Am 29. März haben wir unsere Leser aufgefordert, ihre Erfahrungen mit den Corona-Maßnahmen zu schildern. Uns erreichen erschütternde aber auch aufrüttelnde und Mut machende Schilderungen. Wir beginnen nun damit, diese Beiträge zu veröffentlichen. Sie können uns auch weiterhin Ihre Erfahrungen in diesen Wochen mitteilen. Zuschriften bitte an: mut@rubikon.news
Corona-Tagebuch
von Oliver Märtens
13.03.2020:
Der Oberbürgermeister meiner langjährigen Wahlheimat schränkt meine Grundrechte ein. Darf er das? Ist das verfassungsrechtlich zulässig? Ist die Allgemeinverfügung hinreichend begründet? Gibt es überhaupt eine Pandemie? Darf man vorbeugend zu einer Pandemie derartig in Grundrechte eingreifen? Ist das nicht so, als könne man einen künftigen Atomkrieg nicht ausschließen und wir leben deshalb ab sofort alle im Atomschutzbunker? So quasi sicherheitshalber? Nur für den Fall eines Falles?
Ich bekomme Angst vor dem Virus. Nein, nicht vor dem Virus. Vor dem Virus der Missachtung unserer Grundrechte.
14.03.2020:
Ich beschließe, mich öffentlich in die Meinungsbildung meiner Wahlheimat einzubringen und schreibe einen Leserbrief an die regionale Zeitungsredaktion. Frage darin, wie das jetzt für die Menschen weitergeht, die auf die Tafeln angewiesen sind. Weil die Tafeln teilweise wegen Corona schließen. Und für die Insassen von Alten- und Pflegeheimen. Weil die die Besuche einschränken. Und für alleinerziehende Eltern. Weil die ja arbeiten und Kinder betreuen müssen, ohne Schulen usw.
Frage nach der Verhältnismäßigkeit der ergriffenen Mittel im Vergleich zu Maßnahmen bei Grippewellen. Frage, warum Urlaubsrückkehrer in einer Kaserne von Soldaten „betreut“ werden. Warum Verfassungen nicht mehr zählen. Und warum Lesungen in Buchhandlungen verboten werden, aber Bordelle geöffnet bleiben. Hätte ich eine Buchhandlung, würde ich die nächste Lesung im Puff durchführen. Wechselseitige Kundenzuführung, eine Win-Win-Situation, wie die Unternehmensberater sagen. Hat sich aber erledigt; Corona wurde wohl als sexuell Übertragbare Krankheit erkannt ...
Ach, fast hätte ich es vergessen: Mein Leserbrief wurde natürlich nicht veröffentlicht!
Meine Angst wird größer: Werden wir noch gehört? Wurden wir das jemals?
18.03.2020:
In der Kassenschlange des Supermarktes steht ein Mann mit einer Art Lackiermaske, die zwei Vorrichtungen zur Aufnahme von Aktivkohlefiltern hat. Ich frage mich, wie lang die Mittagspausen im Lackiergewerbe sind. Vielleicht war nicht genügend Zeit, um die Maske vor dem Einkaufen abzunehmen.
Nein, ich bekomme keine Angst, dass Star Wars eventuell nicht mehr in Full 4K UHD Doppel Extra PlusPlus gestreamt wird ...
23.03.2020:
Ich schreibe an das Bürgermeisteramt und das Gesundheitsamt meiner Stadt und frage, ob die vielen Unzulänglichkeiten der Corona-Statistik dort bekannt sind und bei städtischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Ich formuliere dazu insgesamt neun Punkte. Die Ämter reagieren mir gegenüber nicht. Das ist positiv; dann waren die ja schon längst sensibilisiert ...
Meine Angst, dass wir nicht gehört werden, fühlt sich jetzt ganz schön echt an.
25.03.2020:
Eine Woche ist um; ich muss wieder einkaufen. Unter anderem zwei Bio-Paprikas; die liegen offen in der Auslage (nicht desinfiziert). Lege sie in einen Einkaufskorb aus dem Markt (nicht desinfiziert). Stelle mich an der Kasse an; zwei Meter vor und hinter mir zu den anderen. Lege irgendwann meine Paprikas auf das Kassenband (nicht desinfiziert). Zahle, packe ein und gehe nach Hause. Frage mich, wie man Paprikas so desinfiziert, dass sie danach virenfrei sind. Und ob man sie dann noch essen sollte.
Entschließe mich dazu, auf die Desinfektion des Gemüses zu verzichten und es stattdessen zu essen; die zwei Meter Abstand in der Kassenschlange allein bieten sicher bereits den benötigten Infektionsschutz ...
Habe Angst, dass nicht ich mich irre, sondern die Politiker, eine Vielzahl weit verbreiteter Medien und handverlesene „Experten“. Angst, weil es dann viel mehr Irrende gäbe. Es wäre mir lieber, ich würde mich irren; ich bin nur einer und richte keinen Schaden an ...
26.03.2020:
Der Tag ist ein wenig hektisch; ich habe wenig Zeit für das Tagebuch. Frage die Bundestagsabgeordneten aus den beiden Wahlkreisen meiner Stadt, ob sie Lust hätten auf ein paar Corona-Untersuchungsausschüsse zu Bundesgesundheitsministerium, Robert-Koch-Institut, Charité Berlin usw. Haben sie wohl nicht. Sonst hätten sie mir ja geantwortet.
Macht nichts, dann werden ja sicherlich die Landesvertreter aus Nordrhein-Westfalen im Bundesrat die wohl verfassungswidrige Änderung des Infektionsschutzgesetzes verhindern. Haben sie nicht; meine Mail erreichte sie wohl zu spät. Konnte ich aber auch nicht ahnen, dass die Änderungen im Bundesrat am nächsten Tag schon nach zehn Minuten ohne Wortmeldung durch waren.
Angstfrei gehe ich zu Bett. Doch dann habe ich diese merkwürdigen Albträume über einen Reichsgesundheitskanzler und seine GeStaMe (Geheime StaatsMedizin). Wenn die doch geheim ist, warum tragen die in meinem Traum dann eigentlich immer diese auffälligen weißen Kittel?
27.03.2020:
Ich frage Jens Spahn per Mail, ob es möglich ist, trotz einer untauglichen Pandemie-Definition der WHO, trotz eines fehlerbehafteten PCR-Tests, trotz eines fehlenden empirischen Nachweises für erhöhte Corona-Krankheits- und Todesfälle mit der Zerstörung von Existenzen, Sozialem und Wirtschaft fortzufahren.
Vielleicht dadurch, dass man eine zunehmende Virus-Ausbreitung vortäuscht, indem man anlasslos Personen mit sogenanntem hypothetischen Kontakt vermehrt Anwendungen des PCR-Tests unterzieht? Jens Spahn schweigt. Er ist gelernter Bankkaufmann. Unter Kaufleuten gilt Schweigen als Zustimmung. Dann lautet seine Antwort wohl: Ja, es ist möglich.
Ich habe jetzt echt Angst. Es geht wohl nicht nur um Corona. Da wird wohl noch Weiteres kommen. Und wenn das da ist, sollen wir uns einsam und schwach fühlen. Nicht einig und stark.
28.03.2020:
Die Hygiene-Demo in Berlin ist für mich leider sehr weit weg. Schade, ich wäre gern dabei gewesen. Gemäß der Berichterstattung, die ich wahrgenommen habe, war das Verhalten der Polizei dort kein demokratisches Ruhmesblatt. Daher umso mehr Hut ab vor den Organisatoren und Teilnehmern.
Dann erfahre ich noch, dass Transparency International Deutschland die Mitgliedschaft von Herrn Dr. Wodarg vorläufig ruhen lässt. Ich erkläre TI in einer Mail, dass die dortigen Forderungen gegenüber Herrn Dr. Wodarg nach dem Zurückziehen seiner Veröffentlichungen nicht wirklich die Transparenz zum Thema Corona erhöhen. Und dass TI doch hoffentlich bezüglich der Mitgliedschaft von Herrn Dr. Wodarg zu einer glücklicheren Entscheidung gelangen möge als bei der Annahme von Siemens-Geldern nach dem Korruptionsskandal des Konzerns.
Heute hält sich meine Angst in Grenzen. Stattdessen ist da diese stark erhöhte Grundspannung, die mich viel weniger als sonst nachts schlafen lässt. Fühlt sich nicht gesund an ...
29.03.2020:
So ein komischer Typ steht mit seinem Smartphone auffällig-unauffällig herum, während ich einem Passanten mit einer Wegbeschreibung aushelfe — natürlich aus sicherer Entfernung von mindestens zwei Metern. Der Typ wird doch nicht darauf warten, dass ein weiterer Passant vorbeigeht, um dann im richtigen Augenblick einen „Schnappschuss“ mit drei scheinbar „angesammelten“ und „zusammengekommenen“ Personen im Bild zu erzeugen? Vielleicht sollte ich meine Umgebung ab sofort sorgfältiger beobachten so wie er?
Ich bin 52 Jahre alt. Ich war nie ein „Aktivist“. Jetzt habe ich das Gefühl, ich muss aktiv werden.
Bisher keine nennenswerte Angst für heute. Stattdessen so etwas wie Unternehmungslust: Vielleicht verteile ich am nächsten Wochenende Ausgaben des Grundgesetzes in meiner Stadt? Natürlich unter Beachtung sämtlicher Hygienebestimmungen und Kontaktsperren ...
Das Corona-Tagebuch im Überblick:
Teil 1: Katrin McClean, Corona-Tagebuch
Teil 2: Roland Rottenfußer, Der letzte freie Tag
Teil 3: Isabelle Krötsch, Corona-Tagebuch
Teil 4: Kerstin Chavent, An das Mögliche glauben
Teil 5: Anonym, Meine Mutter und die Isolation
Teil 6: Gabriele Herb, Aufruf zur Wachsamkeit!
Teil 7: Paul Löber, Spanienbericht
Teil 8: Liselotte Korfmacher-Finke, DemokratInnen unerwünscht
Teil 9: Michael Bock, Sind wir bereit, uns zu verändern?
Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch oder E-Book.
Oliver Märtens, Jahrgang 1967, ist seit einer Banklehre — genau wie Jens Spahn! — und einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium in verschiedensten Kreditinstituten in Deutschland tätig gewesen, vorwiegend in Marketing und Vertriebsunterstützung. Ende 2018 wechselte er in das Aufgabengebiet der Korruptionsprävention, was aber nicht durch die Bill & Melinda Gates Foundation, die Weltgesundheitsorganisation, die Johns-Hopkins-University oder die Charité Berlin veranlasst war. Seit dem Beginn des Entzugs seiner Grundrechte am 13. März 2020 (Freitag, der 13.) beschäftigt er sich auch mit Themen, von denen er noch viel weniger versteht — vor allem mit der Virologie und der Epidemiologie. Gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn beweist Oliver Märtens zweierlei: 1. Dass man „Bänker“ keinen Moment aus den Augen lassen sollte. Und 2. dass nicht alle „Bänker“ gleich sind.