Als politische Richtungsbezeichnungen gehen die Begriffe „Links“ und „Rechts“ auf die Französische Revolution zurück, konkret auf die Sitzordnung in der 1789 zusammengetretenen verfassungsgebenden Nationalversammlung: Die Deputierten nahmen ihre Plätze weiter rechts oder links vom Präsidenten ein, je nachdem, wie viel Macht sie dem König einzuräumen gedachten.
Nicht nur der qualitative Unterschied zweier großer Lager, sondern auch eine graduelle Abstufung war relativ leicht ersichtlich, nämlich „wie weit“ links oder rechts eine bestimmte Position angesiedelt war.
Von Anfang an war die Frage der Staatsordnung vermischt mit der sozialen Frage, sie war der eigentliche Motor der politischen Umwälzung, aber noch nicht ins allgemeine Bewusstsein gerückt.
Die schwärzesten Reaktionäre am rechten Rand vertraten Adel und Klerus, im Übrigen aber deckte sich das politische Spektrum nicht mit der Ständeordnung. In der Mitte waren Vertreter aller drei Stände anzutreffen, allerdings war es innerhalb des Dritten Standes besonders das wohlhabende städtische Bürgertum, das sich der rechten Seite gegenüber kompromissbereit zeigte. Am weitesten links saßen dagegen die Fürsprecher der Arbeiter und armen Bauern, die eine umfassende Demokratisierung des Staates anstrebten.
Der Dritte Stand: Links und Rechts vereint
Hierin äußerte sich eine komplizierte Wahrheit: Der Dritte Stand, das scheinbar revolutionäre Subjekt, trug in sich selbst den Gegensatz von Kapital und Arbeit, und dieser lässt sich nicht in eine einheitliche politische Kampffront zwängen.
Durch das 19. Jahrhundert hindurch war die Entwicklung des Begriffspaars in Europa – einschließlich Russlands – stets sowohl von der sich zuspitzenden sozialen Frage als auch vom Kampf gegen die Monarchien beeinflusst.
Nach dem Ersten Weltkrieg war der Gegensatz hauptsächlich mit der Klassenfrage verknüpft: Links war, wer für die politischen und sozialen Rechte der Arbeiterklasse eintrat. Hierbei ließ sich wieder eine Abstufung vornehmen: Am weitesten links war, wer sich für die Enteignung der Kapitalisten und die Errichtung der proletarischen Diktatur einsetzte. Mitte-links waren diejenigen, die auf reformistischem Wege Verbesserungen für die Arbeiterklasse herbeiführen wollten.
Natürlich war die Einordnung von Positionen auf dieser Skala nicht unumstritten. Lenin sah sich in seiner Schrift „Der ‚linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus“ von 1920 genötigt, „links“ durchgehend in Anführungszeichen zu setzen, da die von ihm gerügten Blüten revolutionären Übereifers in gewissen westeuropäischen kommunistischen Parteien in der Konsequenz dem politischen und ökonomischen Kampf der Arbeiterklasse schadeten und somit objektiv weiter rechts einzuordnen waren, als sie scheinen wollten.
Auf der rechten Seite des Spektrums befanden sich die Gegner der Arbeiterbewegung, in vielfältiger ideologischer Ausrichtung und mit unterschiedlicher Klassenbasis: religiös-konservativ, liberal-demokratisch, national-revanchistisch, restaurativ und schließlich faschistisch.
Die Faschisten wurden auf der Skala sinnigerweise als extrem rechts eingestuft, bereiteten sie doch zum Vorteil des Monopolkapitals die gewaltsame Zerschlagung der Arbeiterbewegung und der Arbeiterorganisationen vor. Ihre Demagogie zielte jedoch bewusst auf das Durchbrechen des etablierten Links-Rechts-Schemas ab. Sie stellten sich in Bezug auf den Staat als Erneuerer, ja „Revolutionäre“, in Bezug auf die soziale Frage als Parteien des Volkes, der Werktätigen, in Deutschland gar als „Sozialisten“ dar. Die Früchte dieser Saat auf dem ideologischen Acker ernten wir heute.
Überlagerung der Links-Rechts-Begriffe
Zwar wird die dargestellte Unterscheidung allgemein bis heute weltweit als tiefe Grundlage des politischen „Links-Rechts“-Begriffspaars anerkannt, doch wurde sie besonders in den kapitalistischen Hauptländern durch andere Gegensätze und Positionen überlagert und mit ihnen vermischt, so dass jetzt hierzulande eine weit verbreitete Unklarheit darüber herrscht, was politisch Links und was politisch Rechts eigentlich bezeichnet. Die wichtigsten Ursachen dieser Verwirrung seien im Folgenden kurz dargestellt.
Es liegt auf der Hand, dass der Kampf für sozialen Fortschritt und die Belange der werktätigen Bevölkerung untrennbar mit dem Kampf für Frieden und Internationalismus, Demokratie, Gleichberechtigung, mit der Propagierung eines aufgeklärten Weltbilds und dem Kampf gegen reaktionäre Ideologie verbunden ist.
Auch die Summe dieser weiteren Kämpfe kann unter der Bezeichnung „Links“ zusammengefasst werden.
Jeder dieser Kämpfe kann aber, wenn er von der sozialen Frage isoliert geführt wird, seinen fortschrittlichen Zweck verlieren. Hier liegt ein Schlüssel zur Degeneration linker Ideologie und der damit einhergehenden Bedeutungsverschiebung des Begriffs „Links“.
Besonders unter dem Einfluss der westlichen Studentenbewegungen der 1960er und 1970er Jahre wurden anarchistische und unpolitische, mehr die Lebensgestaltung als die Klassenfrage betreffende Forderungen und Ideale bis hin zur asozialen Aussteigerromantik in die politische Linke hineingetragen – und die ließ es geschehen.
Aus diesem Geist entwickelte sich auch ein Engagement, das dem Kampf für die Rechte von Minderheiten und Randgruppen sowie für Umwelt- und Naturschutz einen unverhältnismäßigen Stellenwert gab. Wie sich gegenwärtig zeigt, lassen sich diese Anliegen für sich genommen nicht nur weitgehend mit Kapitalismus und Imperialismus versöhnen, sie können sogar zur Festigung der Kapitalherrschaft und zur Aggression nach außen instrumentalisiert werden.
Man denke hier an „humanitäre“ Kriegsbegründungen, die zur Ideologie der „Schutzverantwortung“ verallgemeinert wurden, worin der Anspruch der mächtigen Länder, über die schwachen zu herrschen, moralisch und gar pseudo-„antifaschistisch“ bemäntelt wird; Man denke an den „Ablasshandel“ mit Kohlenstoffdioxidemissions-Zertifikaten, wodurch die industrielle Entwicklung armer Länder unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Klimawandel beeinträchtigt wird; man führe sich selbsternannte „Antifas“ vor Augen, die soziale Bewegungen wie zuletzt die „Gelbwesten“ in Frankreich oder antiimperialistische Proteste als „rechts“ verleumden und so faktisch als Wachhunde des kapitalistischen Systems fungieren.
Ein wichtiger Problemkreis gilt – wiederum eingeschränkt auf die kapitalistischen Hauptländer – stets als originäres Anliegen der Rechten: die Nation und nationale Souveränität. Dies liegt keineswegs in der Natur der Sache, sondern hat sich nicht zuletzt wegen ideologischer Fehler der Linken so entwickelt.
Die am meisten „Linken“ der französischen Revolution, die Jakobiner, nannten sich selbst „Patrioten“. In allen Ländern, deren Linke auf einen antikolonialen Kampf zurückblickt, ist dieser linke Patriotismus selbstverständlich. Unter dem Einfluss des Marxismus – der allerdings insoweit nicht korrekt interpretiert wurde –, hat die europäische sozialistische Linke die berechtigte und notwendige Kritik der Verklärung der Nation und des nationalen Chauvinismus oft über das Ziel hinaus zu einer dogmatischen Ablehnung oder Geringschätzung des Nationalen getrieben.
Die deutsche Linke erwies sich in dieser Hinsicht als besonders gründlich, Korrekturversuche kamen zu spät. Eine schlimme Konsequenz war, dass die Hitlerfaschisten sich unwidersprochen des von den Linken stiefmütterlich behandelten nationalen Themas annehmen konnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde, seit dem Verbot der KPD in Westdeutschland, linkes Nationalbewusstsein in Deutschland fast nur noch in der DDR gepflegt.
Je schwächer der Nationalstaat, desto gefährdeter die demokratischen und sozialen Rechte.
Entsprechend der Verankerung des Links-Rechts-Gegensatzes am Klassengegensatz kann man keineswegs sagen, dass das Eintreten für die Nation und für nationale Interessen „Rechts“ sei. Richtig ist, dass nationale Demagogie zum propagandistischen Arsenal mancher Fraktionen der Rechten gehörte und auch heute noch gehört.
Heute zeigt sich jedoch, dass es besonders im Interesse der Monopolkapitalisten ist, zwecks Schwächung der Positionen der Arbeiterklasse die Rolle der Nationalstaaten zurückzudrängen. Der Antinationalismus ist somit objektiv zu einer rechten Position geworden, der Kampf für nationale Souveränität zur Bewahrung demokratischer und sozialer Rechte folglich endgültig zu einer linken – was keineswegs im Widerspruch zum unentbehrlichen linken Internationalismus steht, sondern mit diesem Hand in Hand geht.
Vor dem Hintergrund dieser knappen Darstellung ist es geradezu erschütternd, wie sich die landläufigen Vorstellungen von „Links“ und „Rechts“ bei uns völlig vom ehedem etablierten Kriterium losgelöst haben.
Die Frage erscheint zulässig, ob wir nicht besser daran täten, auf die Verwendung dieser noch nie scharf definierten und jetzt total verdrehten und vermischten Begriffe ganz zu verzichten. Mehrere Gründe sprechen dagegen. Einmal ist Tatsache, dass die Unklarheit über das Wesen des Links-Rechts-Gegensatzes vornehmlich ein Problem der imperialistischen Länder ist. Im Rest der Welt ist die enge Verknüpfung des Links-Rechts-Gegensatzes mit der sozialen Frage weitgehend unstrittig.
Sollten wir nun, weil wir etwa in Westeuropa und Nordamerika Schwierigkeiten haben, den Unterschied zwischen Links und Rechts zu definieren, von Venezolanern oder Indern verlangen, auf die ihnen natürlich erscheinende Unterscheidung zu verzichten? Besser wäre es wohl, ein weltweit einheitliches Verständnis des Begriffspaars zu haben.
Ein weiterer Grund zur Behauptung der Links-Rechts-Unterscheidung ist, dass vor allem die Bezeichnung „Links“ eine wichtige identitätsstiftende Funktion besitzt. „Linke“ fühlen sich miteinander verbunden, Parteien tragen „Links“ in ihrem Namen. Das ruft nach einer brauchbaren Definition, was „Links“ wirklich bedeutet.
Der wichtigste Grund, die begriffliche Unterscheidung zwischen „Links“ und „Rechts“ nicht einfach zu ignorieren, ist aber die Tatsache, dass die begriffliche Verwirrung gezielt zu demagogischen Zwecken ausgenutzt wird. Aufgrund der falschen Charakterisierung von gewissen politischen Linien als „links“ hat sich in Deutschland in manchen ideologischen Kreisen die idiotische Ansicht etabliert, es herrsche eine „linke Diktatur“.
Die fahrlässig vereinfachende Reduktion des Antifaschismus auf eine unkritische Befürwortung von Immigration wird glatt in eine Linie mit dem völlig anders gearteten Antifaschismus der DDR gebracht – zum Schaden des Kampfes gegen die reale Restauration des Faschismus. Die Verwirrung findet ihre Fortsetzung, wenn alsdann die Fortexistenz des ersten sozialistischen deutschen Staates „beklagt“ wird, was angeblich in der Herkunft von Bundeskanzlerin Merkel einen weiteren „Beweis“ fände. Die grundlegende Frage, welche Klasse im jeweiligen Staat die Macht besitzt, wird gar nicht mehr gestellt.
Um diesem Theater ein Ende zu bereiten und zum ernsthaften politischen und sozialen Kampf zurückzukehren, ist es notwendig, den Links-Rechts-Gegensatz wieder klar mit der sozialen Frage in Verbindung zu bringen und allen Ablenkungsversuchen entschieden entgegenzutreten: Wirklich linke Politik vertritt die Belange der werktätigen Bevölkerung und der kolonisierten Nationen – für
soziale Gerechtigkeit, Friedenserhaltung und Bewahrung der natürlichen Umwelt, für Gleichberechtigung, für tatsächliche Demokratie.
Linker Internationalismus bekämpft die Ursachen für große Migrationsbewegungen und macht sich für die Opfer stark, nicht für die Profiteure. Er bekämpft das Gift des Rassismus, nicht die damit Vergifteten.