Die Finanzwelt hat Ende 2018 einen Wendepunkt erreicht. Fast zehn Jahre lang haben die Zentralbanken das globale Finanzsystem künstlich am Leben erhalten, indem sie Billionen an Dollars, Euros, britischen Pfund, japanischen Yen und Schweizer Franken aus dem Nichts erzeugt und zu immer niedrigeren Zinsen vergeben haben.
Damit haben sie eine Entwicklung eingeleitet, die niemand vorausahnen konnte: Die Finanzmärkte haben über einen Zeitraum von 115 Monaten eine Rekordmarke nach der anderen gerissen. Das Ganze hatte aber auch eine Schattenseite, denn die Maßnahmen haben zugleich bewirkt, dass
- im Verhältnis zu den Finanzmärkten immer weniger Geld in die Realwirtschaft floss,
- das Steueraufkommen wegen der im Finanzsektor intensiv praktizierten Steuervermeidung nicht mit der Geldentwicklung mithalten konnte,
- immer weniger öffentliche Investitionen getätigt wurden,
- die Infrastruktur weltweit zerfiel,
- konservative Anleger wie Versicherungen, Renten- und Pensionskassen gezwungen wurden, zu spekulieren und unverhältnismäßig hohe Risiken einzugehen,
- die Altersvorsorge durch Sparen erschwert und einer zukünftigen Zunahme der Altersarmut der Weg bereitet wurde,
- Privathaushalte, Unternehmen und Staaten sich immer höher verschuldeten,
- immer mehr Anleger mit geliehenem Geld in die Märkte einstiegen,
- an den Finanzmärkten die größten Blasen aller Zeiten entstanden,
- die soziale Ungleichheit weltweit explodierte.
Da diese Entwicklung das globale Finanzsystem inzwischen existenziell bedroht, ersetzen die Zentralbanken, angeführt von der FED, seit einiger Zeit ihre „lockere“ durch eine „straffere“ Geldpolitik — das heißt: Sie verringern den Geldfluss und erhöhen die Zinsen.
Die FED hat ihren Leitzins von 2015 an in mehreren sehr vorsichtigen Schritten bis auf 2,25 Prozent angehoben und bereinigt ihre auf mehr als 4,5 Billionen Dollar angewachsene Bilanz zurzeit um monatlich circa 50 Milliarden Dollar, die EZB hat ihre im März 2016 begonnenen Anleihenkäufe in diesem Sommer weiter eingeschränkt und will sie ab Anfang 2019 ganz aussetzen.
Diese Umkehr in der Geldpolitik wirkt auf die Finanzmärkte allerdings wie ein Drogenentzug auf einen Süchtigen und führt daher zu einer gefährlichen Instabilität. Aber nicht nur das — sie trifft das System auch noch zu einer Zeit, in der es ohnehin mit einer Anhäufung von Problemen konfrontiert ist: dem von den USA inszenierten Handelskrieg, der italienischen Bankenkrise, dem Volksaufstand in Frankreich, den Sanktionen gegen Iran, der Kapitalflucht aus den Schwellenländern, dem im Hintergrund immer bedrohlicher ausufernden Derivatesektor und einer einsetzenden globalen Rezession.
Ein ungünstigeres Zusammentreffen schwarzer Schwäne — möglicher Auslöser für einen System-Kollaps — ist schwer vorstellbar. Sollten die Zentralbanken trotzdem an ihrer straffen Geldpolitik festhalten, so lässt sich die Entwicklung an den Finanzmärkten in folgende drei Stadien einteilen:
Erstes Stadium, in dem wir uns gerade befinden: Durch den Geldentzug wird weniger spekuliert, die Kurse beginnen zu fallen. Erste Investoren, die mit geliehenem Geld in die Märkte eingestiegen sind, ziehen sich zurück, worauf die Kurse weiter nachgeben. In die Spekulation gezwungene konservative Anleger werden nervös, verkaufen und drücken die Kurse noch weiter.
Zweites Stadium: Der hohe Schuldenstand vieler Marktteilnehmer tritt immer deutlicher zutage, das Misstrauen wächst und führt zu immer zögerlicherer Kreditvergabe. Da Schuldnern die Bedienung ihrer Schulden zunehmend schwerer fällt, müssen sie immer mehr Wertpapiere verkaufen, was einen weiteren Rückgang der Börsenkurse und noch mehr Verkäufe nach sich zieht.
Drittes Stadium: Wegen der anhaltenden Abwärtsbewegung an den Börsen weiten sich die Kursverluste aus, erste Gläubiger fordern ihr Geld von Schuldnern zurück, es kommt zu einzelnen Insolvenzen, denen weitere und größere folgen, was noch mehr Gläubiger skeptisch macht und zum gefürchteten „Margin Call“ — einer flächendeckenden Rückforderung von Schulden — führt.
Dadurch werden im Derivate-Bereich immer höhere Zahlungen fällig, die sogar die Großbanken überfordern, selbst kühl kalkulierende Börsenprofis in Panik geraten lassen und damit eine nicht mehr aufzuhaltende Abwärtsspirale in Gang setzen.
Der gesamte Prozess ist mit dem Abgang einer Lawine vergleichbar, die sich zunächst langsam in Gang setzt, dann an Fahrt aufnimmt und schließlich krachend alles und jeden mit sich reißt.
Noch befinden wir uns im ersten Stadium dieses Prozesses. Doch das heißt nicht, dass es nicht schon bald zum Crash kommen kann, denn in welchem Tempo sich die Dinge ereignen werden, kann niemand voraussagen.
Eines aber lässt sich schon jetzt feststellen: Selbst wenn die Zentralbanken aus Angst vor dem Zusammenbruch ihre straffe Geldpolitik über Bord werfen und panikartig erneut Geld zu noch niedrigeren Zinssätzen — also im Fall der EZB im Negativbereich — in die Märkte pumpen sollten, werden sie nur ein zeitlich begrenztes Strohfeuer entfachen, den endgültigen Zusammenbruch aber nicht mehr verhindern können.
Die Botschaft des globalen Finanzsektors zum Jahreswechsel 2018/2019 ist eindeutig und lautet: Das Casino schließt seine Pforten, das Spiel ist vorüber.