Das Nonspreader-Event
Genau wie der Umzug zum Christopher Street Day hatte auch die Querdenker-Demo am 1. August 2021 keinen Einfluss auf das Berliner „Infektionsgeschehen“.
Die Querdenken-Demonstration am 1. August 2021 wurde im Vorfeld nicht genehmigt. Begründet wurde dies von Seiten der Gerichte mit dem pauschalen Vorwurf, dass die Teilnehmer sich erwartungsgemäß nicht an die Hygieneauflagen halten würden. Die vorgelegten, aufwändigen Hygienekonzepte der Veranstalter wurden ignoriert. Der Gesundheit und des Infektionsschutzes wegen durfte also diese Demonstration nicht stattfinden. Da sie trotzdem stattfand, wäre es nun etwas mehr als zwei Wochen später — nach der offiziellen Covid-19-Inkubationszeit — an der Zeit, eine Bilanz der Infektionszahlen zu ziehen. War die Demo am 1. August ein Infektionsherd? Oder eher wie im vorigen Jahr epidemiologisch vollkommen unbedeutend? Und welche Auswirkungen hatte eigentlich der CSD-Umzug, der eine Woche zuvor widerspruchslos geduldet wurde?
Bereits vergangenes Jahr im August verfasste ich einen ähnlichen Artikel infolge des „Tags der Freiheit“ (TdF) am 1. August 2020. Dort verglich ich die Zahl der Positiv-Getesteten in den 14 Tagen (Inkubationszeit) vor und nach den „Black Lives Matter“-Demonstrationen (BLM) im Mai 2020 mit den Zahlen der Inkubationszeiten vor und nach dem TdF. Dafür legte ich die Zahlen der Positiv-Getesteten sowie die Testmenge aus den Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) und von Statista dem Vergleich zugrunde.
Das Ergebnis: Gegenüber den zwei Wochen vor und nach BLM erhöhte sich in den beiden Wochen vor und nach dem TdF die Zahl der Positiv-Getesteten um 1,03 Prozent, was 5.883 Positiv-Getesteten entsprach. Auf den ersten Blick könnte man nun sagen, die BLM-Aktivisten haben das Hygienekonzept besser eingehalten. Doch wer auf den zweiten Blick die Testzahlen betrachtet, sieht, dass die Erhöhung schlicht auf die gestiegene Testmenge zurückzuführen war.
Diese erhöhte sich nämlich gegenüber dem BLM-Zeitraum um rund 27 Prozent, was in etwa einer Viertelmillion Tests zusätzlich entspricht. Will heißen: Obwohl die Testmenge versechsfacht wurde, konnte statistisch nur eine läppische Erhöhung von 1,03 Prozent rausgekitzelt werden. Selbst wenn man etwas auf diese Zahlen gibt, liefern sie kein Zeugnis über die mögliche Infektionsgefahr einer Freiheitsdemo wie dem TdF ab. Doch im Grunde genommen ist auf die Zahlen nichts zu geben, da sie auf dem medizinisch angehauchten Scherzartikel „PCR-Test mit astronomischen Ct-Werten“ beruhen.
Wer die Zahlen dieser Analyse aus dem vorigen Jahr noch einmal genauer betrachten möchte, kann das in dem Artikel hier tun oder sich die dort zusammengestellte Tabelle ansehen.
Vergleich der Covid-19-Inkubationszeiten (14 Tage) jeweils vor und nach Black Lives Matter (BLM) und dem 1. August 2020 beziehungsweise dem Tag der Freiheit (TdF)*.
CSD und der 1. August 2021
Was kommt dabei raus, wenn man die 14 Tage Inkubationszeit jeweils nach dem 1. August und dem Berliner CSD vom 24. Juli — und damit eine Woche zuvor — miteinander vergleicht? Zunächst müssen andere Maßstäbe herangezogen werden als beim TdF/BLM-Vergleich 2020: Weit mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung ist mittlerweile geimpft und braucht sich entsprechend nicht mehr testen zu lassen. Auch in Berlin lag die Impfquote schon vor diesen Ereignissen bei weit über 50 Prozent. Daher kann nun nicht allein die Zahl der Positiv-Getesteten, geschweige denn die Testanzahl, für diese Betrachtung genutzt werden. Viel zu verzerrt wäre das Ergebnis durch den impfbedingten Wegfall der Menschen, die sich nun nicht mehr testen lassen (müssen).
Daher soll bei nachfolgendem Vergleich neben der Zahl der gemeldeten Fälle auch die der Intensivbettenauslastung mit Covid-Positiv-Patienten in Berlin jeweils am Tag der Ereignisse — CSD / 1. August — und 14 Tage später miteinander verglichen werden, um zu sehen, welches Ereignis sich erheblicher auf das „Infektionsgeschehen“ auswirkte.
Entsprechend der Logik der Leitmedien hätten die nicht genehmigten Demos vom 1. August ja eine massive Infektionswelle auslösen müssen, die sowohl in den Meldezahlen als auch bei der Belegung von Intensivbetten zu Buche schlägt.
Die Zahlen für diesen Vergleich speisen sich aus den Daten des Dashboards des RKI sowie aus dem Intensivbettenregister Inbee. Die älteren Inbee-Daten können auf den offiziellen Telegram-Kanälen von Inbee eingesehen werden. Für jedes Bundesland gibt es je einen Kanal, so auch für Berlin. Dort werden sämtliche Zahlen tagtäglich dokumentiert.
Sehen wir uns die Ergebnisse einmal in untenstehender Tabelle an:
Zwei Wochen nach dem CSD stieg die Anzahl der gemeldeten Fälle um rund 128 Prozent an und wiederum zwei Wochen nach dem 1. August um satte 360 Prozent, also fast um das Dreifache. Auch der Anstieg der Intensivbettenbelegung mit Covid-Positiv-Getesteten spricht klar für das Hygienekonzept des CSD. Denn nach dem CSD stieg die Belegung um 6 Prozent, aber nach dem 1. August um 60 Prozent und damit um das Zehnfache.
In Zahlen ausgedrückt wurden in der Inkubationszeit nach dem 1. August 225 mehr Fälle gemeldet als in der Inkubationszeit nach dem CSD. Und in den zwei Wochen nach dem 1. August kamen 19 Covid-Positiv-Patienten mehr auf die Intensivstation als in den zwei Wochen nach dem CSD.
Summa summarum könnten nun die CSD-Teilnehmer für sich beanspruchen, auf der moralisch wie epidemiologisch hygienischeren Veranstaltung gewesen zu sein. Ihre Steigerungsquote in der Inkubationszeit nach der Veranstaltung ist deutlich geringer als die des Zeitraums nach dem 1. August. Doch setzen wir mal diese Zahlen ins Verhältnis zu Berlin.
Am 15. August lagen in Berlin demnach 56 Patienten mit einem positiven PCR-Test auf der Intensivstation. Laut Inbee vom 15. August waren an diesem Tag mit 170 noch rund dreimal so viel Intensivbetten frei. Von den insgesamt 1.175 Intensivbetten waren 949 — 81 Prozent — mit Nicht-Covid-Positiv-Getesteten belegt. Da hat sich im Vergleich zum 24. Juli nicht viel verändert. Da lag diese Quote bei 79 Prozent.
Und jetzt setzen wir doch bitte mal die Zahl der gemeldeten Fälle in ein Verhältnis zu Berlin. Vorweg sei noch mal daran erinnert, dass die betroffenen Menschen erst durch einen wissenschaftlich nicht validierten Test zu Meldefällen werden und zu erheblichen Anteilen nicht einmal Symptome haben. Aber mit oder ohne, Symptome hin oder her — was sind bitteschön 236, 1.087 oder gar 1.116 Fälle im Verhältnis zu den 3.669.491 Einwohnern Berlins? In Prozent ausgedrückt bewegt sich das im Bereich von 0,006 bis 0,03 Prozent. Anders gesagt ist jeder 3.288. beziehungsweise 15.549. Berliner betroffen.
Damit ist jedweder Vergleich, welche Veranstaltung welche Veränderung ausgelöst hat, reine Erbsenzählerei, da sich die Gesamtzahl in einem Promillebereich bewegt.
Zudem: Wer kann schon glaubhaft machen, dass die 225 zusätzlichen Meldefälle sowie die 19 zusätzlichen Intensivpatienten mit positivem PCR-Test darauf zurückzuführen sind, dass am 1. August einige Tausend Menschen in Berlin für ihre Grundrechte demonstriert haben? Und überhaupt — wenn mehr als die Hälfte der Stadtbevölkerung sowieso geimpft ist und die „Impfung“ doch so wirkungsvoll sein soll — wo liegt dann eigentlich das Problem?
Wenn das nun alles so irrelevant ist, warum ist dann dieser Vergleich, ja dieser ganze Artikel dennoch wichtig? Ganz einfach: Weil in den Leitmedien eisern an dem Argument festgeklammert wird, die Demonstrationen würden in den Folgetagen und -wochen einen Infektionsanstieg mit einem dramatischen Krankheitsgeschehen zeitigen und müssten daher untersagt bleiben. Doch die Zahlen sprechen eine gänzlich andere Sprache und sollten deswegen dokumentiert werden. Sie zeigen auch klar, dass mit der bisherigen Begründung keinerlei Anlass besteht, die anstehende Demonstration für Demokratie und Freiheit am 29. August in Berlin zu verbieten. Die Annahmen, mit denen die Nicht-Genehmigung begründet wurde und wird, sind absolut haltlos! Sie entbehren jedem Nachweis einer klaren Korrelation zwischen Demogeschehen und signifikanten Krankheitsverläufen.