Man könnte diese konfuse Informationspolitik als Versuch deuten, einen fehlerhaft verlaufenen Einsatz zu vertuschen, der in einem Blutbad endete und bei dem wegen eines defekten Hubschraubers einige Zeugen und Leichen zurückgelassen werden mussten. Dass Elitesoldaten bei der Festnahme eines unbewaffneten älteren Mannes und seiner Familie ein solches Schlachtfeld hinterlassen, scheint dafür zu sprechen, dass bei der Operation nach der Methode „Shoot first, ask later“ vorgegangen wurde und etwas anderes als eine Hinrichtung nie geplant war. Diese wäre freilich auch mit einer ferngesteuerten Rakete zu haben gewesen, wenn auch längst nicht so spektakulär, mit heldenhaften Elitesoldaten und einer gebannt zuschauenden Regierungsmannschaft.
Umgehend überschlugen sich die Hollywoodproduzenten mit Ideen zur Verfilmung des Events — bei der dann die Helmkameras garantiert funktionieren! — und mit der Präsident Obama als erfolgreicher Jäger des Topterroristen sein Ticket für die Wiederwahl lösen würde. Der Skalp indessen, der Beweis, dass Osama Bin Laden (geschmackloser Weise unter dem Codenamen „Geronimo“, nach dem letzten widerständigen Apachen-Häuptling) bei der Operation „Neptun Spear“ tatsächlich ums Leben kam, liegt bis heute nicht vor — und das Flip-Flop im offiziellen Narrativ seiner Ergreifung, Hinrichtung und Beseitigung deuten an, dass die ganzen Unklarheiten Methode hatten, dass die Konfusion und Widersprüchlichkeit der Informationspolitik, geleitet von Professor Sunstein, als Versuch eines Anheizens der Gerüchteküchen und der Provokation von Verschwörungstheorien beabsichtigt war — zwecks „kognitiver Infiltration“.
Auf dass die substanziellen Fakten — der Bruch rechtsstaatlicher, völkerrechtlicher und moralischer Normen durch solche Mordkommandos, die fehlenden Beweise für die Identität und die Schuld der Hingerichteten und somit die Fragwürdigkeit der gesamten Operation — in einem spekulativen Nebel aus dem Blick gerät. Und jede Kritik an diesem Zustand mit dem Stigma „Verschwörungstheorien“ sofort vom Tisch gewischt werden kann. Wenn Dutzende dubioser „Osama-Bin-Elvis“-Legenden blühen und widerlegt werden, fällt es nicht mehr auf, dass es sich bei der mit präsidialer Autorität verkündeten „Wahrheit“ ebenfalls um eine dubiose Legende handelt.
Während sich dort also schon subtilere Methoden im Wahrnehmungsmanagement und der Verteidigung der offiziellen Verschwörungstheorie andeuteten, wurden in Deutschland weiter mit den Brachialmethoden Diffamierung und Zensur gearbeitet. Als ich im Juli 2011 einen Anruf bekam: „Hier ist Ken Jebsen, Radio Fritz, wir würden gern ein Interview mit Ihnen machen über Ihr neues Buch zu 9/11“, dachte ich an den üblichen Drei-Minuten-Schnack, doch wir redeten dann nicht nur eineinhalb Stunden, sie wurden dann auch, auf vier Stunden Sendung verteilt, komplett gesendet.
Ich war total überrascht, nicht nur über diesen Reporter, der das Buch wirklich gelesen hatte und mit einem langen Katalog spannender Fragen angerückt war, was in der Branche keineswegs üblich ist, sondern vor allem darüber, dass meine Antworten ungekürzt gesendet wurden. Dieser Ken Jebsen hatte es gewagt, das 9/11-Tabu zu ignorieren und zur Prime Time im ARD-Radio der Kritik an der offiziellen Legende breiten Raum zu verschaffen. Und die Botschaft rüberzubringen:
Jeder, der sich nur zwei Stunden mit den Ungereimtheiten dieser Legende befasst und mit einem IQ über Bordsteinkante ausgestattet ist, kann alles in allem nur zu dem Schluss kommen, dass es sich um ein Märchen handelt — und eine neue Untersuchung des Verbrechens fordern.
Offenbar hatten die „Überwachungsinstanzen“ der ARD erneut versagt. Aber die Denunzianten vom Dienst ließen nicht lange auf sich warten und Henryk Broder schwärzte Ken Jebsen als „Holocaust-Leugner“ an. Seine vierstündige Sendung „KenFM“ zählte mit ihrer Mischung aus Pop und Politik zu den beliebtesten Formaten des RBB-Kanals „Fritz“. Themen, die, wenn überhaupt, in den Medien nur am Rande auftauchen und mit spitzen Fingern behandelt werden — etwa die uranverseuchte Munition der NATO oder die traumatisierten Afghanistan-Soldaten der Bundeswehr —, kamen bei KenFM nicht nur ausführlich vor, sondern im Mix mit Musik so aufbereitet, dass sie junge Menschen auch erreichten. Aber Zweifel an der offiziellen Darstellung der 9/11-Anschläge — das war zu viel.
Nachdem er und seine Anwälte schnell richtiggestellt hatten, dass an Broders infamem Vorwurf absolut nichts dran war, ging er zwar wieder auf Sendung, doch bald darauf trennte sich das ARD-Radio „in gegenseitigem Einvernehmen“ von seinem unbequemen Moderator, was dann bis in die New York Times Wellen schlug. Dass der Pazifist Ken Jebsen mit 545 Folgen der Rubrik „RückblickKEN“ in seiner Sendung den ARD-Rekord im Warnen vor Faschismus und Holocaust hielt, half nichts: das Etikett „Verschwörungstheoretiker = Lügner + Nazi“ wurde er nicht los, auch dann nicht, als er ins Internet auswanderte und einen der erfolgreichsten YouTube-Kanäle startete.
Mit Interviews, Gesprächen und „Bildungsfernsehen“, wie sie jedem öffentlich-rechtlichen Kanal bestens zu Gesicht stehen würden. Indessen kursierten in den Medien und in den Echokammern des Netzes weiter zahlreiche Vorwürfe, Ken Jebsen sei „rechtspopulistisch“, „antisemitisch“ und Anführer einer ominösen „Querfront“ — Vorwürfe, die ich bei Sichtung des Programms von KenFM in keiner Weise bestätigt finden konnte (1).
Stattdessen: stundenlange Gespräche mit Ökonomen, Soziologen oder Theologen zu komplexen Themen der Geopolitik, der Finanzwelt, der globalen Ressourcen oder der Friedensforschung — wie gesagt „Bildungsfernsehen at its best“. Im Netz dann auch wieder inklusive der Fortbildung in Sachen 9/11 und dem fetzigen Dauerfeuer-Kommentar „Happy Birthday Terrorlüge“, mit dem der Fast-Forward-Schnellsprecher Ken Jebsen die offizielle Legende in 13 Minuten komplett demontiert. Ein starkes Stück, doch es war selbst zehn Jahre nach den Anschlägen noch reine Blasphemie und ob bei den Rückblicken zum 20. Jahrestag ein RBB-Redakteur die Eier in der Hose (oder unterm Rock) hat, es aus dem Archiv zu holen und diskutieren zu lassen, bezweifle ich.
Wobei öffentliche Streitgespräche zwischen Verteidigern und Kritikern der offiziellen Legende wahrscheinlich die beste Methode sind, um unbegründete Verschwörungstheorien aus der Welt zu schaffen.
Und entweder Kritik und Misstrauen an der Regierungsversion zu entkräften oder, wenn das nicht gelingt, die Notwendigkeit einer Neu-Untersuchung zu unterstreichen. Dass dann Bush, Cheney, Rumsfeld und weitere führende Regierungs- und Militärangehörige zum Gegenstand von Ermittlungen werden und in der Folge auch angeklagt werden könnten — schon diese Aussicht ist für die Verteidiger der Regierungsversion nicht hinnehmbar. Weshalb zensiert und verboten werden muss, das auch nur zu denken und einer stets guten und transparenten Regierung so etwas Böses auch nur zuzutrauen. Und wer es dennoch tut, muss an „verkrüppelter Epistemologie“, „Isolierung“ oder „Paranoia“ leiden und ist ein Fall, wenn nicht für die Psychiatrie, dann für „kognitive Infiltration“.
Wie zum Beispiel solche Hardcore-Verschwörungstheoretiker, die die irre Behauptung aufstellten, dass mit den gleich nach 9/11 durchgepeitschten Antiterror-Gesetzen (Patriot Act) das Recht auf Privatsphäre systematisch gebrochen wird und die „National Security Agency“ (NSA) sämtliche Telefone und digitale Nachrichtenkanäle abhört und aufzeichnet. Eine krude, antiamerikanische Verschwörungstheorie und böswillige Unterstellung, die gleichwohl unter epistemologischen Krüppeln und isolierten Paranoikern Anklang fand, obwohl keine substantiellen Belege für derart flächendeckende Abhörmaßnahmen vorlagen.
Bis der NSA-Whistleblower Edward Snowden kam — ein schmalbrüstiger, kurzsichtiger Computer-Nerd, der sich nach dem 11.9.2001 sofort zur Armee gemeldet hatte, sich aber glücklicherweise schon bei der Grundausbildung einen Knochenriss zuzog und vor dem Schicksal, an einer staubigen Kreuzung in Afghanistan oder Irak zu enden, verschont blieb. Er arbeitete dann für die CIA und später die NSA, ohne sich größere Gedanken zu machen.
Nach 9/11 wollte und musste er einfach „gegen das Böse“ kämpfen. In seiner äußerst lesenswerten Autobiographie Permanent Record (2019) schreibt er dazu:
„Was ich in meinem Leben am meisten bedaure, ist meine reflexartige, unkritische Unterstützung dieser Entscheidung. Ich nahm alle von den Medien kolportierten Behauptungen für bare Münze und betete sie herunter, als würde ich dafür bezahlt. Ich wollte ein Befreier sein. Ich wollte die Unterdrückten retten. Ich übernahm die Wahrheit, die zum Wohl des Staates konstruiert wurde, was ich in meiner Inbrunst mit dem Wohl des Landes verwechselte.
*Es war, als sei jedwede politische Haltung, die ich entwickelt hatte, in sich zusammengebrochen: Das online erworbene Ethos der Hacker und der apolitische Patriotismus, den ich von meinen Eltern übernommen hatte, waren von meiner Festplatte gelöscht worden und nach dem Neustart stand ich als willfähriges Instrument der Rache zur Verfügung. Am beschämendsten ist die Erkenntnis, wie leicht diese Transformation vonstattenging und wie bereitwillig ich sie willkommen hieß.“
Erst nach seinem Aufstieg zum System-Administrator wird ihm das monströse Ausmaß der Überwachungs- , Zensur- und Kontroll-Programme bewusst, von denen jedes für sich harmlos erscheint, mit denen in Kombination aber sämtliche digitale Kommunikation jeder Person aufgezeichnet werden kann, einschließlich des Handys der deutschen Bundeskanzlerin.
Die klare und unerhörte Verfassungswidrigkeit dieser permanenten Aufzeichnung und die Vorstellung, über welches Erpressungsmaterial man damit verfügt und was eine böswillige Führung mit diesen Werkzeugen anstellen kann, machten aus dem braven und eigentlich apolitischen Patrioten Snowden einen der wichtigsten Whistleblower unserer Tage.
Dass er fliehen musste, dass ihm sein Land den Pass entzogen hat und er seit acht Jahren in Moskau festsitzt, weil ihm kein westliches Land Asyl gewähren will, dass die USA ihn nur in einem geheimen Spionagegericht und nicht vor einer öffentlichen Jury anklagen will, dies alles ist beschämend für jeden Staat, der Begriffe wie „Rechtsstaat“ und „Demokratie“ in der Verfassung stehen hat. Und es zeigt, wie mit Menschen umgegangen wird, die nachweisen, dass es geheime staatliche Verschwörungen gibt und Regierungen, die Verbrechen begehen.
Der zweifachen Transformation des Edward Snowden — vom unpolitischen Nerd mit libertärer Hacker-Ethik zum gehirngewaschenen, gedankenlosen „Anti-Terror“-Krieger und von dort zum zivilcouragierten Whistleblower und Kämpfer für den Rechtsstaat — liegt ein zweifacher Schrecken zu Grunde. Der erste über den monströsen Anschlag, der live im TV und danach über Wochen und Monate Angst verbreitete, und der zweite später über das, was als Reaktion auf diesen Anschlag installiert worden war: ein ebenso monströses totalitäres Überwachungssystem. Zu der Verfolgung des Wikileaks-Gründers Julian Assange, der mörderische Kriegsverbrechen aufgedeckt hat und dem in den USA 175 Jahre Gefängnis drohen, hatte Edward Snowden gesagt:
„Wenn das Aufdecken von Verbrechen wie ein Verbrechen behandelt wird, werden wir von Verbrechern regiert.“
Für die Verifizierung von Verschwörungstheorien, das Aufdecken von Verschwörungen, gilt das Nämliche.
Auch wenn die Leaks von Edward Snowden kein neues Licht auf Täter und Hintermänner der 9/11-Attacken warfen (2), machten sie deutlich, wie der Schock und die Panik instrumentalisiert wurden und ein totalitärer Überwachungsapparat eingerichtet werden konnte, der ohne dieses katalysierende Ereignis genauso wenig realisierbar gewesen wäre wie die folgenden Angriffskriege und die massive Aufrüstung. Sowie die Einrichtung von Foltergefängnissen in verschiedenen „befreundeten“ Ländern, die Entführungen von Verdächtigen samt der Anweisung, „verschärfte Verhörmethoden“ anzuwenden.
Die Veröffentlichung des „CIA-Folterreports“, der 640-seitigen Kurzfassung eines 6.700 Seiten starken Untersuchungsberichts des US-Senats, belegte im Dezember 2014 nicht nur, dass Menschenrecht, Kriegsrecht, Völkerrecht und sämtliche Genfer Konventionen von den USA systematisch gebrochen wurden. Sondern bewies auch einmal mehr, dass die Geständnisse von Khalid Scheich Mohamed (KSM), auf denen die zentralen Aussagen über die Täterschaft im 9/11-Report basieren, unter Folter gewonnen wurden.
Dass unter Folter erlangte Geständnisse nicht glaubhaft sind, ist zwar seit 1631, der Cautio Criminalis des Jesuiten Friedrich Spee, allgemein bekannt, doch anders als die „Heilige Inquisition“, die in der Folge zunehmend davon abließ, Beweisgeschichten über Teufel und Hexen mit Gewalt zu erpressen, sind die Methoden des „Hexenhammers“ von 1486 unter der Neuen Inquisition wieder up to date. Und wie ihm Original — „Es ist eine sehr große Häresie, nicht an das Wirken von Hexen zu glauben“ — sind diejenigen, die die Anwesenheit des Teufels („Osama“) bestreiten, selbst von ihm besessen („Terroristen“).
Quellen und Anmerkungen:
(1) Funkhausgespräche, Donnerstag, 24. Oktober 2002, WDR 3 und WDR 5. Transkript der Livesendung aus dem Kleinen Sendesaal des WDR, Funkhaus Wallraffplatz, Köln: www.broeckers.com/911-2/funkhausgesprache/
(2) Mathias Bröckers, Andreas Hauß: „Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.“, 2002, jetzt Teil 1 in „11.9. 20 Jahre danach“, 2021