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Das Corona-Tagebuch

Das Corona-Tagebuch

Die Mutmach-Redaktion lädt die Rubikon-Leser zum kollektiven Schreiben ein. Teil 22.

Anna Köppel

Nicht in meinem Namen

Nein, ich möchte mir keine Angst von der Seele schreiben. Ich bin nicht ängstlich, ich bin wütend. Sehr wütend!

Warum nicht ängstlich? Weil ich mit fast 68 Jahren weiß, dass meine Lebenszeit gegen Ende geht, auch ohne Viren. Wer sich in diesem Alter noch nicht mit seinem/ihrem Tod auseinander gesetzt hat, dem kann ich nur empfehlen, das nachzuholen.

Das bedeutet nicht, sich den Tod zu wünschen. Im Gegenteil: Lebe für das Diesseits, als ob du ewig leben würdest, und für das Jenseits, als ob du morgen schon sterben müsstest. Das ist eine Lebensregel, die auch für diejenigen funktioniert, die nicht glauben, dass nach dem Tod noch etwas sein könnte. Sicherlich würde ich gern noch lange genug leben, um meine laufenden Projekte weiterzuführen. Aber falls nicht, dann müssen die eben von Jüngeren fertiggestellt werden. Damit kann ich leben.

Warum wütend? Ich fühle mich benutzt und von PolitikerInnen als Vorwand für moralische Erpressung missbraucht. Erpressung ist immer übel, moralische Erpressung ist ganz besonders perfide. „Schützt unsere Alten!“, heißt es gerade überall. Hat irgendwer „unsere Alten“ gefragt, ob sie geschützt werden wollen durch „Kontaktbeschränkungen“ und Quarantäne?

Ich will das jedenfalls nicht, es mindert meine Lebensqualität ganz erheblich. Ein Beispiel von vielen: In meiner Nachbarschaft ist ein Spielplatz. Er wurde gesperrt, die Zugangstore sind zugeschweißt. Ich vermisse das Kinderlachen und den Kinderlärm, und zwar schmerzlich. Beim Spazierengehen begegnen mir oft Eltern mit Kindern, die erschrocken ihre Kinder beiseite zerren, wenn ich des Weges gehumpelt komme. Das tut mir sehr leid, denn ich bin doch so froh, wieder einmal Kinder zu sehen. Ich lächele dann die Eltern an und versuche sie zu beruhigen: „Keine Panik, alles ist gut.“ Oft kommen wir dann ins Gespräch. Gute Gespräche. Hauptsache, wir lassen uns dabei nicht von der Polizei erwischen. Was für ein Land!

Wenn schließlich sogar zwangsweise häusliche Quarantäne für „Senioren“ vorgeschlagen wird, dann betrachte ich das als ultimative Gängelung: Hausarrest für leichtsinnige und ungehorsame Unmündige. Ich bin aber weder minderjährig noch entmündigt. Und, so bilde ich mir wenigstens ein, noch nicht dement. Welche Risiken ich in welcher Situation eingehe, das möchte ich gefälligst selbst entscheiden.

Und nein, ich will im Falle der Erkrankung keinen der knappen Beatmungsplätze beanspruchen, falls ich mich leichtsinnig und egoistisch einer Ansteckung ausgesetzt habe. Ich kenne das Argument, aber es zieht bei mir nicht. Nein danke, ich möchte in meinem Alter nicht mehr beatmet werden. Es gibt Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten. Auf der Webseite anwalt.de gibt es unter dem Stichwort „Patientenverfügung erstellen“ zusätzliche Informationen für ihre Anpassung explizit für den Fall der Corona-Erkrankung.

Selbstverständlich kann ich nur für mich selbst sprechen. Es wird sehr wohl auch alte Menschen geben, die das anders sehen. Schließlich gibt es in jedem Lebensalter Misanthropen oder Ängstliche oder solche mit dem Wunsch, ewig zu leben, egal auf welche Weise. Aber es würde mich nicht wundern, wenn viele „unserer Alten“ ähnlich wie ich empfinden. Ich jedenfalls sage zu diesen lebensfeindlichen Maßnahmen: Nicht wegen mir! Nicht in meinem Namen!

Ich denke jetzt oft an den Song von John McCutcheon, der mich auf Friedensdemos begleitet hat, als es noch eine Friedensbewegung gab. In seinem Lied „Not in my name“ widersetzt er sich der üblichen Kriegspropaganda und erklärt, frei übersetzt:

„Ich wurde missbraucht als Inspiration und auch als Entschuldigung, für den Mord und das Elend, das ihr angerichtet habt … Nicht in meinem Namen!“

Und sind wir nicht schon wieder in einem Krieg? Macron hat die Maßnahmen gegen das Corona-Virus zumindest schon sehr früh als Krieg bezeichnet.

Und das wiederum erinnert mich an Karl Kraus, der sinngemäß schrieb: Krieg gibt es, wenn Politiker den Journalisten die Hucke volllügen, und dann glauben, was in den Zeitungen steht.

Allzu viele Journalisten bemerken anscheinend nicht, dass sich die Maßnahmen-Feldzüge nicht gegen das neuartige Virus richten — dem wird es ebenso wie anderen Grippeviren, die trotz massenhafter Impfungen jeden Winter wieder auftauchen, auch dann noch ausgezeichnet gehen, wenn alle geimpft sind. Diese Feldzüge im gegenwärtigen Antivirenkrieg richten sich gegen die Bevölkerung.

Es gab Zeiten, als Journalisten gegen Zensur kämpften. Jetzt gibt es JournalistInnen, die sich aus freien Stücken als ehrenamtliche Zensurbehörde aufführen. Was für eine Zeit!


Anna Köppel, Jahrgang 1952, vielbeschäftigte Rentnerin.


Das Corona-Tagebuch im Überblick:

Teil 1: Katrin McClean, Corona-Tagebuch
Teil 2: Roland Rottenfußer, Der letzte freie Tag
Teil 3: Isabelle Krötsch, Corona-Tagebuch
Teil 4: Kerstin Chavent, An das Mögliche glauben
Teil 5: Anonym, Meine Mutter und die Isolation
Teil 6: Gabriele Herb, Aufruf zur Wachsamkeit!
Teil 7: Paul Löber, Spanienbericht
Teil 8: Liselotte Korfmacher-Finke, DemokratInnen unerwünscht
Teil 9: Michael Bock, Sind wir bereit, uns zu verändern?
Teil 10: Oliver Märtens, Corona-Tagebuch
Teil 11: Dirk Hüther, Gehen, Sehen, Handeln!Teil
Teil 12: Doris Röschmann, Jenseits von richtig und falsch
Teil 13: Mathilda Libertad, Irgendnirgendsicherwo
Teil 14: Heidemarie Weber, Corona-Tagebuch
Teil 15: Daniela Wolter, Corona-Tagebuch
Teil 16: Thomas Hochschild, Corona-Tagebuch
Teil 17: Wolf Schneider, Hausarrest
Teil 18: Jitka Nickel, Kopfcorona — das Trauma sickert ein
Teil 19: Heike Wentland, Corona-Tagebuch
Teil 20: Michael Bock, Die fast perfekte Show & Eine Frage an die Liebe
Teil 21: Dijana Ilic, Eine Antwort auf die Frage : Mama, wo warst Du?


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