Es war einmal ein Mann, dessen Frühstück aus vier dunklen Brotscheiben bestand, die er mit Marmelade bestrich. Dazu trank er ein Glas Orangensaft und eine große Tasse schwarzen Kaffee. Eines Tages befand sich dieser Mann auf einer Reise, die für ihn organisiert worden war. Und so kam es, dass er in einem gediegenen Hotel mit exquisiter Aussicht auf majestätische Berge, an denen mysteriöse Gletscher klebten, übernachtete. Noch nie hatte er solches gesehen, denn wo er herkam, sah es ganz anders aus.
Zum Frühstück bot das Hotel ein einladendes Buffet an. Verschiedene Brotsorten, Croissants, Brötchen, Knäckebrot und auch Butterzopf, weil es Sonntagmorgen war, waren schön hergerichtet, dazu mehrere hausgemachte Marmeladen und zwei verschiedene Honigsorten. Auch ein Nussschokoladenaufstrich fehlte nicht. Es gab regionale, schweizerische und französische Käsesorten, frische Butter und Margarine, Bündnerfleisch, Schinken, Speck, Aufschnitt, Gurken, Tomaten, Peperoni, Oliven und Salatblätter. Auch Eier konnten in verschiedener Form bestellt werden als gekochtes Ei, Rührei, Omelett oder Spiegelei. Daneben lag eine Auswahl an Joghurts, ein Haus-Fruchtmüsli, mit oder ohne Rahm, verschiedene Flocken, Nüsse, Samen und getrocknete Früchte. Auf der gegenüberliegenden Seite war ein Tisch mit einer Auswahl an Süßigkeiten gedeckt:
Schokoladenkuchen, Marmorkuchen, Nussschnitten, verschiedenes Gebäck, Kekse, Pralinen und Früchte: Es sah aus, als wäre es ein Dessertbuffet. In der Ecke standen mehrere Krüge mit Fruchtsäften, Wasser, Milch und sogar eine Sektflasche bereit, daneben eine Kaffeemaschine, an der man sich à discretion bedienen konnte und eine große Teesammlung.
Es war einer dieser Sonntagmorgen, der schöner nicht sein konnte: ein strahlender Tag mit wolkenlosem, blauem Himmel und glitzerndem Schnee, der nichts, wirklich nichts zu wünschen übrig ließ. Der Mann ging hin, nahm sich vier dunkle Brotscheiben, die dem Brot, das er zu Hause aß, am meisten glichen, wählte eine Marmelade aus, goss sich Orangensaft in ein Glas, legte alles auf seinen Platz am gedeckten Frühstückstisch und holte mit der Tasse noch den schwarzen Kaffee. Das war sein Frühstück. Nicht mehr, nicht weniger.
Nun könnten wir sagen, dass es den Hotelbesitzer vielleicht freut, einen so genügsamen Gast zu haben, der die kostspieligeren Beilagen des Frühstücks ignoriert. Ja, die Genügsamkeit dieses Gastes könnte beeindrucken.
In Zeiten von Vegetariern und Veganern könnte die bescheidene Auswahl dieses Gastes naheliegend damit erklärt werden, dass er Veganer sei, aber dem ist leider nicht so. Im Gegenteil, dieser Mann liebte es — es war sogar sein liebstes Hobby —, zu seiner Freude Tiere zu jagen und für den eigenen Verzehr zu töten. Fehlinterpretationen sind blitzschnell und bereits da, bevor die Erzählung aller Umstände und Tatsachen gehört wurde. Ein einziges Detail genügt, manchmal nur ein einziges Wort, um die Schublade zu öffnen und die Person, ein Ereignis, eine Situation oder einen Text darin einzuordnen und zu verstauen, wo sie dann bleiben. Wie wäre es dagegen, eine Haltung des Nichtwissens einzunehmen? Das heißt: eine Haltung des alles Hinterfragens? Mit Offenheit sich zuerst alle verfügbaren Fakten anzuhören, Fragen zu stellen, verschiedene Perspektiven einzunehmen und zu vergegenwärtigen, aus der sich eine vorsichtige, provisorische Hypothese ergibt, die sich ändern kann und ständig entsprechend den neuen Erkenntnissen angepasst wird?
War es vielleicht so, dass er sich dachte: „Mach es wie gewohnt, wie zu Hause“, egal, wo er sich gerade auf der Welt befand? Oder nach dem Motto: „So einfach wie möglich, nur nicht kompliziert“? Jede Änderung seiner Gewohnheit wäre für ihn ein unnötiger Energieaufwand: hinzuschauen, sich verschiedenen Dinge anzusehen und dann erst noch auswählen zu müssen — welche Mühe!
Etwas Neues auszuprobieren könnte allzu anstrengend oder ein zu großes Risiko sein. Warum etwas anderes essen, wenn er mit den vier Brotscheiben schon immer zufrieden gewesen war und auch heute damit zufrieden sein konnte?
Oder war er einfach so verschlafen, dass er gewohnheitsmäßig funktionierte, ohne wirklich wahrzunehmen, welche Leckereien ihm angeboten wurde? Und wenn er tatsächlich so verschlafen war, dann bedeutet dies, dass ihm nicht bewusst war, dass er „schlafwandelte“, denn er konnte auch „schlafwandelnd“ auf das Gewohnte zugreifen.
Wie wäre es, diese kleine Szene als Metapher dafür zu nehmen, wie Menschen ihr Leben verbringen? Könnte es sein, dass Menschen meistens nur das sehen und auswählen, was sie gewohnt sind? Viele schauen oder lesen die News, die Filme und die Bücher, die sie kennen und gernhaben, verständlicherweise, was eben das Gewohnte ist. Und sie interpretieren diese News, Artikel, Bücher, Filme und genauso auch Menschen, Situationen und Ereignisse, wie sie diese interpretieren wollen, nämlich so, wie sie es gewohnt sind: nach genau denselben Kategorien, die sie gewohnheitsmäßig benutzen. Und: Sie interpretieren auch sich selbst so, wie sie es schon immer oder seit langer Zeit tun.
Wir wählen meistens das aus, was im Rahmen unserer Gewohnheiten liegt. Wir tun, was wir gewohnt sind zu tun. Und wir denken auch, was wir gewohnt sind zu denken. Und dann sagen wir, was wir gewohnt sind zu sagen. Auch fühlen wir immer wieder, was wir gewohnt sind zu fühlen. Und wir wiederholen dies sogar dann, wenn das Ergebnis nicht sonderlich schmeckt. Menschen wiederholen dies auch dann, wenn es die Gewohnheiten sind, die ihnen nicht guttun. Aber viele akzeptieren dies, weil sie denken, dass es keine Alternative gäbe. Oder dass diese für sie nicht möglich oder zu anstrengend sei. Und sie denken genau dies, weil es wiederum das ist, was sie gewohnt sind zu denken, und so drehen sie sich im Kreis.
Menschen tun dies auch dann, wenn die Situation, das Ereignis, der Text oder die Person ihre Interpretation nicht zulässt und de facto etwas ganz anderes ist und bedeutet. Wenn sie gewohnt sind, die Welt oder sich selbst aufgrund von gewissen Stichworten oder „Schubladen“, die sie übernommen oder sich geschaffen haben, zu lesen und zu interpretieren, dann werden sie genau diese wiederfinden. Sie werden innerhalb der Begrenzungen ihrer Vorstellungskraft und dessen, was sie sehen wollen, genau dies in der Situation, im Text, in der Person und in der Welt finden, so wie der Hammer nur eines kennt: den Nagel. Und sie werden auch dort Nägel sehen, wo es keine hat, und anderswo eine Oase entdecken, die sich als Fata Morgana oder sogar als Abgrund entpuppt.
Falschinterpretationen können an den sprichwörtlichen Haaren herbeigezogen werden, damit die Dinge nach dem bekannten, gewohnheitsmäßigen oder gewollten Interpretationsmuster, dem unbewussten oder bewussten Glaubenssatz, innerhalb des abgesteckten Rahmens gedeutet werden können. Was nicht irgendwie in den Rahmen gepasst werden kann, wird kritisiert und verurteilt. Und als wäre dies nicht schon genügend verwirrend, weil Menschen dies unbewusst tun, gibt es dazu noch überall welche, ob nah oder fern, die es für uns besser zu wissen meinen und uns sagen, was wir zu glauben, denken, fühlen und zu sehen hätten, mithilfe von Institutionen oder auch ohne. Ihnen entsprechen all jene, die genau dies wollen. Sie erwarten, dass man ihnen sagt, was sie zu glauben, denken, fühlen und zu sehen haben. All dies ist etwas Urmenschliches. Es gehört zum Stoff, aus dem das — Jahrtausende währende — Welttheater gewoben ist, als Tragödie und Komödie.
Nun ist es wohl eine Tatsache, dass wir in jeglicher Hinsicht Gewohnheitstiere sind, was auch sein Gutes hat und ein Glück ist.
Gewohnheiten sind wichtig und nützlich: Müssten wir jeden Tag alles und uns selbst völlig neu erfinden und wählen, wie und was wir essen, wie und wohin wir gehen, wie und wo wir sitzen, wie und was wir tun und lassen, was wir denken, glauben, sagen, fühlen, was wir mögen und was nicht, wie wir heißen, welchen Beruf wir ausüben und mit wem wir verheiratet sind — es wäre schlicht unmöglich und zerschleißend.
Es hat seinen Grund, warum Menschen, die sich einem ganz bestimmten Lebensziel verschrieben haben, einen ziemlich routinierten Tagesablauf befolgen. Sie tun dies, um all ihre Energie für das einzusetzen, was ihnen wirklich wichtig ist, und sei es das Ziel, bewusst und vorurteilslos wahrzunehmen und zu leben.
Doch wie wäre es, uns vorzustellen, dass unser Leben uns in genau diesem Moment Neues, Schönes, vielleicht sogar Wertvolleres, ja viel mehr Möglichkeiten bietet, als wir glauben? Und noch mehr: dass genau diese direkt vor unseren Füßen oder, noch näher, vor unserer Nase liegen, wie die übersehenen, leckeren Kuchenstücke auf dem Frühstücksbuffet? Dass das, warum wir auch und überhaupt auf einer Reise sind, einer Lebensreise nämlich, bereits da ist, vor unseren Augen, nur dass wir es blindlings übersehen, wie dieser Mann mit den vier Brotscheiben? Wenn dem so wäre, was würde es brauchen, um dieses Andere, Neue, diese Möglichkeiten zu sehen?
Es scheint offensichtlich zu sein, nicht wahr? Es bräuchte nur eines: die Augen zu öffnen. Wir könnten dann mit einem wirklichen Interesse, einer tieferen Offenheit und wahrhaftigeren Sehnsucht sehen und erleben, dass es neben den Gewohnheiten noch neue, andere Angebote und Möglichkeiten gibt, die wir geflissentlich übersehen. Die Welt bereist zu haben, täglich fernzusehen, online zu surfen und zu lesen, mit der Überzeugung, wirklich viel zu kennen und zu verstehen, sind damit nicht gemeint. Wenn es darum geht, auch auf einer Reise das gewohnte Menü, dieselbe Wurst, denselben Käse, und sei es im übertragenen Sinn, zu erhalten, dann ist es egal, ob Wurst, Käse oder vier Brotscheiben.
Die Augen öffnen. So einfach könnte es sein. Und dadurch wäre auch die Möglichkeit gegeben, aus dem Kreis hinauszutreten. Anders gesagt, für den Fall, dass wir mehr entdecken und sehen möchten als die gewohnten „vier Brotscheiben“, bräuchte es zuerst dies: aufzuwachen. Und wenn wir aufwachen, würden wir gewahr, dass wir eine neue Reise begonnen haben — die des Erwachens.
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