ähnlich autoritär und menschenverachtend wie Erdogan und seine AKP. Nicht umsonst waren die beiden bis vor wenigen Jahren beste Freunde – solange bis Gülen bei Erdogan in Ungnade fiel, weil er seine Anhänger an Schaltstellen des Staatsapparats geschleust hatte und deshalb eine Machtkonkurrenz darstellte.
Noch im Juni dieses Jahres schrieb die ZEIT, dass die Bundesregierung zu einer „kritischen Bewertung“ der Gülen-Bewegung gekommen sei. Das Auswärtige Amt nehme die Bewertung seiner türkischen Quellen „zunehmend ernst“, dass es sich bei der Bewegung um eine Organisation handele, die den Staat unterwandern wolle, berichtet die ZEIT.
Aus einem internen Bericht der Deutschen Botschaft in Ankara vom Februar 2018 soll hervorgehen, dass „Gülen-Kader über Jahrzehnte hinweg gezielt staatliche Institutionen in der Türkei, insbesondere Polizei und Justiz, unterwandert hätten“. Ein ehemaliger hochrangiger Funktionär der Bewegung in Deutschland berichtet ebenfalls im Juni von geheimen Parallelstrukturen, denen selbst hochrangige deutsche Politiker auf den Leim gegangen sind:
„Ich würde die Gülen-Sekte als geheime Parallelstruktur bezeichnen. Und sie ist deswegen gefährlich, weil es einen Schein nach außen gibt, der nicht der Realität entspricht (...). Nach außen zeigen sich die Gülen-Vereine weltoffen. Sie betreiben Schulen, bieten Sprachkurse an. In der Vergangenheit schmückte man sich mit prominenten Fürsprechern wie der früheren Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth. Oder dem Fußballprofi Ilkay Gündogan.“
In Berlin unterhält die Gülen-Bewegung unter anderem die Stiftung „Dialog und Bildung“, in Deutschland gibt es zudem noch den „Bund deutscher Dialoginstitute“ und den „Bundesverband der Unternehmervereinigungen“. Auch die – mittlerweile eingestellte – Zeitung „Zaman-Europa“, mehrere TV-Sender und das online erscheinende Deutsch-Türkische-Journal (DTJ) gehören zur Gülen-Bewegung.
Alle Institutionen waren bemüht, ein liberales, weltoffenes Image nach außen zu tragen. Sie organisierten Sprach- und Bildungsreisen für deutsche Bildungsbürger und führten sie in der Türkei in Vorzeigeschulen, Krankenhäuser etc.
Selbst große Kirchengemeinden hegen Sympathien für die angeblich liberalen Islamprediger: In Berlin sind beispielsweise Gülen-Vertreter Partner der Evangelischen Kirche beim geplanten „House of One“, in dem die drei monotheistischen Religionen gemeinsam beten sollen. Der katholische Herder-Verlag veröffentlicht schon seit Jahren Bücher Fethullah Gülens und die seiner Anhänger. Die dahinterstehenden hierarchischen Strukturen kannte niemand.
Diese Strukturen scheuten auch nicht davor zurück, Druck auf die hiesigen Medien auszuüben:
„Vor Jahren zahlt die Bewegung einen Millionenbetrag an die umstrittene PR-Firma ‚Burson Marsteller‘. Die Firma steht in der Kritik, weil sie schon Krisen-Beratung für Militärregime gemacht hat. Die Firma sollte nicht nur das Image der Gülen-Bewegung aufpolieren. Ziel war es auch, Berichterstattung zu beeinflussen. Sie legte Dossiers über kritische Journalisten an. Und sie ging gegen eine Fernsehdokumentation des WDR vor, die sich schon damals kritisch mit der Bewegung auseinandersetzte“. Die freie Autorin Cornelia Übel, die sich seit Jahren mit der Hizmet-Bewegung beschäftigt, berichtet in dem Report-Beitrag: „Wenn man sieht, dass sie nach außen hin Dialog als ‚Markenkern‘ einer deutschen Öffentlichkeit verkaufen und im Hintergrund so viel Geld ausgeben, um deutsche Medien so am Gängelband durch die Arena zu führen, wie es ihnen passt, dann ist das ganz klar ein subversives, konspiratives Verhalten.“
Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen warnte: Fethullah Gülen sei nie ein Reformtheologe gewesen, der Dialog mit Nicht-Gläubigen sei nur ein Mittel zum Zweck.
Gülenanhänger in deutschen Institutionen
In der Medienbranche sind Mitglieder der Gülen-Bewegung ebenfalls vertreten. Dies geht aus einer Recherche der Deutschen Welle (dw) hervor.
Da ist zum Beispiel die Werbe- und Medienagentur „Pinien Art & Media“ in Hilden (NRW), deren Mitbegründer der Druckerei-Unternehmer Erkan Köktas ist. Er bestätigt dw auf Anfrage seine Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung. Köktas ist zudem auch Vorsitzender des Vereins „Deutsch-Türkischer Journalismus und Recherche e.V.“, der das „Deutsch-Türkische Journal“ DTJ betreibt.
Die beiden ehemaligen Zaman-Mitarbeiter Hüseyin Topel und Fatih Aktürk sind auf der Homepage ebenfalls als Gründer benannt und für die journalistischen und redaktionellen Inhalte der Seite zuständig. Topel und Aktürk arbeiten auch als freie Autoren für verschiedene deutsche Medien wie zum Beispiel 2017 für das ARD-Magazin „Monitor“.
Als Co-Autor berichtete Topel über die Folgen der türkischen Repressionen gegen Gülen-Anhänger. In weiteren Beiträgen ging es um deren Schwierigkeiten, in Deutschland als Asylbewerber anerkannt zu werden und über die Entlassung hochrangiger Manager von Turkish Airlines in Deutschland. Dass Topel für die Agentur „Pinien Art & Media“ mit Erkan Köktas verantwortlich ist, scheint für den WDR unbedenklich:
„Der WDR sieht in der Beschäftigung Herrn Topels mit Beiträgen über Gülen-Anhänger kein Problem: Herr Topel hat bereits zu Beginn der Zusammenarbeit der Redaktion Monitor gegenüber offengelegt, dass er über gute Beziehungen zu Gülen-Anhängern verfügt. Seine frühere Tätigkeit bei „Zaman“ hat er der Redaktion mitgeteilt, auch seine Tätigkeit für die von Ihnen genannte Agentur (Pinien Art & Media, Anm. d. Red.). Über die Tätigkeiten von Herrn Köktas und dessen von Ihnen behauptete Beziehung zur Gülen-Bewegung ist der Redaktion nichts bekannt. Es ist auch nicht üblich, dass die Redaktion über die Gesinnung von Geschäftspartnern von Autoren Nachforschungen anstellt.“
Auch das ARD-Magazin „Kontraste“, für das Topel im Frühjahr 2018 als Co-Autor einen Beitrag über Erdogans Kriegspropaganda in Deutschland mit produzierte, hatte keinerlei Bedenken, einen Gülen-Anhänger mit solchen Beiträgen zu betrauen.
Im Deutschlandfunk berichtete er am 22. August 2016 in der Sendung „Tag für Tag“ über die Theologie Gülens. Lediglich dem ZDF kamen Bedenken. Dort ist Topel unter anderem für das Magazin „Frontal 21“ tätig. 2017 verfasste er einen Beitrag über Erdogans Repressionsapparat mit, in dem auch Ercan Karakoyun, Vorsitzender der Gülen-nahen Stiftung Dialog und Bildung vorkam. Die Pressestelle des ZDF teilte mit:
„Grundsätzlich unterliegen freie Mitarbeiter keiner Genehmigungspflicht für die Ausübung anderweitiger Tätigkeiten. Dennoch führen die zuständigen ZDF-Redaktionen mit Hüseyin Topel Gespräche über seine weiteren Tätigkeitsfelder als deutsch-türkischer Journalist.“
Topel selbst bestreitet allerdings, Gülen-Anhänger zu sein. Der dritte Mitbegründer der Medienagentur, Fatih Aktürk, berichtete in der Vergangenheit neben dem DTJ unter anderem auch für Cicero-Online, die Huffingtonpost und die Südwestpresse (swp) über Erdogans Repressionspolitik.
Sympathien deutscher Dienste für die Gülenbewegung?
Woher kommt das wohlwollende Engagement der deutschen Dienste für die Gülen-Bewegung und die Ausblendung ihrer subversiven Tendenzen? Für den Chef des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl etwa, handelt es sich bloß um eine „zivile Vereinigung zur religiösen und säkularen Weiterbildung“.
Eine 2014 eingerichtete Arbeitsgruppe mehrerer Verfassungsschutzbehörden kommt zu dem Ergebnis „dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen“. Merkwürdig ist auch, dass das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg eine gegenteilige Auffassung hatte und im Juli 2014 einen umfangreichen Bericht mit kritischen Anmerkungen zu Gülen auf seiner Onlineseite veröffentlichte.
Nach dem Putschversuch im Juli 2016 wurde der Bericht jedoch mit dem Argument von der Seite genommen, der Bericht sei nie für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen. Das klingt wenig plausibel: zwei Jahre lang ist ein politisch sensibler Bericht online, der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist?
Könnte es nicht sein, dass der Gülen-kritische Bericht nach dem Putschversuch verschwand, damit man gegenüber der Türkei nicht in Erklärungsnöte kommt, weil man ihnen Asyl gewährt? Will man sich in Deutschland etwa die Hizmet-Bewegung warmhalten und Gülen und seine Leute als mögliche Alternative für die Zeit nach Erdogan aufbauen? Zwar ist grundsätzlich zu begrüßen, dass die Bundesregierung anerkennt, dass es in der Türkei keine Rechtsstaatlichkeit mehr gibt und auf Auslieferungen verzichtet.
Dies ist jedenfalls der Antwort auf die Kleine Anfrage zu entnehmen, die von fast 120.000 festgenommenen oder inhaftierten, vermeintlichen oder realen Anhängern von Gülen berichtet. Grund der Verhaftung seien so nichtige Anlässe wie das Abonnement einer „falschen“ Zeitung oder ein Konto bei der „falschen“ Bank.
Daher müsste die Diskussion, die Türkei auf die Liste der sicheren Herkunftsländer zu setzen, sofort beendet werden und allen Geflüchteten aus der Türkei sollte Asyl gewährt werden. Schließlich ist davon auszugehen ist, dass den „rückgeführten“ Menschen Folter und gegebenenfalls der Tod droht.
Gülen-Anhänger im Visier des türkischen Geheimdienstes...
Im April berichtete die Huffingtonpost von Mord- und Entführungsplänen von Erdogankritikern in Deutschland und den Niederlanden. Die Pläne konnten durch mehrere alarmierte, europäische Dienste verhindert werden. Dies bedeutet allerdings keine Entwarnung. Der türkische Geheimdienst MIT soll über eine eigene Sondereinheit für Auftragsmorde und Entführungen im Ausland verfügen. Besonders im Visier sind neben vermeintlichen PKK-Anhängern die Mitglieder der Hizmet-Bewegung.
Der türkische Präsident Erdogan bezichtigt den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen als eigentlichen Drahtzieher des Putschversuchs. Beweise dafür gibt es nicht, jedoch ist bis zum Putschversuch eine Unterwanderung des Militärs und der Polizei durch Gülen-Anhänger nicht von der Hand zu weisen.
Erdogan hatte deshalb schon lange vor dem Putschversuch damit begonnen, Anhänger seines größten islamischen Konkurrenten aus dem Staatsdienst zu entfernen. Im Zuge der Säuberungsaktionen nach dem Putschversuch wurden dann über 120.000 Menschen als angebliche Mitglieder oder Sympathisanten der Gülen-Bewegung oder der PKK, aus dem Staatsdienst entlassen.
Über 40.000 Menschen wurden inhaftiert. Von den weltweit rund 800 Gülen-nahen Schulen in 150 Ländern mussten auf Druck der Türkei viele schließen – vor allem in muslimischen Ländern wie dem Kosovo, Malaysia und Katar. Nur wenige Stunden nach dem Putschversuch präsentierte Erdogan eine Liste von tausenden angeblichen Gülenisten, woraufhin Zehntausende das Land fluchtartig verließen. Einige flohen auch nach Deutschland.
...in Deutschland
Einer davon ist Adil Öksüz, er soll sich zwischenzeitlich im Berliner Bezirk Neukölln aufgehalten haben. Ihm wird von der Türkei vorgeworfen, einer der Drahtzieher des Putschversuches gewesen zu sein. Er soll die Gülen-Anhänger bei der türkischen Luftwaffe angeleitet haben und wird als „Imam der Luftwaffe“ bezeichnet. Aufnahmen, die ihn am Abend des Putschversuches auf der Luftwaffenbasis Akincilar bei Ankara zeigen, sollen seine Beteiligung am Putschversuch beweisen.
Der Berliner Tagesspiegel berichtete im Juni über eine „Red Notice“ von Interpol und ein Auslieferungsbegehren der Türkei, das das Bundesjustizministerium jedoch ablehnte. Die unter staatlicher Kontrolle der türkischen Regierung stehende Nachrichtenagentur Anadolu veröffentlichte die Wohnadresse von Öksüz, daraufhin brachten ihn der deutsche Staatsschutz an einen unbekannten Ort – wohl um einen Zugriff des MIT zu verhindern.
Doch nicht nur der Name Öksüz wurde in den türkischen Medien mit Straße und Postleitzahl veröffentlicht: Ein türkischer Journalist filmte das Klingelbrett des Neuköllner Mietshauses mit allen Namen der Hausbewohner, filmte den Flur des Vorderhauses, den Hinterhof und den Eingang zum Seitenflügel.
Der designierte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel versprach allerdings bei einem Treffen mit Çavuşoğlu schon im Januar in Goslar, sollten ausreichende Beweise gegen Adil Öksüz vorliegen, würden deutsche Behörden aktiv werden. Allerdings sei ihm nicht bekannt, dass sich Öksüz in Deutschland aufhalte. Naja, das ist wohl Diplomatie...
Unterdessen sammelt Erdogan fleißig deutsche Geiseln, mit denen er die Bundesregierung unter Druck setzen kann: Ende Juli wurde ein Hamburger SPD-Mitglied im Türkeiurlaub festgenommen. Ihm wird – wie allen – „Terrorpropaganda“ vorgeworfen. In der Türkei befinden sich derzeit mehr als 40 Deutsche in Haft. Andere wie die deutsche Journalistin Mesale Tolu stehen wie der amerikanische Pastor unter Hausarrest und dürfen die Türkei nicht verlassen.
Deutschland befindet sich wegen der Asylgewährung von Gülen-Funktionären in einer ähnlichen Position wie die USA: Von den USA fordert die Türkei die Auslieferung Gülens. Dies lehnten die USA bislang ab.
Die Türkei hält indes den Pastor Andrew Brunson als Geisel unter Hausarrest fest und versucht ihn gegen Gülen auszutauschen. Er soll gleichzeitig die Gülen-Bewegung und die PKK unterstützt haben. Beweise gibt es wie immer nicht.
Die USA reagierte nun mit Sanktionen gegen den Innenminister Soylu und Justizminister Abdülhamit Gül. Ihr Vermögen in den USA wurde eingefroren, niemand darf mit ihnen Geschäfte machen.
Der betroffene Innenminister droht nun seinerseits den USA, man werde sich in Amerika holen, was der Türkei gehöre. „Wir haben in Amerika einen Besitz: Fetö. Den werden wir nicht dort lassen. Wir werden ihn holen!“ Mit „Fetö“ ist der Prediger Gülen gemeint, der in den USA im Exil lebt. Dass der MIT dazu in der Lage ist, zeigen Beispiele aus mehreren Ländern:
...im Kosovo
Ende März dieses Jahres entführte der türkische Geheimdienst MIT sechs mutmaßliche Gülen-Anhänger aus dem Kosovo in die Türkei: 5 Lehrer und den Arzt Osman Karakaya. Die fünf Lehrer unterrichteten an einer Gülen-nahen Schule. Im Fernsehen wurden Aufnahmen gezeigt, wie einige Männer an einer Fernstraße mehrere Personen aus einem Auto zerrten.
In den türkischen Medien wurden Fotos der gefesselten Gülen-Anhänger vor türkischen Fahnen gezeigt, die aus der türkischen Botschaft in Pristina stammen könnten. Nun erklärte die türkische Regierung, dass dies kein Einzelfall war.
Der ehemalige Regierungssprecher Bekir Bozdag berichtete dem Sender Habertürk, es seien insgesamt 80 Gülenanhänger aus 18 verschiedenen Ländern „eingepackt und in die Türkei gebracht“ worden. Er lobte die Operationen des türkischen Geheimdiensts MIT im Ausland.
Erdogan Sprecher Ibrahim Kalin ergänzte, dass die Operationen keineswegs illegal seien. Im Kosovo beispielsweise seien die Rückführungen in Absprache mit den lokalen Behörden erfolgt. Diese hatten anscheinend die Aufenthaltsgenehmigungen der türkischen Staatsbürger, die ursprünglich bis 2022 gültig waren, für ungültig erklärt und so den Geheimdiensten die Arbeit erleichtert.
Allerdings waren nur Mitarbeiter des Innenministeriums und des kosovarischen Geheimdienstes nicht aber der kosovarische Ministerpräsident Ramush Haradinaj informiert. Als Folge mussten der damalige Innenminister Flamur Sefaj, dessen Ministerium die Abschiebung veranlasst hatte, und der kosovarische Geheimdienstchef ihren Hut nehmen (1).
Erdogan beschimpfte daraufhin den Ministerpräsidenten Haradinaj, was ihm denn einfalle, Unterstützer des Putschversuchs zu decken. An Haradinaj gerichtet drohte Erdogan:
„Dafür wirst du bezahlen!“
Medienberichten zufolge war ein Auslieferungsantrag der Türkei von der Staatsanwaltschaft im Kosovo sogar abgewiesen worden. Im Kosovo leben derzeit 51 Familien, von denen viele als Ärzte oder Lehrer in Gülen-nahen Institutionen arbeiten.
Der Kosovo ist bislang zwar das einzige europäische Land, in welchem der Geheimdienst Entführungen versuchte, aber es wird vermutlich nicht das letzte sein.
...in der Schweiz
Filmreif war auch eine Operation des MIT in der Schweiz im August 2016: Drei Mitarbeiter der türkischen Botschaft in Bern hielten ein konspiratives Treffen mit einem türkisch-schweizerischen Staatsbürger auf einem Friedhof in Zürich ab. Dort wollten sie ihn als Informanten gewinnen. Zwei weitere Treffen folgten. Konkret sollte er seinen Bekannten, einen Geschäftsmann, den die drei Herren als Gülen-Unterstützer ausgemacht haben wollen, aushorchen und ihm bei Gelegenheit KO-Tropfen ins Essen geben.
Den Rest würden die Herren übernehmen und den Mann außer Landes bringen. Dem türkisch-schweizerischen Staatsbürger soll eine Tasche mit viel Bargeld angeboten worden sein. Obwohl das Treffen auf dem Friedhof von zwei weiteren Miterbeitern des MIT gesichert wurde, konnte die Spionageabwehr der Schweiz das Geschehen sowie die Folgetreffen ebenfalls beobachten. Sie schaltete die Schweizer Bundesanwaltschaft ein, der Geschäftsmann wurde gewarnt und die Entführung fiel aus. Die Bundesanwaltschaft versuchte die Identität der Botschaftsmitglieder zu ermitteln und informierte das Außenministerium.
Noch bevor dieses die Ermittlungen genehmigen konnte, zog die Türkei die Botschaftsmitarbeiter ab. Im Parlament war man empört, als der Fall nach einem Jahr bekanntwurde. Der sozialdemokratische Nationalrat Carlo Sommaruga fordert nun den Rückruf des Schweizer Botschafters in Ankara und die Aussetzung der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen.
„Das ist eine aggressive Operation gegen die Souveränität unseres Landes, durchgeführt durch einen totalitären Staat gegen einen Schweizer Bürger. Jetzt ist der Moment, zu reagieren“, sagte Peter Regli, Ex-Chef des Geheimdienstes dem Westschweizer Radio.
...in Georgien
Drei türkischstämmige Stuttgarter Unternehmer investierten seit 23 Jahren Millionen in zweistelliger Höhe in sechs Privatschulen mit über 2.400 Schülern und eine Universität mit 2.000 Studenten.
Die Schulen und die Universität rechnet die Türkei zu den Gülen-nahen Institutionen. Bis vor kurzem wurden sie immer herzlich in Georgien empfangen. Nun wurde ihnen am Flughafen Tiflis die Einreise verweigert. Nur einen Tag nach dem Besuch des ehemaligen türkischen Premierministers Binali Yıldırım wurde der Schulleiter einer dieser Schulen, Mustafa Emre Çabuk, von der georgischen Polizei festgenommen.
Zwar hätte er sich in Georgien nichts zu Schulden kommen lassen, sagten die Polizisten bei seiner Verhaftung nach Aussage der Ehefrau. Die Festnahme sei ausschließlich auf Wunsch der Türkei erfolgt.
Schon seit längerem versucht die Türkei auf den Südkaukasus und damit auch auf Georgien Einfluss zu nehmen, berichtet Tabea -Rössner, Mitglied der Deutsch-Südkaukasischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Georgien ist wirtschaftlich stark von der Türkei abhängig.
Seit 2007 ist die Türkei der größte Handelspartner und einer der größten Investoren in Georgien. Über 500 türkische Firmen engagieren sich in Georgien. Über das offizielle türkische Hilfsprogramm ODA erhielt Georgien zudem über 101 Millionen Dollar Hilfsgelder.
Wie der Nordirak ist damit Georgien in den Fängen der Türkei und hat eine Bringschuld. Nicht anders ist die Aussage des georgischen Premiers Kwirikaschwili auf der Pressekonferenz mit Yildirim zu verstehen:
„Georgien wird mit allen zivilisierten Staaten gemeinsam gegen den Terrorismus kämpfen (...) Vor allem in unserer Region müssen wir gegen diese Quellen kämpfen. Anschließend müssen wir unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit stärken.“
...in Gabun
Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtet von der Entführung dreier Gülen-Anhänger aus dem westafrikanischen Gabun: Die Männer Osman Ö., İbrahim A. und Adnan D. seien vom Geheimdienst MIT entführt worden. Alle drei waren Mitarbeiter der Gülen-nahen Schule „Ecole la Lumière“. Ihnen wird vorgeworfen, die App „Bylock“ benutzt zu haben, die angeblich eigens für die Gülen-Bewegung entwickelt wurde und von dieser zur Kommunikation genutzt wurde.
Allerdings stellte die türkische Staatsanwaltschaft schon Ende letzten Jahres fest, dass es viele Fehler bei der Bylock-Begründung gegeben habe und ordnete die Freilassung von mehreren tausend Inhaftierten an. Im Oktober 2017 stellte ein Berufungsgericht in der Türkei fest, dass es kein Verbrechen sei, Sympathisant der Gülen-Bewegung zu sein.
Ungeachtet dessen wiederholte der türkische Staatspräsident Erdogan nach dieser Aktion, dass diese „Operationen“ fortgesetzt würden. Er erklärte:
„Wir haben etwa 80 Fetö-Militante in unterschiedlichen Ländern gefunden, eingepackt und in die Türkei gebracht. Wir werden weitermachen.“
...in Aserbaidschan
Kurz nach der Vereidigung Erdogans berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu über die Entführung von zwei angeblichen, hochrangigen Gülen-Unterstützern. Zuvor war der türkische Präsident einen Tag nach seiner Vereidigung in Aserbaidschan.
...in Malaysia
In Malaysia wurde Turgay Karaman, der Rektor der internationalen Time Schule in Ipoh, von fünf Männern entführt, als er sein Haus für ein Treffen in Kuala Lumpur verließ. Eine Überwachungskamera am Tatort filmte, wie Karaman in einen Nissan Almera gezwungen wurde. Die Autokennzeichen konnten durch das Video identifiziert werden.
Auch Ihsan Aslan, ein in Malaysia ansässiger türkischer Geschäftsmann und angeblicher Sympathisant der Gülen-Bewegung, wurde entführt. Aslan ist Mitglied der Malaysisch-Türkischen Industrie- und Handelskammer, die in Kuala Lumpur ansässig ist.
Ob die malaysische Regierung von den Entführungen wusste, ist nicht bekannt. Im Oktober vergangenen Jahres lieferten jedoch die malaysischen Behörden zwei türkische Staatsbürger auf Ersuchen der türkischen Regierung an die Türkei aus, nachdem sie von türkischen Geheimdienstlern in Malaysia entführt wurden.
...in Afghanistan
Eine Gruppe der afghanischen Nationalpolizei wartete Berichten zufolge vor der afghanisch-türkischen Schule in Shibirghan, um auf Wunsch der Türkei türkische Lehrer zu verhaften und das Schulgebäude zu durchsuchen. Das Schulgebäude wurde von der afghanischen Polizei umzingelt, niemand durfte das Schulgelände betreten oder verlassen.
Der Gouverneur der Provinz Jowzjan war ebenfalls bei der Operation zugegen. Zuvor soll sich der Gouverneur Jowzjan die letzten drei Tage in Kabul aufgehalten haben, um die Razzia mit dem Büro des kürzlich zurückgekehrten Vizepräsidenten Rashid Dostum und der Türkischen Botschaft zu koordinieren. Rashid Dostum ist ein berüchtigter Warlord und lebte in der Türkei im Exil.
Die türkische Regierung drängte die afghanische Regierung, die afghanisch-türkischen Schulen entweder zu schließen oder an die Maarif-Stiftung zu übertragen, die der türkischen Regierung angegliedert ist. Viele der ehemaligen Gülen-nahen Schulen im Ausland gingen auf Anordnung von Erdogan in den Besitz der Maarif-Stiftung über.
...in der Mongolei
In der Mongolei konnte offenbar die Entführung des türkischen Staatsbürgers Veysel Akcay in der Hauptstadt Ulan Bator verhindert werden. Akcay ist ebenfalls Leiter einer Schule in der Mongolei und Geschäftsführer der deutschen EWE Empathy Worldwide Education GmbH, die weltweit Schulen der Gülen-Bewegung betreibt.
Wie der Spiegel berichtete, verweigerten die Behörden kürzlich einem türkischen Passagierflugzeug stundenlang den Start, nachdem Augenzeugen bei der Polizei Akcays Entführung angezeigt hatten. Nach Angaben der Internetseite flightradar24.com soll das Passagierflugzeug mit der türkischen Luftwaffe in Verbindung stehen.
Der mongolische Vizeaußenminister Battsetseg Batmunkh meinte dazu, dies würde „einen ernsthaften Verstoß gegen die Unabhängigkeit und Souveränität der Mongolei“ darstellen.
In diesem Zusammenhang sei auf eine Sicherheitslücke auch im deutschen Luftverkehr hingewiesen. Auch in Deutschland können kleine ausländische Passagierflugzeuge mit bis zu 19 Passagieren fast ohne Kontrolle auf kleinen Flugplätzen landen und starten. Oft übernimmt lediglich das Flughafenpersonal die Sichtkontrolle der Ausweise.
An das elektronische Sicherheitsnetz sind diese Flughäfen nicht angeschlossen. Gepäckkontrolle gibt es praktisch nicht. Diese Lücke könnte sich auch der MIT oder die Mafia, aber auch der IS problemlos zunutze machen – für Entführungen, Waffenhandel etc.
*Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.dw.com/de/türkischer-geheimdienst-verfolgte-gülen-anhänger-in-18-ländern/a-43264801 und https://www.youtube.com/watch?v=KTKsWI4cHDE