Wie weit noch bis zum Krieg?
Die USA wollen die globale Auseinandersetzung, sie schließen den Krieg mit ein. In ihrer Verteidigungsdoktrin nennen sie den chinesischen Kontrahenten „antithetisch“, das heißt in Politik, Wertehaltungen, Moral und Interessen völlig entgegengesetzt. China — und Russland — sind für Washington das Böse schlechthin. Nach dieser Sicherheitsstrategie hat China, wenn es mit friedlichen Mitteln nicht zu bezwingen ist, mit einem kriegerischen Angriff durch die USA zu rechnen. Ein Krieg, den die USA nach der in der Doktrin erklärten Überzeugung ihrer Regierung auf jeden Fall gewinnen würden.
Im Gegensatz dazu begegnet China den USA ausdrücklich nach den Grundsätzen der friedlichen Koexistenz, zu deren wichtigsten die Erklärung des Nicht-Angriffs auf fremde Staaten gehört. China unterstreicht allerdings, dass es sich bei einem Angriff mit allen Mitteln und mit aller Entschiedenheit zur Wehr setzen würde.
Diese Strategien entsprechen den Interessen der jeweils herrschenden Klasse in den beiden Ländern
Die Gegenüberstellung entspricht der globalen Lage vor fünfzig Jahren, als der damals führende intellektuelle Kalte Krieger, William S. Schlamm, unter Sicht auf die Sowjetunion und die USA feststellte, der Sozialismus triumphiere im Frieden, der Kapitalismus eben nicht. China profitiert vom gegenwärtigen Zustand und der friedlichen Entwicklung der internationalen Beziehungen. 700 Millionen Chinesen wurden bereits aus der Armut geholt, ein Drittel des größten Volks der Erde wird heute schon zur Mittelklasse gezählt (1).
In den USA hingegen gehören große Teile der Arbeiterklasse — „der Mittelschichten“ — zu den Verlierern der Globalisierung. Während sich die Nettoproduktivität der US-ArbeiterInnen von 1980 bis 2012 verdoppelt hat, ist der reale Stundenlohn gleich geblieben (2). Donald Trump hat mit dem Versprechen, den Globalisierungsverlierern zu helfen, die Wahlen gewonnen — nun vermehrt er das Vermögen der sehr Reichen (3).
Die USA steuern auf eine Rezession zu — schlecht für Trump, doch auch die Demokraten betreiben den Handelskrieg mit China
Es gibt einige durchaus mögliche Entwicklungen, die das Konstrukt der internationalen Beziehungen als Kampf der zwei Stärksten um die Chefrolle durcheinanderbringen können. Zum einen sind da die innenpolitischen Faktoren der Staaten, die sich ändern können.
Die USA stehen, wie die anderen westlichen Industrieländer, wahrscheinlich vor einer Rezession. Sie hatten 2008 den großen Finanzcrash mit folgendem Absturz der Industrieproduktion hinzunehmen. 2009 und 2010 kam es zu erheblichen Rückgängen — nun zählen wir 2020 und die Zeichen für Handel und Produktion weisen wieder nach unten.
Je mehr die Konjunktur in den USA gebremst wird, desto wilder wird Trump wüten und Aggressionen entfachen.
Sollten die Demokraten die Präsidentschaftswahlen 2020 gewinnen — was trotz allem unwahrscheinlich ist — würde sich an der Außen- und Handelspolitik der USA längst nicht so viel ändern, wie Multilateralismus-Enthusiasten in Europa erwarten. Dass die USA aus ihrer angeblichen Verliererrolle heraus müssen, auch durch robusteres Handeln der Regierung, ist auch die Meinung der führenden Demokraten. Bernie Sanders, der am weitesten links stehende Präsidentschaftskandidat, will alle „unfairen Handelsverträge neu verhandeln, um das Outsourcen amerikanischer Arbeitsplätze zu verhindern“ (4). Er verpflichtet sich, als Präsident „China einen Währungsmanipulator zu nennen und es am Dumping zu hindern, mit künstlich verbilligten Produkten in die USA zu kommen“ (5). Ein Wahlsieg der Demokraten könnte aber die großen US-Konzerne animieren, zugunsten von mehr Freihandel und weniger Druck auf China einzugreifen.
Ob die Kommunistische Partei ihre Ziele erreicht oder nicht: Am Ende wartet „bürgerliche Demokratie“?
Je klarer es wird, dass die Kommunistische Partei Chinas ihre ökonomischen Ziele erreicht, umso mehr verschieben sich die die westlichen Untergangsszenarien in das Feld der Politik. Das neue Menetekel lautet: Wenn die Chinesen ihre ökonomischen Ziele erreicht haben, werden sie darauf bestehen, dass ihnen auch die politischen Rechte eines autonomen Marktteilnehmers zukommen. Erfolgreiche Marktwirtschaft wird zur Einrichtung der „bürgerlichen“ Demokratie führen, mag die Marktwirtschaft auch als „sozialistische“ begonnen haben. Erst recht werden sie den Kampf um „bürgerliche Freiheitsrechte“ aufnehmen, wenn die in Aussicht gestellten wirtschaftlichen Vorteile ausbleiben (6). Tatsächlich wird die KPCh das Gleichgewicht zwischen der Partei als Sachwalter des Gemeinwohls und den neuen Eliten nicht halten können (siehe Kapitel 11). Diese Gruppen blockieren den weiteren Aufschwung. Der Kampf gegen die Korruption führt zur entscheidenden Schlacht, ob sich eher die „Kräfte des freien Marktes“ durchsetzen oder eine am sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg aller interessierte Staatsführung. Die Chancen für den zweiten, den fortschrittlichen Weg stehen nicht schlecht.
Die USA — tickende Zeitbombe in der Weltpolitik
Hongkong — es geht um die Einheit Chinas und um das politische System des Landes
Zwar stimmt, was die New York Times im Sommer 2019 feststellte: „Why China No Longer Needs Hongkong“ (7). Werner Rügemer führt das im Einzelnen aus: China verfügt heute über die vier größten Banken der Welt und über international tätige Investmentbanken. Die Marktkapitalisierung der Börsen in Schanghai und Shenzhen ist doppelt so hoch wie die der Börse in Hongkong. Vor 18 Jahren wurde noch die Hälfte der Exporte Chinas über Hongkong abgewickelt, heute sind es noch 12 Prozent (8).
Solche Proteste wie jetzt in Hongkong, findet Jens Berger von den NachDenkSeiten, seien für die chinesische Regierung beileibe nichts Neues; in ähnlichen Fällen habe sich die chinesische Regierung stets durch hohe diplomatische Flexibilität ausgezeichnet. Sobald dies ohne Gesichtsverlust möglich sei, würde China mit einigen „Sonderrechten“ für die Oligarchie in Hongkong aufräumen und die Proteste, so die Logik, würden dann obsolet (9).
In Hongkong geht es aber nicht „nur“ um soziale Proteste, es geht um die Frage des gesellschaftlichen Systems in China und um die der Einheit des Landes. Würde der Protest in Hongkong von den Demonstranten „gefühlt“ erfolgreich sein, wäre dies ein Katalysator für die Separatistenbewegungen in Xinjiang und in Tibet und für die noch zu entwickelnde „Demokratiebewegung“ in ganz China, der vorsorglich beigebracht werden soll, dass ökonomisch erfolgreiche Menschen sich nicht weiter von einer Kommunistischen Partei „gängeln“ lassen. In Hongkong würde wohl als nächste Forderung die nach einem „Demokratischen China“ mit Hongkong, Macao und Taiwan erhoben. China mit seinen Landgrenzen von 18.000 Kilometern Länge und Meeresgrenzen von 12.000 Kilometern würde in eine Separatismusspirale hineingeraten. Jedenfalls sind es Gedanken dieser Art, die mit Sicherheit im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei umgehen.
Dennoch bleibt es paradox, dass sich die „sozialen Proteste“ schon in der ersten Phase der Kampagne gegen die Volksrepublik China richten. Denn China hat mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Menschen in Hongkong wenig zu tun.
Im Übergabevertrag zwischen Großbritannien und China wurde festgelegt, dass Hongkong bis 2047 zwar unter chinesischer Verwaltung stehen soll, dass China aber nur in der Außen- und Sicherheitspolitik die Hoheit erhält, die Eigentumsrechte und die Wirtschaftspolitik hingegen dürfen von China nicht angetastet werden. Dass 20 Prozent der Hongkonger Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben müssen, ist das Ergebnis einer räuberischen und kriminellen Politik der privaten Banken und Großkonzerne, die sich in Hongkong, dem Tor zu China, drängeln. In Hongkong leben 100.000 Briten, 85.000 US-Amerikaner, 60.000 Franzosen, 40.000 Deutsche. 170.000 Millionäre sind hier gemeldet, das Gegenstück zu den Millionen in Armut (10). Die schreiende soziale Ungerechtigkeit ist das Ergebnis eines entfesselten Raubtierkapitalismus. Der Sozialismus chinesischer Prägung hat damit nichts zu tun. In keiner chinesischen Großstadt sind die Verhältnisse auch nur annähernd so schlimm wie im „demokratischen“ Hongkong.
Dass der „soziale Protest“ von Anfang an eine antichinesische Stoßrichtung einschlug, liegt daran, dass die Wortführer der Proteste an der Leine westlicher Thinktanks und Politiker liegen. Joshua Wong, auch 2019 von den westlichen Medien als Sprachrohr der Bewegung präsentiert, wurde bereits 2018 von mehreren US-Senatoren und Abgeordneten für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Die US-Politiker werden angeführt vom Vorsitzenden der „Congressional-Executive Commission on China“ (CECC), der Kongress-Kommission zu China, Senator Marco Rubio. In ihrem Brief an die Nominierungskommission des Friedensnobelpreises schreiben sie:
„Wong, Law und Chow und die ganze ‚Umbrella-Bewegung‘ (Regenschirm-Bewegung, so genannt nach den gegen die Wasserwerfer der Polizei aufgespannten Regenschirmen, Anmerkung des Autors) verkörpern die friedlichen Sehnsüchte des Volks von Hongkong, das danach strebt zu sehen, dass seine Autonomien und seine Art zu leben, beschützt und dass seine demokratischen Bestrebungen erfüllt werden. Solches Streben ist nicht einzigartig für die Bürger von Hongkong. Zahllose andere rund um die Welt, einschließlich der Bürger in Festland-China, halten zu denselben Idealen, aber ihre Stimmen werden zum Schweigen gebracht und ihre Proteste verboten“ (11).
Bei den Protesten in Hongkong geht es immer auch um die „Bürger von Festland-China“ und deren angeblichem noch zu erfüllendem Streben nach demokratischen Rechten.
Der herrschenden Klasse von Hongkong — den Banken, Großkonzernen, Vermögensverwaltern, Anwälten — geht es tatsächlich auch um den unmittelbaren Anlass der Proteste, das von der Regierung geplante Abschiebegesetz. Das neue Gesetz würde die Abschiebung von Kriminellen auch nach China, Macau und Taiwan erlauben, was bisher ausgeschlossen war. Dabei geht es nicht nur um Mord und ähnliche Verbrechen, sondern auch um Delikte wie Korruption, Betrug, Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität, also um die Geschäftsgrundlage der vermögenden Eliten Hongkongs. Diese verstärken die Rufe nach Freiheit und Demokratie aus begründeter Angst vor dem chinesischen Knast.
Die USA heizen die Spannungen an — Kündigung des INF-Vertrags, Atomraketen nach Asien, der Atomkrieg kommt noch näher
Im Oktober 1983 gingen in Deutschland an einem Tag 1,3 Millionen Menschen auf die Straße, um gegen den „NATO-Doppelbeschluss“ zu demonstrieren. Die NATO hatte beschlossen, Pershing-II-Raketen in der Bundesrepublik Deutschland zu stationieren. Der Warschauer Pakt würde im Gegenzug SS-20-Atomraketen in der DDR platzieren. Die Raketen würden nicht abgefangen werden können, dazu wäre die Zeit zwischen Abschuss und Auftreffen zu kurz. Was blieb, war der atomare Gegenschlag auf den Erstschlag. Deutschland war ausersehen als atomarer Friedhof. Diese Aussicht brachte Millionen Menschen auf die Beine, und deren Engagement wiederum sorgte für den Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty, den INF-Vertrag, das Verbot landgestützter Mittelstreckenwaffen von 500 bis 5.500 km Reichweite.
Als der INF-Vertrag vier Jahre später unterzeichnet wurde, sagte der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow zu seinem US-Kollegen:
„Wir können stolz darauf sein, dieses Bäumchen zu pflanzen, aus dem eines Tages ein mächtiger Baum des Friedens wachsen möge.“
Die USA haben im Februar 2019 das Bäumchen gefällt und den Vertrag aufgekündigt. Nun droht eine neue Atomwaffenspirale. Nach Angaben Russlands haben die USA bereits eine Abschussanlage für Atomraketen in Rumänien gebaut, eine weitere in Polen ist in Planung. Seit 2017 werden in den USA, sagt US-Verteidigungsminister Mark Esper, neue mobile landbasierte Mittelstreckenraketen entwickelt. Esper sagt, sie sollen „so schnell wie möglich« in Asien stationiert werden“ (12). Eine neue, aggressive Herausforderung für China und Russland.
Die USA und anschließend Russland haben den bilateralen INF-Vertrag abgeschafft, anstatt zu versuchen, das Prinzip des Verbots auf alle Länder auszudehnen, die mittlerweile solche Waffen besitzen.
Dies sind neben den USA und Russland: China, Frankreich, Saudi-Arabien, Israel, Nordkorea, Iran, Pakistan, Indien. Die Zahl der Atomwaffenbesitzer ist in dem Maß gewachsen, wie die Bereitschaft zu internationaler Kontrolle und Atomwaffenabbau gesunken ist. Ein Abkommen der Atomländer ähnlich dem INF erscheint völlig ausgeschlossen, ein Atomkrieg Israels gegen den Iran oder zwischen Pakistan und Indien liegt schon eher im Bereich des Möglichen. Es sei denn, eine Massenbewegung wie damals die Friedensbewegung zwingt die Politiker wieder zur Vernunft.
Der Handelskrieg — wer wird gewinnen?
Präsident Trump wusste es von vornherein: „Handelskriege sind leicht zu gewinnen“, twitterte er gewohnt frohgemut (13). Dann warf er die große Regierungsmaschine an. Das Executive Office des Präsidenten führte eine Untersuchung nach der Section 301 of the Trade Act of 1974 durch. Thema der Untersuchung: Chinas Handlungen, Politiken und Praktiken bezüglich des Technologietransfers, des geistigen Eigentums und der Innovation. Sollte die Untersuchung negativ für China ausfallen, ist der Präsident zum Gegenschlag in jeder Hinsicht berechtigt.
Es war keine große Überraschung, dass die Kommission China nach allen Regeln der Gutachterkunst verurteilt. Besonders das Programm „Made in China 2025“ hat es ihr angetan. Sie zählt alle zehn Industriesektoren auf, die China bis 2025 auf den global modernsten Stand bringen will:
- Informations- und Kommunikationstechnologie;
- Robotik und Automatisierung;
- Luftfahrt, Langstreckenflugzeuge, Flugzeugkomponenten;
- Marineausrüstung und Hightech-Schiffe;
- Moderne Bahntechnik;
- Fahrzeuge mit neuer Energie;
- Stromerzeugung und -übertragungssysteme;
- Landwirtschaftsmaschinen und -ausrüstung;
- Neue Materialien;
- Pharmazeutika und Medizintechnik (14).
Für das Ziel, in allen diesen Bereichen bis 2025 Weltniveau zu erreichen, wäre den Chinesen jedes Mittel recht: Sie klauen das geistige Eigentum ihrer Konkurrenten und behindern die ausländischen Firmen in China. Die Kommission kommt zu diesem Urteil:
- Chinas Handlungen, Politiken und Praktiken bedrohen die Wettbewerbsfähigkeit der US-Industrie.
- China unterminiert die Fähigkeit von US-Firmen, Innovationen zu schaffen und zu erhalten.
- China zerstört das Prinzip der Preisfindung unter Beachtung der in dem kritischen Markt der IT-intensiven Sektoren getätigten Investitionen.
Auf Deutsch: Wir innovieren und investieren dafür gewaltige Summen und China klaut uns dann die Ergebnisse.
Auf diese Weise juristisch und wissenschaftlich abgesichert, zündete Trump seinen Handelskrieg. Bis Anfang September 2019 hatte er die Hälfte der chinesischen Einfuhren mit Strafzöllen belegt. Auf Warenimporte im Wert von 300 Milliarden Dollar einen Zoll von 30 Prozent, auf Waren im Wert von 250 Milliarden Dollar einen Strafzoll von 25 Prozent (15).
Die Chinesen haben ihrerseits Strafzölle erhoben, aber jeweils geringere Tarife und für weniger Importgüter. Bei Strafzöllen sitzt Trump am längeren Hebel. China exportiert bekanntlich weit mehr Güter in die USA als umgekehrt. Die USA können also mehr Güter mit Strafzöllen belegen. Doch 2018, erstes Jahr der US-Strafzölle, ist das Defizit der USA im Güterhandel mit China sogar beträchtlich gestiegen, um 12 Prozent auf 419 Milliarden Dollar (16).
Der „Chefstratege“ der Deutschen Bank, Binky Chadha, summiert die Verluste des US-Aktienmarktes infolge des Handelskrieges auf 5.000 Milliarden Dollar. Chadha untersuchte 3.000 Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung. Anfang 2018 betrug der Marktwert dieser Firmen 28,7 Billionen Dollar. Mitte 2019, nach heftigem Handelskrieg, waren es fünf Billionen Dollar weniger. Die Börse titelte:
„Handelskrieg kostet 5.000 Milliarden Dollar, und zwar die USA“ (17).
Die Verluste der USA durch den Wirtschaftskrieg sind also gewaltig, wobei man beachten muss, dass Stagnationstendenzen der Wirtschaft nicht allein dem Außenhandel zuzuschreiben sind, sondern vor allem den Gesetzen des Konjunkturzyklus, der derzeit nach unten weist.
Und China? Manche Kommentatoren stellen mit schlecht verhohlener Genugtuung fest, dass China 2018 mit 6,6 Prozent die niedrigste Wachstumsrate seit 28 Jahren aufweist. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) titelt: „Chinesische Industrie schrumpft vierten Monat hintereinander“. Damit mehrten sich die Zeichen, „dass der Handelsstreit mit Amerika und die weiter dürftige Nachfrage im Inland die chinesische Wirtschaft immer stärker belasten“. Im August 2019 seien die Exportaufträge zum 15. Mal in Folge zurückgegangen (18).
Dazu ist erstens zu sagen, dass das Wachstumstempo von 6,6 Prozent in China um ökonomische Lichtjahre vor dem Wachstum des Westens rangiert. Deutschland verzeichnete im Sommer 2019 negatives Wachstum: -0,1 bis -0,2 Prozent. Zweitens liegen die Zahlen Chinas im Rahmen des von der Regierung aufgestellten Zeitplans für den Rückgang des Wachstums. Drittens aber ist festzuhalten, dass die Strafzoll-Politik des US-Präsidenten auch China schadet. Der Präsident kann in seinem Irrwitz zufrieden sein. Seine Politik schadet allen — und auch hier gilt America First, US-Amerika hat den größten Schaden. Die Frage ist, ob die Farmer und die Arbeiter der USA den wahren Schuldigen erkennen, oder ob sie den Trump-Tiraden gegen die „Monster“ in China und Russland Glauben schenken. China versucht, mit seinen Strafzöllen den Erkenntnisprozess zu befördern — die Vergeltungszölle werden vor allem erhoben auf landwirtschaftliche Produkte und auf Autos (E-Fahrzeuge, Hybridfahrzeuge), zielen also auf Farmer und Arbeiter im Rost Belt, im Rostgürtel der USA.
Eine Abwahl Trumps wäre für die Welt eine wichtige Zwischenlösung. Es ist jedoch zu erwarten, dass Trump im November 2020 die Wahlen gewinnt und für weitere vier Jahre im Weißen Haus wohnen bleibt. Die Rechten unter den um die Kandidatur für die Demokraten streitenden PolitikerInnen — vor allem Pete Buttigieg und Joe Biden oder Amy Klobuchar — weisen in der Außenpolitik keine fundamentalen Unterschiede zu Trump auf.
Bernie Sanders, der Favorit der Linken, liegt zu Jahresbeginn 2020 zwar in Umfragen knapp vor Trump. Allerdings führte Hillary Clinton bei der letzten Wahl in den Prognosen noch klarer vor Trump. Auch diesmal wird der Milliardär aus New York den Rächer der vielfach betrogenen Wähler aus der Unter- und Mittelschicht geben und sein Erfolg wird nicht zuletzt davon abhängen, wie seine Klassenfreunde Jeff Bezos und Arthur Sulzberger, denen neben ihren Milliarden auch die New York Times und die Washington Post gehören, sich zu dieser Farce stellen.
Man muss davon ausgehen, dass Amazon-Eigentümer Bezos zwar Trump verabscheut, aber noch mehr hasst er linke Devisen, wie sie von Sanders und Warren ausgehen. Derzeit sehen die liberalen Medienkapitalisten ihren Hauptjob noch darin, Joe Biden ins Kandidatenamt der Demokraten schreiben zu lassen. Das wird, nachdem Biden offenbar in der Wählergunst zurückfällt, auf den neuen Hoffnungsträger der Rechten, Buttigieg, übergehen. Bei einer Kandidatur des Milliardärs Michael Bloomberg würden die Karten ohnehin neu gemischt. Sollte aber Michelle Obama ihr bisheriges Nein zu ihrer Kandidatur bis zur National Convention der Demokraten im August 2020 zurücknehmen, wird man eine nie gekannte Offensive der liberalen Medien erleben zugunsten der ersten schwarzen Frau, die mit großen Erfolgsaussichten ins Weiße Haus strebt und Multikulti und liberale Sehnsüchte mit Millionärsinteressen verbinden kann; gegen Trump, der zwar heftig seine Millionärsgruppe bedient, aber mit seiner irrlichternden Politikaufführung jederzeit für Explosionen am globalen US-Block gut ist.
Den medialen Eliten wäre eine elegante präsidiale Politik mit menschlichem Anstrich lieber als das Raufboldgehabe Trumps. Den enttäuschten und abgehängten Massen steht in ihrer hilflosen Wut der Protzauftritt des Multimillionärs aus New Yorks Fifth Avenue näher.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Fred Schmid: Trumps Wirtschaftskrieg gegen China, in: isw-Report Nr. 115, Seite 11.
(2) Robert B. Reich: Saving Capitalism, London 2016, Seite 116; vergleiche auch Kapitel 13 dieses Buches.
(3) Zum Komplex „Sind die USA ein Opfer der Globalisierung?“, siehe Conrad Schuhler: Trumps ‚America first‘ — Der Versuch, die USA zur unumschränkten globalen Supermacht zu machen, in: isw-Report Nr. 115, Seiten 11 und folgende.
(4) Sanders Calls on Trump. Presidential Candidates to Support Fair Trade Deals and Stand with Workers, in: berniesanders.com, 29. April 2019.
(5) Ebenda.
(6) Nils Grünberg/Katja Drinhausen: The Party Leads On Everything, in: merics.org.
(7) New York Times, 3. Juli 2019, Warum China nicht länger Hongkong braucht.
(8) Werner Rügemer: Hongkong — der neue Systemkonflikt, in: NachDenkSeiten, 28. August 2019.
(9) Ebenda.
(10) Jens Berger: Kanarienvogel in der Kohlemine des chinesischen Systems, in: NachDenkSeiten, 20. August 2019.
(11) Bipartisan Group of Lawmakers Nominates Hong Kong’s pro-democracy Umbrella Movement for the Nobel Peace Prize, 1. Februar 2018, in: rubio.senate.gov.
(12) USA wollen Raketen in Asien stationieren, 3. August 2019, in: tagesschau.de.
(13) Vergleiche Olaf Gersemann: USA — China 0:1, 6. August 2019, in: welt.de.
(14) Office of the United States Trade Representative: 2017 Special 301 Report, in: ustr.gov.
(15) Keiner weiß, was Trump will“, 28. August 2019, in: faz.net.
(16) US-Handelsbilanzdefizit trotz Strafzöllen gestiegen, 6. März 2019, in: zeit.de.
(17) „Handelskrieg kostet 5.000 Milliarden Dollar“, 3. Juni 2019, in: boerse.ard.de.
(18) Chinesische Industrie schrumpft vierten Monat hintereinander, 31. August 2019, in: faz.net.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch von Conrad Schuhler „Wie weit ist es noch bis zum Krieg? Die USA, China, die EU und der Weltfrieden.“ Weitere Quellen sowie die Hinweise zu Kapitel und Seitenzahlen entnehmen Sie bitte dem Buch.