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Das ist nicht unser Krieg!

Das ist nicht unser Krieg!

Die westlichen Bevölkerungen werden in die Geiselhaft der NATO-Kriegsrhetorik genommen, dabei dient dieser Krieg lediglich den Interessen einer kleinen Gruppe.

Gegen den Krieg! Noch vor wenigen Wochen hätte man unter dieser Losung zwischen Brüssel, Berlin und Wien eine Friedenspolitik verstanden und wäre für wirtschaftlichen und diplomatischen Austausch zur Stärkung internationaler Bande eingetreten. Seit dem 24. Februar ist das anders. Nun schreien die Spitzen der transatlantischen Welt, geradezu angetrieben von einer kriegsgeilen Journaille, nach mehr und mehr Waffen für die eine Kriegspartei, für die Ukraine. „Der Krieg der Ukraine ist auch unser Krieg“, tönt der EU-europäische Chefdiplomat Josep Borrell. Diesen Satz muss man sich nochmals durch den Kopf gehen lassen; er stellt klar:

Die Europäische Union wähnt sich im Krieg mit Russland.

Bei Worten ist es nicht geblieben. Einzelne EU-Staaten — von den USA gar nicht zu reden — überbieten sich geradezu darin, Öl ins lodernde Feuer zu gießen. Ungeheure Mengen aus Altbeständen aller Waffengattungen finden ihren Weg in die Ukraine. Und der militärisch-industrielle Komplex kriegt sich vor Begeisterung gar nicht mehr ein. Nachbestellungen füllen die Auftragsbücher auf Jahre hinaus. Für Innehalten und Nachdenken, wohin das alles führen soll — und zweifellos auch führen wird — fehlt nicht die Zeit, sondern die Vernunft.

Historischer Exkurs über den aufkeimenden Faschismus in der Ukraine

Woher der neue Krieg in Europa kommt und wer an den Stellschrauben dafür gedreht hat, wird klar, wenn man sich die geopolitische Entwicklung in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten in Erinnerung ruft; eigentlich eine leichte Übung, die allerdings nur dann Erkenntniswert hat, wenn sie in ihrer Gesamtheit betrachtet wird.

Da ist zu allererst der Zusammenbruch des größten multiethnisch verfassten Staates der jüngeren Geschichte. Das Auseinanderbrechen der Sowjetunion im Jahr 1991 war von ihren Führern mit Brachialgewalt orchestriert worden. Auf die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Verfasstheit der einzelnen Republiken ist dabei nicht Rücksicht genommen worden; und genauso wenig auf die Folgen einer Nationalisierung von Staatlichkeit in Gebieten, die multinational besiedelt sind. Ein Beispiel im Fall der Ukraine, der zweitgrößten Sowjetrepublik nach der Russländischen Föderation, mag dies verdeutlichen.

Der letzte sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow hatte am 17. März 1991, neun Monate vor dem offiziellen Ende der UdSSR, ein Referendum auflegen lassen, bei dem es um die Frage einer Weiterführung der Sowjetunion als Föderation gleichberechtigter souveräner Republiken ging. 70 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer votierten damals dafür. Schon zuvor, im Angesicht der territorialen Fliehkräfte, fand am 20. Januar 1991 auf der zur Ukraine gehörenden Krim eine Volksbefragung statt.

„Wollen Sie, dass die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Krim als Teil der UdSSR wiederhergestellt wird?“, lautete ihr Text, der die Eigenständigkeit gegenüber der Ukraine betonte. 93 Prozent stimmten mit Ja (1); kurz darauf wurde der Status der Krim entsprechend geändert. Am 24. August 1991 erklärte dann die Werchowna Rada in Kiew die staatliche Unabhängigkeit, am 1. Dezember 1991 ließ sie sich diese per Volksvotum mit 93 Prozent bestätigen. Erst danach erfolgte die offizielle Auflösung der Sowjetunion.

Nun mag jemand ob der vielen Geschichtsdaten zu gähnen beginnen und — wenn diese Person bösartig argumentieren will — den Autor in die geistige Nähe von Wladimir Putin rücken, der für seine historischen Exkurse bekannt ist. Doch das kollektive Gedächtnis beruht nun mal auf vergangenen Erfahrungen. Dies ist im Übrigen nirgendwo stärker zu beobachten, als gerade im Umfeld der herrschenden ukrainischen Klasse. Die „Orange Revolution“ im Winter 2004 hat Nationalisten an die politische Oberfläche gespült, die ihre historischen Wurzeln in der antisowjetischen, antipolnischen und pronazistischen Nationalbewegung „Organisation ukrainischer Nationalisten“ (OUN) verorteten.

Unter dem damaligen Präsidenten Wiktor Juschtschenko schossen überall im Westen der Ukraine Denkmäler aus dem Boden, die an Stepan Bandera erinnern. Der zuvor wegen Mordes am polnischen Innenminister Bronisław Pieracki zum Tode Verurteilte, kam während der Besetzung Polens durch die Wehrmacht im September 1939 frei und spaltete sich von der OUN rechts ab (OUN-B). Seine „Banderisten“ waren federführend am jüdischen Pogrom in Lemberg/Lwow beteiligt.

Bandera fiel 1959 in München einem Attentat des sowjetischen Geheimdienstes zum Opfer. Sein Nachfolger in der OUN-B wurde Jaroslaw Stezko, ein im Exil lebender offener Rassist und Antisemit. Als Höhepunkt seiner exilpolitischen Karriere konnte Stezko einen Empfang beim US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan verbuchen. Der hatte sich die Zerstörung der Sowjetunion zur Aufgabe gestellt, wie er in seiner Autobiografie freimütig bekennt. Beim Besuch von Stezko im Weißen Haus im Jahr 1983 meinte Reagan: „Ihr Kampf ist unser Kampf“ (2).

Josep Borrell wird sich wohl dieser Episode nicht erinnert haben, er kam 40 Jahre später von selbst auf einen fast wortgleichen Satz, um die anti-russische Waffenbrüderschaft zu benennen. Stezkos Witwe Slawa, um zum Ende des historischen Ausgriffs zu kommen, erlebte die staatliche Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991, wurde nach ihrer Rückkehr aus dem Exil Abgeordnete in der Werchowna Rada, beteiligte sich an der Gründung der rechtsradikalen Partei „Kongress der ukrainischen Nationalisten“, die sich bei den Parlamentswahlen 2002 dem Block „Unsere Ukraine — Nationale Selbstverteidigung“ von Präsident Wiktor Juschtschenko anschloss. So sieht er aus, der lange Atem des ukrainischen Faschismus, der heute in unseren politischen Breiten tunlichst verschwiegen wird.

NATO-Osterweiterung und der entfachter Ukraine-Bürgerkrieg

Der Westen setzte derweil auf Expansion. NATO vor Europäischer Union (EU), so hieß die Reihenfolge und tatsächlich durfte kein einziges Land, das zuvor im sowjetischen oder jugoslawischen Einflussbereich gelegen war, sich wirtschaftlich in die Brüsseler Union integrieren, bevor es nicht seine Soldaten unter NATO-Kommando stellte. Das alles ist bekannt und der Kreml hatte bei jeder sich bietenden Gelegenheit warnend auf die Verschiebung der Kräfteverhältnisse in Europa hingewiesen, ohne auf Gehör zu stoßen.

Als dann der jüngere George Bush am 13. Juni 2002 den 30 Jahre bestehenden Vertrag zur Begrenzung der Raketenabwehr ABM einseitig kündigte, schloss sich aus Moskauer Sicht der Teufelskreis: Schrittweises Heranrücken der NATO an die Westgrenze Russlands und Ausbau eines antiballistischen Raketenabwehrsystems, das die sogenannte Zweitschlagskapazität — den Kern der gegenseitigen Abschreckung — verunmöglichte.

Die NATO-Aufnahmeversprechen für die Ukraine und Georgien im Jahr 2008 folgten der expansiven Logik des transatlantischen Paktes. Diese schreckte auch nicht vor der gewaltsamen Entfernung eines gewählten Präsidenten zurück. Die Rede ist vom Regimewechsel in Kiew, der im Februar 2014 stattfand. Er war die Folge des ersten Njet, das Brüssel bei seinem wirtschaftspolitischen Vormarsch auf die Märkte des europäischen Ostens zu hören bekam.

Wiktor Janukowitsch, der damalige ukrainische Präsident, machte der Europäischen Union im November 2013 einen Strich durch ihre Rechnung, indem er das bereits ausverhandelte Assoziierungsabkommen in letzter Minute am Gipfel von Vilnius nicht unterschrieb und Bedenkzeit einforderte. Diese Bedenkzeit haben ihm wohl Emissäre aus Moskau nahegelegt und ihn mit der Energiekeule unter Druck gesetzt. Wirtschaftliche Erpressung nannten es die einen, Vernunft angesichts des übermächtigen Energielieferanten die anderen.

In den Folgemonaten hievte Washington seine ukrainischen Statthalter in die höchsten Regierungsämter und botete die Europäische Union aus, die irrtümlich der Meinung war, das Land gehöre zu ihrem Einflussgebiet. Das „Fuck the EU“ der damaligen US-Sonderbeauftragten und heutigen Strippenzieherin im US-Außenministerium Victoria Nuland klingt lange nach. In der Folge des Maidan 2014 mit anschließendem Regimewechsel zerfiel die ukrainische Staatlichkeit. Die Krim schloss sich an Russland an beziehungsweise — in anderer Diktion — wurde von Moskau annektiert; und im industrialisierten Kernraum des Landes, dem Donbass, entstanden die beiden sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Seitdem herrscht Krieg.

Kunst, Kultur und Intellektuelle für den Krieg

Neben den Kriegstreibern aus Politik und Medien, die jeden Plan zur Krisenlösung ad acta gelegt haben und sich stattdessen nur mehr mit Waffenlieferungen an die Ukraine und militärischer Ausbildung ukrainischer Jungmänner beschäftigen, geben Stimmen aus Kultur und Kunst einen intellektuellen Flankenschutz zum Morden auf dem Schlachtfeld.

Das postmoderne grün-liberale Milieu tut sich dabei besonders hervor und will damit offensichtlich die eigene friedenspolitische Vergangenheit vergessen machen. Die fehlende Erfahrung einer militärischen Ausbildung — in der grünen Bundestagsfraktion gibt es niemanden, der den Wehrdienst geleistet hat — macht es scheinbar leichter, andere in den Krieg zu schicken.

Den antinationalen Impetus, dem sich Sozialliberale wie Grüne grundsätzlich verschrieben haben, legen sie vor der blau-gelben ukrainischen Fahne nieder, wobei es die wenigsten stört, dass meist noch irgendwelche von den Nazis verwendete Runen mit im Flaggenhain verwoben sind. Das war auch schon, nebenbei bemerkt, in den 1990er-Jahren so, als allen voran die Grünen sich für die sogenannte „nationale Selbstbestimmung“ Kroatiens unter dem Schachbrettwappen einsetzten, das zuletzt in den 1940er-Jahren von der Ustascha verwendet worden war.

Opernhäuser und Konzertsäle, Sportstadien und Spielstätten werden seit Ende Februar 2022 von allem Russischen gesäubert. Zur Lobpreisung des Ukrainisch-Nationalen gesellt sich der Russenhass. Als Betreiber dieses historisch tief verwurzelten Feindbildes agieren Kultur- und Sportmanager aller deutschen Couleurs.

Der Vorgang ist so einfach wie brutal: Jeder Russe — und freilich auch jede Russin — muss ungefragt den Präsidenten seines beziehungsweise ihres Landes als Kriegsverbrecher benennen, damit russische Gesetze brechen und dem Vaterland abschwören, widrigenfalls hat er oder sie auf deutschen Bühnen und Sportstätten nichts zu suchen.

Zuletzt war auch der Kotau vor dem NATO-Narrativ gar nicht mehr möglich, Russe sein genügte, um ausgeladen und abgeschoben zu werden. Nicht einmal im Fall von toten Russen wie beispielsweise dem Komponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowski ließ sich so mancher Konzertdirektor erweichen. Russe ist Russe. Russe ist böse. Oder wie es 1914 in freudiger Zustimmung zum Krieg populär war: Jeder Schuss ein Russ.

Apropos 1914: Führende Intellektuelle und Künstler befeuerten damals — wie auch heute — das Kriegsgeschehen. Anton Wildgans, Thomas Mann, Georg Trakl, Ernst Jünger, Max Scheler, Hermann Bahr, Georg Simmel, Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Robert Musil, Oskar Kokoschka und viele mehr begeisterten sich für den deutschen Waffengang.

So beschrieb der 36-jährige Thomas Mann den Krieg im Jahre 1915 als „eine Reinigung, Befreiung (…) und eine ungeheure Hoffnung“ und untermauerte diese Hoffnung auch mit geopolitischen Argumenten:

„Angenommen und versuchsweise eingeräumt, daß die unmittelbare Initiative zu diesem Kriege bei Deutschland gewesen wäre — war denn der Zustand Europas vor dem Kriege so köstlich, war er liebevoller Enthaltung so wert, daß es abscheulich genannt werden dürfte, seinen Umsturz in die Wege geleitet zu haben?“

Und weiter im O-Ton von Thomas Mann:

„Das Gleichgewicht Europas ... war die Ohnmacht Europas, war seine Blamage gewesen“ (3).

Noch stärkerer Tobak gefällig? Robert Musil in der Neuen Rundschau 1914 unter dem Titel „Europäertum, Krieg, Deutschland“:

„Treue, Mut, Unterordnung, Pflichterfüllung, Schlichtheit — Tugenden dieses Umkreises sind es, die uns heute stark, weil auf den ersten Anruf bereit machen zu kämpfen“ (4).

Nun also wieder. Vom ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck aufwärts über Schriftsteller vom Schlage Martin Pollacks bis zur Außenministerin Annalena Baerbock sprühen deutsche Meinungsmacher vor Kriegseuphorie und Russenhass. Gauck will die Strangulierung der russischen Wirtschaft mittels immer mehr und immer schmerzhafteren Wirtschaftssanktionen antreiben, koste es, was es wolle. Sein Spruch „Frieren für die Freiheit“ wird dereinst für Historiker als erster staatsmännischer Kriegsaufruf interpretiert werden.

Der Autor Martin Pollack, unter anderem Preisträger des Leipziger Buchpreises für europäische Verständigung, hetzt schon seit Jahren gegen den Kreml und war auch mit bei den Ersten, die den Angriff Russlands auf die Ukraine dazu nützen wollen, um den Westen in den Krieg hineinzuziehen. „Wir sind es, die angegriffen werden“ meinte er bereits drei Tage nach dem russischen Einmarsch, und „wir müssen uns verteidigen“ (5).

Die zuständige Ministerin versteht mittlerweile unter Außenpolitik, Russland zu ruinieren, was bis Redaktionsschluss dieses Textes mit Sanktionen gegen Moskau und Waffenlieferungen für Kiew bewerkstelligt wurde. Und wenn dies nicht den gewünschten Erfolg bringt? Figuren wie die hier erwähnten stehen bereit, das Arsenal gegen Russland zu erweitern.

Und dann? An die Zukunft nach dem Waffengang gegen Russland haben auch vor 110 Jahren weder Wilhelm II. noch Thomas Mann gedacht. Scholz, Baerbock, Gauck und Konsorten stehen in dieser fahrlässigen Tradition.

Und die Linke?

Was tun? Als Linker, als Friedensaktivist, als Antifaschist? Kriegshetze geht gar nicht. Die Rede von — unserer — Freiheit, für die national bis rechtsradikal gesinnte Ukrainer kämpfen sollen, ist widerlicher Propagandasprech mit tödlicher Auswirkung. Er instrumentalisiert die Notlage eines Volkes in der Hoffnung, damit opferbereite Menschen gegen Russland gefunden zu haben. Die ukrainischen Helden von heute werden morgen ihre Schuldigkeit getan haben.

Gegen den Krieg!

Gegen den Krieg! Das muss ohne jede Verzögerung den sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen in die Ukraine beinhalten. Schon deshalb, weil die Waffen nur dazu dienen können, den Krieg, das Morden und das Leiden zu verlängern. Und auch deshalb, weil sie auch, wie mittlerweile klar geworden ist, millionenfach in dunklen Kanälen verschwinden, aus denen in naher Zukunft kriminelle und faschistische Banden auftauchen können, um in den zunehmend sozial destabilisierten Gesellschaften Europas Schrecken und Unsicherheit zu verbreiten.

Waffenlieferungen in Kriegsgebiete ohne UN-Mandat stellen zudem rechtlich eine Verletzung des allgemeinen Gewaltverbotes dar. Sie beschleunigen die Zerstörung der Ukraine. Und wenn der Sinn von Panzern und Raketen sein soll, einen Regimewechsel in Russland — nach dessen herbeigesehnter Niederlage — zu bewerkstelligen, dann sehe man sich an, was aus dem vom Westen mitinszenierten Regimewechsel in der Ukraine 2014 geworden ist: ein Bürgerkrieg samt abgespaltenem Landesteil (die Krim) und letztlich eine kriegslüsterne Führungsschicht, deren Außenpolitik sich darin erschöpft, Waffen zu fordern und jene Länder in der Welt zu brandmarken, die dem Sanktionsregime gegen Moskau nicht hundertprozentig folgen.

Gegen den Krieg! Das bräuchte die gesellschaftliche Ächtung — und juristische Verfolgung — der Kriegstreiber in der Europäischen Union, von Borrell über Gauck bis Baerbock. Dass wir davon weit entfernt sind, darf uns nicht entmutigen.

Unser Selbstverständnis muss lauten — gegenteilig zu deren Losung — „Euer Krieg ist nicht unser Krieg“.

Und damit sind freilich alle Kriegsparteien gemeint: die mit Schießbefehl in Moskau und Kiew sowie diejenigen in den Amtsstuben Berlins, Brüssels und Washingtons, die Milliarden von Euros und Dollars zur Weiterführung des Mordens bereitstellen.

Gegen den Krieg! Das muss auch die Aufhebung der seit April 2014 bestehenden und seither um ein Vielfaches gesteigerten Sanktionen gegen die russische Wirtschaft inkludieren. Ihre Strangulierung macht die Menschen hüben wie drüben ärmer, lässt sie im Winter frieren und vergrößert die ohnedies bereits weit auseinanderklaffende soziale Schere. Die Enteignung russischer Reicher kann nur zu einem russenfeindlichen Gesellschaftsklima führen, wenn nicht zeitgleich auch die obszönen Reichtümer deutscher, britischer, französischer und italienischer Oligarchen verstaatlicht werden. Da dies in naher Zukunft nicht zu erwarten ist, sind die von Brüssel geforderten Eingriffe ins Eigentumsrecht abzulehnen.

Gegen den Krieg! Das heißt, dem Aufrüstungswahn entgegentreten. Statt Milliardenzahlungen an Waffenfirmen zu tätigen, müssten die Gelder in Sozialprogramme gesteckt werden. Es ist schier unglaublich, in welcher Rasanz die politische Elite EU-Europas — und der USA — jede Vernunft und jede positive Zukunftsvision der Kriegseuphorie geopfert hat.

Gegen den Krieg! Das muss die Rücknahme der Suspendierungen und Ausschlüsse Russlands aus internationalen Organisationen beinhalten. Ohne entsprechende Plattformen ist ein Dialog — so konfliktreich er immer auch sein mag — nicht möglich. Er wird unumgänglich und notwendig sein.

Gegen den Krieg! Das heißt auch, sich bei all den russischen Kulturschaffenden und Sportler:innen — von Stardirigent Waleri Gergijew bis zu russischen Fußballteams — für ihren Ausschluss aus dem europäischen Kultur- und Sportleben zu entschuldigen.

Nähme man diese ungeheuerliche Maßnahme bei jedem Krieg vor, den die USA, die NATO, Frankreich, Großbritannien, Saudi-Arabien, Pakistan, Indien und so weiter in den vergangenen Jahrzehnten geführt haben, dann wäre jeder Kultur- und Sportaustausch schon längst zum Erliegen gekommen.

Gegen den Krieg! Das muss folgerichtig die Einrichtung von Dialogformaten auf internationaler Ebene bedeuten. Dabei muss es um die Anerkennung der beiden Volksrepubliken Donezk und Luhansk, eventuell nach der Blaupause der kosovarischen Unabhängigkeit, gehen sowie um eine militärische Neutralisierung der Restukraine. Zudem um Wiederaufbauprogramme für die Ukraine sowie Hilfe für die Rückführung von Millionen Geflüchteten. Nur eine von der UNO geleitete und von allen Kriegsparteien akzeptierte politische und militärische Sonderkommission darf für die Überwachung und Einhaltung der Gesprächsresultate eingesetzt werden.


Von Hannes Hofbauer ist zum Thema in 7. Auflage erschienen: „Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung“.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.sudd.ch/event.php?lang=de&id=ua031991
(2) Russ Bellant, Old Nazis, the New Right, and the Republican Party. Boston 1991, Seite 72.
(3) Thomas Mann, Friedrich und die große Koalition (1915), siehe: Thomas Mann, Essays 1914-1926. Frankfurt/Main 2003, Seite 121.
(4) https://www. demokratiewebstatt.at/thema/thema-der-erste-weltkrieg/von-sarajevo-zum-flaechenbrand/laute- kriegsbegeisterung-und-leise-stimmen-fuer-den-frieden
(5) https://www.kleinezeitung.at/kultur/buecher/6104603/Martin-Pollack_Autor-und-OsteuropaExperte-sieht-UkraineKrieg-als — Abruf am 27. Februar 2022.

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