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Das Kennenlernspiel

Das Kennenlernspiel

Damit Freundschaften nicht an politischen Glaubensvorstellungen zerbrechen, sollten wir einander — anstatt zu predigen — Fragen stellen.

Das Wasser steigt — im sprichwörtlichen wie im tatsächlichen Sinne. Immer knapper wird die Luft zum Atmen, immer unsicherer der Grund, auf dem wir uns bewegen. Scharf schneiden sich die Einschränkungen in unser Alltagsleben und vertiefen sich die Gräben zwischen Andersdenkenden. Jeder informiert sich über seine Kanäle und beruft sich auf seine Quellen — doch bis auf wenige Spezialisten weiß niemand, was wirklich stimmt. Wer von uns kennt sich schon mit Mikrobiologie oder Epidemiologie aus? Wer hat die entsprechenden wissenschaftlichen und medizinischen Kenntnisse, die ihm ein unabhängiges Urteil erlauben?

Unsere Informationen erhalten wir in aller Regel nicht über eigene Recherche, sondern über Dritte, von denen wir nur hoffen können, dass sie uns die Wahrheit erzählen. Obwohl zunehmend bekannt ist, dass die Pressefreiheit immer stärker eingeschränkt wird, bleiben wir den Medien treu, von denen wir uns die größte Zuverlässigkeit versprechen.

Für die meisten sind das die Großen, die mit Tradition. Die können sich ja nicht erlauben, Unwahres zu verbreiten. Wenn dem so wäre, dann würden wir das wissen. Im Vergleich zu anderen Ländern sind wir doch frei. In China, in Russland oder in der Türkei sieht es ja viel schlimmer aus mit der Zensur.

Während wir das glauben, ist die Bundesregierung gerade dabei, dem Verfassungsschutz das Abhören verschlüsselter Kommunikation im Internet zu gestatten (1). Das bedeutet, dass unsere Kommunikation künftig beliebig ausspioniert, manipuliert, unterbrochen, verändert und gelöscht werden kann. Niemand kann mehr sicher sein, beim Austausch privater Nachrichten nicht überwacht zu werden. Enthüllungen wie die der Panama Papers, der Football Leaks und der Ibiza-Affäre sind künftig nicht mehr möglich. Informanten haben keinen Schutz mehr und müssen um ihr Leben fürchten.

Sicherlich werden wir uns auch daran gewöhnen und immer noch glauben, dass das, was man uns serviert, doch zumindest weitestgehend der Wahrheit entspricht. So wie wir uns daran gewöhnt haben, dass Medien eben gigantische Wirtschaftsunternehmen sind, dass an jedem Abgeordneten Trauben von Lobbyisten hängen und dass Politiker in Interessenskonflikte verstrickt sind. Wer am längeren Hebel sitzen will, der muss sich eben hocharbeiten. Das ist doch ganz normal. So wie es normal ist, dass Geld und Macht die Welt regieren, Geostrategen den Planeten wie ein Schachbrett benutzen und Ereignisse erfunden werden, um die Bevölkerung in Kriegslaune zu versetzen.

Bedürfnis nach Sicherheit

Doch wehe, uns sitzt in gemütlicher Runde einer gegenüber, der behauptet, das hätte etwas mit unserer aktuellen Situation zu tun! Vom Aperitif an verteidigen wir unsere Gutgläubigkeit wie der Hund seinen Knochen. Wie kann man nur so miesepetrig und negativ sein und sich derart vom offiziellen Narrativ entfernen! Dieses Virus ist supergefährlich und superansteckend, und damit basta. Ob er denn wisse, wie viele Menschen bis heute daran gestorben sind, frage ich meinen Sitznachbarn freundlich. Er fängt an, mit Prozenten zu jonglieren, und Zahlen von Getesteten und Infizierten aus dem Hut zu zaubern.

Als ich die aktuellsten mir bekannten Zahlen der Weltgesundheitsorganisation anführe, glaubt man mir nicht. Auf mich herab prasselt ein Schauer von Fallzahlen aus Indien, Brasilien und Amerika, von Briten und Schweden, die den Leichtsinn ihrer Regierungen bitter bedauern. Ich sehe mich um. Um den Tisch herum sitzen Studierte, Intellektuelle, Künstler. Kluge, gebildete Menschen, die sich informiert haben. Sie loben die Maskenpflicht im Freien und hören weg, als ich anmerke, dass auf der Packung der Papiermasken steht, dass sie nicht gegen Covid-19 schützen. Es sei doch immerhin besser als nichts und so sei man wenigstens sicher, von seinem Gesprächspartner nicht angespuckt zu werden.

Das sitzt. Ich sehe: Hier geht es nicht um Tatsachen. Hier geht es um den Wunsch nach Sicherheit. Was beruhigt, das stimmt. Das muss stimmen! Wir wollen glauben, dass im Sinne unseres Wohls gehandelt wird. Wenn nicht unsere Autoritäten, wer sonst würde für uns sorgen? Wem sonst könnten wir vertrauen? Irgendjemandem muss man ja glauben. Und das sind offensichtlich diejenigen, die uns gerade regieren. So ist es am bequemsten. Nicht auszumalen, wenn das nicht stimmen würde! Und so lassen wir uns im guten Glauben mit einem langen Q-Tip an der Blut-Hirn-Schranke herumkratzen und würden auch eventuelle klitzekleine Impfschäden in Kauf nehmen, wenn uns Impfen das Gefühl von mehr Sicherheit gibt.

Jenseits der eigenen Inkonsequenz

Immer tiefer dringen die Maßnahmen, die uns schützen sollen, in unsere Körper, in unsere Privatsphäre und in unsere Intimität ein. Während die Gäste mit ihren Gläsern anstoßen und in den gleichen Schälchen nach Appetithäppchen angeln, verstehe ich das Bedürfnis nach Sicherheit. Haben wir es nicht alle? Doch die Gemeinsamkeit dauert nicht lange an. Unverantwortlich seien jene, die heutzutage einander umarmen und herzen, die Egoisten, die Urlaubmachenden, die Familienfeiernden, die Protestierenden, Ignorierenden und Zweifelnden. Übrigens: Die Enkel seien ja gerade zu Besuch gewesen und natürlich war es ganz und gar unmöglich, ohne Berührung zusammenzuleben. Na ja, das sei schon etwas inkonsequent. Wir sind eben Menschen.

Was die anderen betrifft, wird es mit der Menschlichkeit schwieriger. Da sei es ja ganz einfach, etwa eine Quarantäne durchzuziehen. Man muss die Gefahr ja nur in ein Zimmer sperren und eine Weile nicht mehr hinauslassen. Oder alte Familienangehörige, die könne man dann eben nicht mehr sehen und in den Arm nehmen. Es gibt ja WhatsApp. Kinder müssen dann eben den ganzen Tag eine Maske tragen und können nicht mehr mit anderen spielen. Man kann sich ja mal ein bisschen zusammenreißen. Die im Krieg haben viel Schlimmeres durchgemacht.

Aber jetzt herrscht doch eine Art Krieg, versuche ich die Diskussion in eine andere Richtung zu lenken. Krieg gegen ein Virus, Krieg gegen sich selbst, Krieg gegen Andersdenkende.

Kriege seien ja ganz normal, bekomme ich zu hören. Das habe es schließlich immer gegeben. Tatsächlich: Die Liste seit der Antike ist schwindelerregend und wenn man sich die Daten ansieht, möchte man meinen, wir haben uns wirklich ununterbrochen die Köpfe eingeschlagen. Würde man jedoch, so sinniere ich, eine Liste der Zeiten erstellen, in denen die meisten Menschen friedlich miteinander ausgekommen sind, wäre diese sicher unvergleichlich länger.

Ich klammere mich an meinen Glauben an das Gute im Menschen und an mein Weinglas. Grundsätzlich sei der Mensch natürlich schlecht, da ist sich die Runde einig. Auch darüber, dass die Menschheit ausgespielt hat. Ob er das denn auch so gesehen habe, als er zum ersten Mal seine Kinder und Kindeskinder in den Armen hielt, frage ich meinen Sitznachbarn. Hat er da auch das Schlechte im Menschen gesehen? Lag in dem Blick des Neugeborenen nicht der klare Ausdruck von etwas Kostbarem, von Liebe Erfülltem?

Das sei ja, wie Kätzchenbilder auf Facebook zu posten. Ich lasse mich nicht aus der Ruhe bringen und ziehe meinen letzten Trumpf: die Kreativität, die Kunst. Unsere Ideen schaffen Realitäten — sonst würde an diesem Abend nicht ein köstliches Essen auf dem Tisch gestanden haben. Doch auch hiermit habe ich keinen Erfolg. Kreatives Denken, schöpferisches Potenzial, gemeinsame Visionen — Unsinn! Es ist spät. Zu spät. Zeit, nach Hause zu gehen. Ob er mich denn überzeugt habe, fragt mein Gegenüber. Gute Nacht, Freunde, erwidere ich.

Ins eigene Dunkel hinein

Liebe Diskutierenden, worauf läuft euer Lob für Abstandsregeln, Masken, Überwachungsmaßnahmen und zukünftige Impfstoffe hinaus? Wenn ihr von der Schlechtigkeit der Menschen überzeugt seid, von ihrer Nichtigkeit und Ohnmacht, wenn ihr ohnehin das Ende prophezeit, dann lasst doch bitte die anderen machen. Wenn ihr es normal findet, dass es Kriege gibt, dass Menschen zu Dingen gezwungen werden, die sie nicht wollen, dass Kinder mit Gewalt von ihren Eltern getrennt werden und alte Menschen an Einsamkeit sterben, dann lasst bitte die ran, die ein Herz haben.

Überlasst diese Welt denen, die Hoffnung haben, Vertrauen und eine Vision: die, die im Neugeborenen das Wunder sehen und die die Einzigartigkeit des Menschen nicht nur in der Eitelkeit der eigenen Verdienste erkennen; diejenigen, die ihr Heil nicht in der Technik suchen und sich die Natur nicht unterwerfen wollen; die Menschen, die nicht in Fatalismus und Zynismus versinken, die nicht im Sessel sitzen bleiben, wenn’s drauf ankommt, und die aus der Liebe die höchste Kraft schöpfen.

Kümmert euch um euch selbst. Nehmt euch des Dunklen an, das euch beherrscht, und löst es auf. Projiziert nicht auf andere, was euch zu Menschenhassern macht. Hört in euch hinein, hört hin, was euch euer Körper sagt, euer Herz, eure Seele. So kann auch euer Verstand klar werden und euer Auge sehend. Befreit euch von den Schimären, den Trugbildern und Hirngespinsten, die ihr in anderen zu erblicken glaubt und in euch selbst nicht wahrnehmen könnt. Anstatt andere von eurem erbärmlichen Menschenbild überzeugen zu wollen, steht euch selbst Rede und Antwort. Stellt Fragen! Werdet neugierig!

Lasst euch hier inspirieren, euch selbst besser kennenzulernen. Greift zu, nehmt, was euch gefällt. Habt Spaß dabei, jongliert, überspringt, erfindet selbst — doch beherzigt eine Regel: Seid ehrlich. Weicht nicht aus. Wenn wir uns dann das nächste Mal sehen, wird es vielleicht eine Begegnung geben. Vielleicht werden wir einander zuhören, ohne einander überzeugen zu wollen, ohne herabzuwürdigen, ohne zu rechtfertigen. Vielleicht werden wir gemeinsam spielen. Und vielleicht wird sich dabei herausstellen, wie ähnlich wir uns in unserer Einzigartigkeit sind.

Ins Fragen kommen

Was mache ich hier? Was ist wichtig für mich? Was ist für mich das Schönste im Leben? Was empfinde ich als wahr? Was ist Glauben für mich? Was wünsche ich mir jetzt? Für die Zukunft? Welche Bedeutung hat die Natur für mich? Was brauche ich zum Leben? Wie kann ich Frieden fördern? Wie fühlt es sich an, wenn es mir gut geht? Wie reagiere ich auf Kritik? Was gibt mir Ruhe? Was macht mir Angst? Was macht mich wütend? Was ist Toleranz?

Was ist Glück für mich? Ist die Welt noch zu retten? Kann ich gut zuhören? Was macht mich unsicher? Was mache ich besonders gern? Was ist mir in meinem Leben wichtig?

Was ist das Höchste, das ich mir vorstellen kann? War früher alles besser? Wie ist mein Menschenbild? Ist alles Zufall? Gibt es Schicksal? Was ist Krankheit für mich? Was Gesundheit? Wie bringe ich meine Familie an einen Tisch? Was ist für mich ein wirklich guter Freund? Wie fühlt sich Liebe an?

Was hilft mir, wenn ich niedergeschlagen bin? Was gibt mir Energie? Wie sind die Menschen in meiner Umgebung? Bin ich ein rücksichtsvoller Autofahrer? Was ist gesunde Ernährung für mich? Was löst bei mir Stress aus? Wie sehe ich meinen Körper? Wie sorge ich für einen guten Schlaf? Was tue ich bei Schmerzen? Habe ich Rituale? Habe ich Ideale? Gibt es einen Sinn im Leben? Worin besteht der Sinn meines Lebens? Was bedeutet der Tod für mich?

Habe ich ein besonderes Talent? Nutze ich es? Was macht mich einzigartig? Wie ist mein Verhältnis zu Tieren? Gibt es eine Seele? Was gibt mir Hoffnung? Was macht mir Mut? Was macht Poesie mit mir? Was macht mich zu einem kreativen Wesen? Wer oder was inspiriert mich? Was zieht mich nach unten? Nach oben? Was wächst in meinem (imaginären) Garten? Wovon träume ich? Gibt es etwas, wofür ich mein Leben gäbe? Welches Leben verteidige ich mit meinem Handeln? Bin ich bereit, meine Freiheit der Sicherheit zu opfern? Wer bin ich wirklich?


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/pressefreiheit-136.html

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