Visa und Mastercard blasen zum Krieg gegen das Bargeld — die EU-Kommission zieht mit
Die Publikation European Card Review war eine Branchenzeitschrift des Bankensektors. In der März/April-Ausgabe des Jahres 2006 schrieb Jane Adams, dass die Zahlungskartenindustrie viele Jahre das Ideal einer bargeldlosen Gesellschaft propagiert hat. Es sei ihr bisher nicht gelungen, dieses Ziel zu erreichen, jedoch habe sie viel Erfolg bei der Verwirklichung einer Weniger-Bargeld-Gesellschaft gehabt. Mastercard behaupte, dass es den „Krieg gegen das Bargeld mit der nächsten Generation Bankkartenlösungen“ führe. Und Konkurrent Visa glaube, dass er im Krieg gegen das Bargeld erfolgreich sei.
Wie Autorin Jane Adams berichtete, hatte David Deacon auf einer Konferenz des Kreditkartenriesen Mastercard einen Auftritt. Er war Abteilungsleiter innerhalb der „Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen“ der EU-Kommission. Adams dokumentierte seine bemerkenswerten Worte:
„Wir teilen die Ziele des Kriegs gegen das Bargeld, (aber) um einen richtigen Krieg gegen das Bargeld zu führen, braucht man eine passende Preissetzung.“
Als David Deacons obersten Chef hätte man damals Binnenmarkt-Kommissar Charlie McCreevy bezeichnen können. Dieser hatte am 13. November 2006 die Gelegenheit, auf dem SEPA-Kongress in Frankfurt vor versammelten Vertretern der Finanzindustrie zu sprechen. Die Veranstaltung wurde von der Europäischen Zentralbank gesponsert — anlässlich der 9. Euro Finance Week, einem bedeutenden Treffen der Finanz- und Versicherungsindustrie. McCreevy sagte dort:
„Wir können die Verbraucher auch dazu ermutigen, effizientere elektronische Zahlungsmittel zu nutzen. Dadurch können die Kosten für Bargeld und Schecks gesenkt werden — eine Last, die oft vom Bankwesen getragen wird.“
Sicherlich leiden die armen Banken unter der Last des Bargelds. Sie müssen ertragen, dass ihre Gläubiger Geld abheben.
Ihre Gläubiger sind die Nutzer der Girokonten. Menschen wie Sie und ich, die der Bank Geld leihen und im Gegenzug die Möglichkeit haben, Überweisungen vorzunehmen. Aber die beklagenswürdigen Banken müssen zusehen, wie sich die Leute Monat für Monat einen Teil ihres Arbeitsentgelts auszahlen lassen, um alltägliche Einkäufe damit zu begleichen. Gerne hätten sie an jedem Austausch zwischen Verkäufer und Ladenkunde mitverdient.
Wenn der Bürger nicht die Macke hätte, Bargeld zu verwenden, weil es so ein transparentes und griffiges Zahlungsmittel ist, das einen nicht zu sehr dazu verleitet, mehr auszugeben, als man sich leisten kann, und das einen auch nicht auf Schritt und Tritt überwacht — ja, dann müsste man den Kunden auch nicht am Schalter empfangen oder einen Automaten aufstellen. Zeit ist Geld und Bankomaten sind teuer. Für den EU-Kommissar ein großes Problem — die Belange des Bürgers gleichgültig.
Mit dieser Politik machte sich McCreevy bei den Banken beliebt. Kein Wunder, dass seine erste berufliche Anlaufstation nach Ende der Amtszeit die amerikanische Investmentbank BNY Mellon war.
EU-Kommission senkt die Preise für Kartenzahlungen
EU-Kommissionsmitarbeiter David Deacon sprach auf dem Mastercard-Kongress von der Notwendigkeit einer passenden Preissetzung, um einen richtigen Krieg gegen das Bargeld zu führen. Eine Kartenzahlung sollte also den Ladenkunden wie auch den Einzelhändler nicht allzu viel kosten. Andernfalls entsteht auf Unternehmerseite nicht die Bereitschaft, Karten zu akzeptieren, und Konsumenten greifen lieber zu Bargeld.
Eine Konsequenz daraus war für die EU-Kommission, die multilateralen Interbankenentgelte des Mastercard-Systems zu verbieten. Dabei handelte es sich um eine branchenweit einheitliche Gebühr für die Zahlung mit Kreditkarte an der Ladenkasse. Sie musste vom Einzelhändler getragen werden. Diese Einheitlichkeit soll verhindert haben, dass sich die Banken gegenseitig mehr Konkurrenz um das preiswerteste Angebot für Geschäftskunden machen konnten — weniger Wettbewerb, höhere Preise. Und weil hohe Gebühren den Unternehmern die Akzeptanz der Kreditkarte verübeln, hat die ausführende Gewalt der Europäischen Union eingegriffen.
Am 19. Dezember 2007 veröffentlichte die EU-Kommission ein Informationsblatt zu ihrer Entscheidung. Das Factsheet MEMO/07/590 enthielt Antworten auf häufig gestellte Fragen, darunter eine erstaunliche Aussage:
„Kann Europa den ‚Krieg gegen das Bargeld‘ ohne multilaterale Interbankenentgelte gewinnen? Ja. Die inländischen Kartensysteme in Europa haben Bargeld und Schecks als Zahlungsmittel sehr erfolgreich ersetzt, obwohl sie ohne ein multilaterales Interbankenentgelt (MIF) funktionieren. Die Kartennutzung pro Kopf ist in Europa in Ländern wie Norwegen, Finnland, Dänemark oder den Niederlanden am höchsten, in denen Mastercard kaum vertreten ist und in denen die inländischen Systeme ohne ein MIF oder einen MIF-ähnlichen Kostenbeitragsmechanismus (…) funktionieren. Diese Länder waren auch die ersten, die die Verwendung von Schecks (…) abgeschafft haben.“
Es folgte ein mehrjähriger Rechtsstreit mit Mastercard, aus dem die EU-Kommission 2014 als Siegerin hervorging. Im selben Jahr verpflichtete sie Visa zur Einhaltung von Zusagen in Bezug auf den Umgang mit den Interbankenentgelten. In einer Erklärung diesbezüglich vom 26. Februar 2014 schrieb die Kommission Folgendes:
„Die Erfahrung (zum Beispiel in Australien und Spanien) zeigt, dass die Senkung überhöhter Interbankenentgelte (…) die Akzeptanz von Karten durch Händler fördert und zu einem Anstieg der Kartentransaktionen und höheren Einnahmen für die Banken führen kann. Sie führt auch zu weniger Bargeldtransaktionen, die für die Banken mit erheblichen Kosten verbunden sind. Und eine stärkere Kartennutzung hat für die Banken viele weitere Vorteile, auch ohne die Einnahmen durch multilaterale Interbankenentgelte.“
Ziel der Regulationen der Kommission ist also die verstärkte Nutzung der Karte, nicht allein um den Kreditinstituten Kosten im Umgang mit dem Bargeld zu ersparen, sondern um der Förderung vieler weiterer Geschäftsinteressen der Banken dienlich zu sein.
Mit der Interbankenentgeltverordnung vom 29. April 2015 drosselte die Europäische Union die vom Händler zu tragende Gebühr auf ein Maximum von 0,2 Prozent des Einkaufsbetrags bei EC-Karten-Zahlungen und 0,3 Prozent bei Kreditkarten. In der Begründung des Rechtsakts heißt es, dass Verbraucher die Möglichkeit haben sollten, „Zahlungskarten so oft wie möglich zu verwenden“.
Weiter bringt die EU-Kommission zum Ausdruck, dass ihr an Karten und anderen elektronischen Zahlungsmitteln mehr liegt als am Bargeld. Sie ließen sich vielseitiger — wie zum Beispiel online — nutzen. Kartengebundene Zahlungsvorgänge anstelle von Bargeldzahlungen könnten daher Vorteile für Händler und Verbraucher bringen, heißt es in der Verordnung.
Aufgrund der deutlichen Gebührensenkung haben viele Unternehmer die Regeln geändert: Nur noch selten informiert jetzt ein Schild an der Ladenkasse darüber, dass die Kartenzahlung erst ab einem Einkaufswert von fünfzehn oder zwanzig Euro akzeptiert wird.
Bargeld wird künstlich verteuert
Dank der Münzgeldprüfverordnung aus dem Jahr 2010 muss eine Bank seit dem 1. Januar 2015 jede bei ihr eingezahlte Münze auf ihre Echtheit hin untersuchen. So ein Münzprüfgerät kann eine unglaubliche Summe Geld kosten. Nicht jede Filiale kann damit ausgestattet werden. Also müssen Geldtransporte durchgeführt werden. Im Ergebnis sind satte Gebühren für die Einzahlung von Geldstücken eingeführt worden.
Seit Ablauf der Übergangszeit Ende des Jahres 2014 müssen alle Münzen, also auch die kleinen 1- bis 20-Cent-Stücke, geprüft werden. Das ist Kleingeld, dessen Fälschung sich nicht lohnt. Und dennoch besteht die Vorschrift. Ein Onlinemagazin schildert den Fall eines Mannes, der 210,05 Euro in einem Sparschwein oder einer Spardose sammelte. Als er diese Summe einzahlen ging, sind ihm nur 182,57 Euro gutgeschrieben worden. Die Differenz entsprach der neuen Gebühr, eingeführt wegen der Kosten für die Überprüfung der Münzen. Auch Einzelhändler bekommen das zu spüren; ich hoffe, dass ihnen durch diesen Wahnsinn nicht das Interesse daran vergeht, Bargeld als Zahlungsmittel zu akzeptieren.
Von einem, der zahlen muss, um sein Geld zurückzuerhalten
„Einlagen sind gesetzliche Schulden, die eine Bank ihren Kunden schuldet — da sollte ein Kreditgeber nicht noch einen Aufschlag für das Eintreiben von Schulden zahlen müssen“ (Tuomas Välimäki, Zentralbank von Finnland).
In Deutschland war es einmal so, dass die Banken monatlich eine begrenzte Zahl Ein- und Auszahlungen dem Girokonto nicht mit Gebühr belasten durften. Wie soll es auch anders sein? Schließlich sind wir doch auf Augenhöhe mit den Banken — oder vielleicht nicht?
Wir geben der Bank einen Kredit, unser eingelegtes Bargeld — das ist die Einzahlung —, oder wir holen uns das Geld zurück — lassen es uns auszahlen. Das war auch das Leitbild des Gesetzgebers in Deutschland.
Aber die EU hat diesen Vorgang im Jahr 2009 als einen gnädigen Dienst der Bank definiert. So kann eine Bank seit Umsetzung der Zahlungsdiensterichtlinie Gebühren für jede Ein- und Auszahlung verlangen, entschied der Bundesgerichtshof (Urteil vom 18. Juni 2019, XI ZR 768/17, beachten Sie die Absätze 30 bis 31 im Urteilstext).
Günther Oettinger und das Ende des Bargelds
Anfang 2016 war das Thema Bargeld auf einmal in den Medien: Die Einführung eines europaweiten Bargeldverbots ab einem Rechnungsbetrag von 5.000 Euro sowie die Abschaffung des 500-Euro-Scheins wurden diskutiert. Yves Mersch, Direktor der Europäischen Zentralbank, warnte plötzlich vor einflussreichen Bargeld-Gegnern in Politik und Finanzindustrie. Und Deutschlands EU-Kommissar Günther Oettinger hielt eine Rede bei einer Veranstaltung des Beratungsunternehmens Deloitte in Stuttgart. Dort sagte er: „Bargeld stirbt aus: Wir werden mit der Apple-Watch bezahlen, mit dem Smartphone bezahlen.“
Weiter zitierte ihn die Deutsche Presse-Agentur in der indirekten Rede: „Deutsche seien in Sachen Bezahlungsart zwar ‚etwas konservativer‘ als Finnen oder Dänen. Bundesbürger hätten in der Vergangenheit noch lange am Scheck festgehalten, als anderswo die EC-Karte längst Usus gewesen sei. Das Ende der Barzahlungen und die Verlagerung der Transaktionen komplett ins Digitale würden aber kommen, sagte Oettinger.“
Bargeld ist das einzige freie Zahlungsmittel von allgemeiner Akzeptanz. Es hat keinerlei Lobby und keinerlei Werbebudget. Seine Gegner finden sich in der Innen- und Außenpolitik, in der Währungs- und Finanzpolitik sowie in der Bankenbranche.
Die EU-Kommission hat Bargeld künstlich verteuert und dafür gesorgt, dass es die Finanzindustrie leichter hat, Banknoten und Münzen den Rang abzulaufen. Die Belange des Bürgers spielen die untergeordnete Rolle, und die Ablösung des Bargeldes durch elektronische Zahlungsmittel wird durch bankenfreundliche Regulationen und Wegschauen gezielt forciert. Und so kommt es, dass der Digitalkommissar im Jahr 2016 lapidar vermelden kann:
„Mein Rat ist: Schafft den 500-Euro-Schein nicht ab, haltet am Bargeld fest — der Markt macht es.“
Nach Ende seiner Amtszeit nahm Günther Oettinger verschiedenste Tätigkeiten an, unter anderem als Beirat bei Deloitte — einem Unternehmen, das auch Aufträge der EU-Kommission angenommen hat — und als Beiratsvorsitzender bei der Privatbank Donner & Reuschel.
Der Zusammenbruch des Barzahlungsverkehrs
Kommissar Charlie McCreevy bewarb einst die Kartenzahlung, weil sich das Bargeld nicht gut in der Bilanz der Banken macht. Sollte sich der Trend hin zu digitalen Zahlungen fortsetzen, dürften sich aber auch mehr und mehr Unternehmen fragen, ob es nicht ihrer Wettbewerbsfähigkeit zugutekommt, Bargeld an der Ladenkasse abzulehnen.
Denn der buchhalterische Aufwand und die Fahrten zur Bank zwecks Einzahlung des eingenommenen Geldes bleiben erhalten, unabhängig davon, wie viele Kunden bar bezahlen. Auf der Seite der Geldtransportunternehmen könnte es ähnlich aussehen: Geld muss weiterhin regelmäßig von A nach B gefahren werden, aber in geringerer Menge. Und so steigen die Kosten für den Transport des vereinnahmten Bargelds.
Auch die Einzahlungsgebühren bei den Banken dürften erheblich steigen, je weniger die Bargeldinfrastruktur genutzt wird. Sollte das mehr und mehr Ladenbetreiber und Großunternehmen dazu führen, Bargeld abzulehnen, wäre die EU-Kommission an dieser Entwicklung nicht unschuldig. Dabei gefährdet die schleichende Abkehr vom Bargeld einige unserer Grundfreiheiten:
- Pressefreiheit: Investigative Journalisten sind bei der Zusammenarbeit mit Whistleblowern unter Umständen auf Bargeld angewiesen. Etwa um den Ort des Treffens mit ihrem Informanten geheim zu halten oder technische Hilfsmittel zur Auswertung der geleakten Dokumente zu erwerben, ohne Aufmerksamkeit auf ihre Person zu lenken.
- Recht auf Privatsphäre: Die Verknüpfung der eigenen Identität mit dem Einkauf in einem Geschäft ermöglicht die Erstellung einer Verhaltensanalyse. Darüber hinaus verrät jede Buchung den eigenen Aufenthaltsort.
- Vertragsfreiheit: Der Verlust der Möglichkeit, Bargeld zu verwenden, zwingt dazu, einen Vertrag mit einem Kreditinstitut einzugehen. Um seine Existenz sichern zu können und am öffentlichen Leben teilzunehmen, muss der Bürger die Bedingungen der Banken akzeptieren und Gebühren bezahlen.
- Freie Entfaltung der Persönlichkeit: Geld ist momentan das, wofür die meisten ihre Lebenszeit einbringen, um überleben zu können, um für Nahrung, Wohnen und andere unabdingbare Güter bezahlen zu können. Wird dieses Geld dem eigenen unmittelbaren Zugriff entzogen und in die digitale Welt eingesperrt, ist der Bürger vollkommen ausgeliefert, sobald Regierung oder Konzerne Willkür walten lassen.
Engagieren Sie sich mit für den Erhalt des Bargelds
Der Journalist und Handelsblatt-Redakteur Dr. Nobert Häring kämpft seit sieben Jahren gerichtlich dafür, dass der Staat in hoheitlichen Belangen sein eigenes gesetzliches Zahlungsmittel akzeptieren muss. Wenn es schleichend zur Norm würde, dass Abgaben oder auch Dienstleistungen auf Bürgerämtern nicht mehr bar beglichen werden können, wäre das fatal für das Vertrauen ins Bargeld. Herr Häring ist bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegangen. Dort erteilten die Richter den Mitgliedsstaaten der EU praktisch einen Freibrief für die Ablehnung des Bargelds. Im Interview mit dem Autor des vorliegenden Artikels resümierte er:
„Die besonders bargeldfeindliche Position der (Anwälte der) EU-Kommission fand sich sehr weitgehend im Plädoyer des EU-Generalanwalts und immer noch ziemlich weitgehend im darauf aufsetzenden Urteil der 15 EuGH-Richter des Großen Senats wieder.“
Inzwischen geht Dr. Norbert Häring den Weg zum Bundesverfassungsgericht. Auf seiner Internetseite informiert er über Neuigkeiten und bittet vor allem um eines: Zahlen Sie im Alltag, wo Sie können, mit Banknoten und Münzen.
Weitere Möglichkeiten, für den Erhalt des Bargelds aktiv zu werden, finden Sie auf der Plattform Bargeldverbot.info.