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Das Corona-Tagebuch

Das Corona-Tagebuch

Die Mutmach-Redaktion lädt die Rubikon-Leser zum kollektiven Schreiben ein. Teil 13.

Am 29. März haben wir unsere Leser aufgefordert, ihre Erfahrungen mit den Corona-Maßnahmen zu schildern. Uns erreichten erschütternde aber auch aufrüttelnde und Mut machende Schilderungen, die wir nach und nach veröffentlichen.

Irgendnirgendsicherwo

von Mathilda Libertad

Ich weiß nicht mehr viel, ich weiß nicht mehr wo ich bin. Ich weiß nur noch, wer ich bin, und dass ich das für immer bleiben werde. Ich erinnere mich an eine Zeit, als ich noch spaßeshalber sagte, jetzt sei es dann bald verboten, in der Öffentlichkeit zu husten. Es fühlt sich an, als wäre dies Jahre her. Es sind aber, das muss ich mir jeden Tag sagen, nur ein paar Wochen.

Ich lebe in der ehemals demokratischen Schweiz. Und nicht in meinen schlimmsten Träumen hätte ich mir vorstellen können, dass dies passiert, was jetzt passiert. Ich bin glücklicherweise das Kind von zwei Menschen, die mit einem wachen und kritischen Blick durch die Welt gehen. Das hat mich geprägt. Es ist mir, und war mir auch nie möglich, das Leben nicht zu hinterfragen. Auf meine Weise.

Ob es in der heutigen Zeit nun wirklich ein Glück ist, so und nicht anders zu ticken, das weiß ich nicht mehr. Ich weiß ganz vieles nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich in so einer Welt nicht leben möchte, und dass ich nicht mehr weiß, wie ich meinem Kind erklären soll, wo da draußen die allgegenwärtige Gefahr denn lauert, da ich keine Gefahr wahrnehmen kann.

Anfangs beobachte ich noch, ich sehe, wie meine Mitbürger und Mitbürgerinnen leicht hysterisch ihre Hände desinfizieren, sehe, dass man Türklinken nur noch mit Ellbogen oder hervor gekrempelten Ärmeln berührt, sehe, dass es leerer wird, höre, dass es stiller wird.

Dann gibt es plötzlich kein Desinfektionsmittel mehr, Toilettenpapier wird in Unmengen gekauft, gesunde, junge Menschen stürmen in die Apotheke und verlangen dringlichst Mundschutz und Blutdruckmessgeräte. Was mich zuerst nur leicht wundert, beginnt mich zu irritieren und dann zunehmend zu ängstigen. Dann ruft unser Bundesrat die außerordentliche Lage aus.

Die Regale in unserem reichen Land sind innerhalb eines Tages teilweise komplett leergeräumt. ich stehe im Geschäft und mache ein Foto, weil ich das einfach nicht glauben kann. Klar, Katastrophen kommen wohl immer sehr plötzlich, aber ich sehe die Gefahr nicht. Ich sehe nur Menschen, die sich ängstigen und keine Fragen stellen.

Ich gehe nachhause um mich gründlich zu informieren. Ich spreche mit meinen Eltern. Ich spreche mit Freunden. Ich spreche mit meiner Therapeutin. Ich habe Fragen, viele Fragen. Aber anscheinend andere als fast alle anderen. Ich denke über unsere Gesundheit und die Folgen dieser Maßnahmen nach. Aber ich finde neben meinen Eltern keinen, der mich versteht. Alle sprechen über Solidarität, die für mich von Anfang an keine Solidarität ist.

Selbstverständlich möchte ich mein Leben weiterleben, so wie das wahrscheinlich alle möchten. Aber dieses Mal geht es nicht einfach um mich.

Mir geht es um die Zusammenhänge. Um Verhältnismäßigkeit. Warum interessieren sich denn nun all die Gutmenschen plötzlich nicht mehr dafür, dass andernorts seit vielen Jahren täglich Kinder sterben, dass Flüchtlinge sich selbst überlassen werden? Warum denken all die Reichen denn nun nicht panisch an ihr Geld? Warum? Nur noch Warum?

Von einem Tag auf den anderen verstehe ich praktisch alle Menschen nicht mehr.

Sie zeigen miesepetrig und grollend auf die Alten, die den Schutz nicht wollen und trotzdem ins Freie oder einkaufen gehen. Sie sind unzufrieden damit, dass sie solidarisch sein müssen und DIE sich nicht an die Regeln halten.

Da meine Tochter krank ist, darf sie nicht selber in die Schule gehen um ihre Sachen nachhause zu holen. Also gehe ich. Nun stehe ich mit etwa sieben weiteren Elternteilen auf dem Pausenplatz und warte, bis ich hoch darf, um das Pult meiner Tochter leer zu räumen. Da wird munter darüber geredet, wie gefährlich jetzt unser aller Leben ist. Ich sage nichts. Erst als wieder einer anfängt, sich über die widerständigen Alten zu beklagen, werfe ich den Satz in die Runde, ob man denn kein Verständnis aufbringen könne. Die Blicke, die ich ernte, sprechen Bände.

Ich bin, für mich alleine, entsetzt darüber, dass wir nun also unsere Eltern, die uns geboren und großgezogen haben, die uns unser ganzes Leben lang begleitet haben und für uns da waren und sind, entmündigen und sie zuhause einsperren. Wir leben doch eigentlich in einer Demokratie. Haben wir unsere Eltern denn gefragt, ob sie eingesperrt werden möchten? Haben wir uns angehört, was sie zu sagen haben? Haben wir?

Ich sage nichts mehr und warte. Eine Mutter kommt langsam auf mich zu und flüstert fragend, ob ich die Situation auch so unerträglich finde. Wir stellen uns gemeinsam ins Abseits und merken schnell, Gott sei Dank, da hat noch jemand seinen Verstand nicht komplett verloren.

Wieder zuhause suche ich nun gezielt nach kritischen Stimmen. Es ist unendlich schwer. Aber ein paar finde ich. Ich finde auch den Rubikon. Ich nenne das jetzt mal so. Denn nachdem ich mich ein paar Stunden durch die Artikel gelesen habe, fühle ich mich, als wäre ich im Film „Matrix“ gelandet. Und ich habe die eine Pille geschluckt. Und ich kann nicht mehr zurück. Nie mehr.

Was das mit dem Rubikon bedeutet, erfahre ich einen Abend später, als ich zu Besuch bei eben jener Mutter und ihrem Mann bin. Er fragt mich, ob ich denn wisse, was das auf sich hat, mit dem Rubikon, und erklärt es mir. Mir kommen die Tränen. Und ich werde wohl nie mehr vergessen, wie die beiden mich ansahen.

Ich trinke ganz viel Sekt, obwohl ich eigentlich nicht mehr viel trinke. Irgendwann gehe ich nachhause und lese den Artikel „Die Pseudo-Krise“ von Sven Böttcher. Ich bin betrunken, und so froh, zwei Menschen gefunden zu habe, mit denen ich mich unterhalten kann, und ich muss lachen, während ich den Text lese, ich muss so unglaublich lachen, dass es mich schüttelt. Und dann weine ich über diese Absurdität, dass ich darüber lache.

Ich bin jetzt täglich grüßt das Murmeltier und schwanke zwischen Wut, Hilflosigkeit und Verzweiflung. Ich mache mir Sorgen um meine Tochter. Irgendwie versuche ich, sie dazu zu bringen, ihr von der Schule verordnetes Pensum zu erledigen. Vor allem aber versuche ich, meinem Kind Sicherheit zu vermitteln, Geborgenheit und Vertrauen. Das scheint mir derzeit wichtiger als Bildung.

Meine Tochter ist neun Jahre alt. Ich möchte sie möglichst unbeschadet durch diese Krise begleiten und habe mich entschieden, meine Kraft dafür zu nutzen. Aber auch da merke ich, dass ich alleine bin. Ich bin jetzt immer alleine. Wie es wahrscheinlich eigentlich alle sind. Aber vielleicht merken sie es nicht, weil sie so solidarisch sind?

Ich weiß es nicht und werde es wohl auch nie wissen.

Ich habe den Verdacht, dass sich die meisten Menschen am liebsten auflösen würden in dieser verseuchten Welt. Da rennen sie im Wald um ihr Leben, und aus lauter Angst vor dem Tod hören alle ganz freiwillig und ohne auch nur darüber nachzudenken auf zu leben.

Ich mache mir Sorgen um mein Kind. Um all die Kinder. Die jetzt eigentlich unbesorgt den Frühling genießen sollten. Die es schon genug schwer haben, in einer Welt, die so viel Tempo fordert, die Lachen brauchen, und Freude, und Freunde.

Ich mache mir Sorgen um meinen Partner. Wir haben auf einen Schlag aufgehört miteinander zu reden. Uns trennt ein tiefer Graben, da wir nicht mehr im selben Boot sitzen. Von heute auf morgen. Wir streiten uns oft. Beinahe täglich. Ich mache mir Sorgen um mein Kind und bemühe mich, den Konflikten aus dem Weg zu gehen. Das bedeutet aber, dass ich nicht mehr authentisch sein kann. Es ist, als würde ich plötzlich japanisch sprechen und fast alle anderen reden Deutsch.

Es ist Freitagnacht, 23 Uhr, es ist totenstill draußen. Unsere Katze wird nun zum Glück mit höherer Wahrscheinlichkeit nicht überfahren werden. Aber danach, gibt es danach ein großes Katzensterben, da sie den Verkehr nicht mehr kennen?

Vor drei Tagen bemerke ich plötzlich einen Schnupfen, Gliederschmerzen und Halsweh. Ich messe die Temperatur. Und ich habe tatsächlich Fieber. Mein Partner hat Angst und drängt mich, einen Test zu machen. Nur, so einen Test, den kriegt man nicht einfach so, darum muss man kämpfen.

Zuerst sagt mir eine Dame am Telefon, gemäß Verordnung unseres Bundesamtes für Gesundheit sei ich zu jung und keine Risikopatientin. Also werde ich sicher nicht getestet. Das weiß ich natürlich schon, aber ein Versuch war es mir allemal wert. Zudem verlangt sie, dass ich mich nun für zehn Tage in Einzelisolation begebe. Als ich mich weigere, dem ohne nachgewiesenen Befund Folge zu leisten, werde ich sofort ermahnt, dies sei die behördliche Weisung.

Mir wird also in diesem ehemals freien Land verweigert, abzuklären, ob es einen Grund dafür gibt, mich für 10 bis 14 Tage alleine in ein Zimmer zu sperren. Ich bin wütend. Ich bin sowas von wütend. Und zwar schon seit Wochen. Warum wehrt sich denn keiner? Ich habe die letzten vier Wochen sehr viel Zeit damit verbracht, Menschen zu finden, die sich ähnlich fühlen, die ähnlich denken, die Fragen haben.

Ich habe vielleicht acht gefunden. Und sie stammen alle nicht aus meinem engeren Freundeskreis. Ich bin entsetzt. Ich bin sprachlos! Stimmt mit mir irgendetwas nicht mehr? Bin ich paranoid? Bin ich jetzt eine Verschwörungstheoretikerin?

Ich habe eine Angst- und Panikerkrankung, mit der ich recht gut lebe. Ich müsste doch jetzt Angst haben. Warum habe ich keine Angst? Alle haben doch jetzt Angst, wo bleibt meine Angst? Wieso kann ich nicht mit der Masse gehen und mich fürchten und solidarisch klatschen? Zum Glück finde ich einen Arzt, der den Test macht.

Nun habe ich heute Morgen einem mir fremden Arzt auf der Straße meinen Rachen und meine Nase hingehalten. Seither bin ich zuhause und warte auf das Resultat. Ich fühle mich merkwürdig, so als ob ich vor Gericht stünde und auf die Urteilsverkündung warten würde.

Ich warte, und warte. Es ist Nacht. Es ist spät. Und ich warte. Worauf warte ich? Auf bessere Zeiten? Auf den Tod? Irgendwann schlafe ich und erwache mit dem Gefühl, dass ich nicht weiß, ob ich es wissen möchte.

Der Test ist positiv. Ich habe das Coronavirus. Und jetzt?

Mein Arzt, ein Gott sei Dank durch und durch vernünftiger Mensch, weist mich ausdrücklich darauf hin, es mit den Maßnahmen nicht zu übertreiben. Er hat in seiner Praxis bereits eine massiv erhöhte Zahl von Menschen mit Depressionen zu behandeln. Selbstmordversuche inklusive. Auch haben sehr viele Patienten extrem geschädigte Hände, da die Haut unter dem vielen Waschen und Desinfizieren leidet. Ein Patient hat fast keine Haut mehr. Ich bin einfach nur dankbar, dass ich diesen Arzt gefunden habe.

Nun bin ich also hochinfektiös. Eigentlich bin ich jetzt eine Art gefährliche Waffe. Ich könnte jetzt auf die Straße gehen und hunderttausende von Menschenleben gefährden und sogar ausrotten, wenn ich das wollte. Wenn ich das alles glauben würde. Wenn ich ein böser Mensch wäre.

Ich muss nun für 14 Tage in der Wohnung bleiben. Endlich mal ein Grund, so richtig schön herum zu gammeln. Aber plötzlich bin ich allerlei Menschen Rechenschaft schuldig, weil ich krank bin. Ich muss unser ganzes Haus darüber informieren, dass ich krank bin. Mein Gesundheitszustand ist nun ein öffentliches Thema, in welches sich diverse Leute einmischen können. Ich überlege, wem ich nun sage, dass ich krank bin. Wem kann ich vertrauen? Die Nachbarn überhäufen mich mit Genesungswünschen und bieten Hilfe an. Will ich das?

Ist Atmen auch bald verboten? Das Bundesamt für Gesundheit wird ernsthaft gefragt, ob man die Luft anhalten muss, wenn man an einem anderen Menschen vorbei geht. Und werden wohl direkt im Anschluss an den ganzen Wahnsinn ein paar hundert Psychiatrien aus dem Boden gestampft? Kann das unsere schwer gebeutelte Wirtschaft und das Gesundheitssystem dann überhaupt noch finanzieren und leisten?

Ich muss wohl irgendwann in den letzten vier Wochen auf dem Weg hierher meinen Humor verloren haben. Ich sorge mich um mein Kind. Wie soll ich ihr später einmal erklären, warum die Menschheit dies zugelassen hat? Auch das weiß ich nicht, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, irgendwo, irgendwie und irgendwann eine Antwort für sie zu finden!


Mathilda Libertad ist Fotografin, jetzt aber hauptberuflich Mutter. Sie ist 46 Jahre alt und lebt in der Schweiz. Dank Rubikon und Dr. Bodo Schiffmann ist sie zu einer aktiven Querdenkerin geworden.


Das Corona-Tagebuch im Überblick:

Teil 1: Katrin McClean, Corona-Tagebuch
Teil 2: Roland Rottenfußer, Der letzte freie Tag
Teil 3: Isabelle Krötsch, Corona-Tagebuch
Teil 4: Kerstin Chavent, An das Mögliche glauben
Teil 5: Anonym, Meine Mutter und die Isolation
Teil 6: Gabriele Herb, Aufruf zur Wachsamkeit!
Teil 7: Paul Löber, Spanienbericht
Teil 8: Liselotte Korfmacher-Finke, DemokratInnen unerwünscht
Teil 9: Michael Bock, Sind wir bereit, uns zu verändern?
Teil 10: Oliver Märtens, Corona-Tagebuch
Teil 11: Dirk Hüther, Gehen, Sehen, Handeln!Teil
Teil 12: Doris Röschmann, Jenseits von richtig und falsch


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