Sie betonen zu Beginn ihrer Entgegnung, meine versachlichenden Worte fielen nicht in einem „gesellschaftlichen Vakuum“, sondern vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise, „Rekordfremdenfeindlichkeit“ und eines „politisch und moralisch verrohten Diskurses“. Ich erspare uns und unseren Lesern an dieser Stelle Ausführungen darüber, wie beobachterabhängig der Begriff der Moral (insbesondere in politischen Fragen) letztlich ist, da uns dies in philosophische Tiefen führen würde, aus denen wir nicht so schnell wieder herauskommen. Auch gehe ich nicht weiter auf die Paradoxie ein, dass Sie allen Ernstes einen „verrohten Diskurs“ beklagen, nur wenige Zeilen nachdem Sie mir „Verlogenheit“ und „Stigmatisierung“ unterstellt haben. Am bemerkenswertesten erscheint mir hierbei vielmehr, dass Sie scheinbar glauben und aussagen möchten, die sachliche Beschreibung eines gesellschaftlichen Zustandes müsse sich davon abhängig machen, wie der Diskurs „drum herum“ aussieht.
Will heißen: Wenn der Diskurs also angeblich „verroht“ ist und wir es mit einer besonderen flüchtlingspolitischen Situation zu tun haben, müssten, Ihrer Logik folgend, Wissenschaftler und wohl auch Journalisten ihre Tatsachenbeschreibungen diesem Kontext sozusagen entgegengerichtet anpassen. So lässt es sich dann rechtfertigen, dass man, aus Gründen der „politischen Korrektheit“, Dinge verschweigt, „um den verrohten Diskurs nicht weiter anzuheizen“, Zustände beschönigt, Probleme kleinredet. Das ist letztlich die Konklusion, zu der man gelangen muss, wenn man den von Ihnen hier in einem Moment der (unbedachten?) Offenheit angedeuteten Gedanken konsequent weiterdenkt. Journalisten und Wissenschaftler als Volkserzieher, die nicht zu berichten beziehungsweise zu erklären haben, was „ist“, sondern darzulegen und zu beeinflussen haben, wie das vermeintlich intellektuell beschränkte und von Vorurteilen und stigmatisierenden Positionen geprägte Volk zu denken hat.
Eine Einstellung, die gerade unter deutschen Journalisten von Spiegel bis Springer, von Frankfurter Rundschau bis ZEIT, von Deutschlandfunk bis WDR sehr verbreitet ist. So erklärt es sich denn auch, dass Massenmedien wie die genannten in weiten Teilen des Volkes mehr und mehr an Vertrauen verlieren: Wer in Artikeln und Reportagen nicht mehr seine „Lebensrealitäten“ zu sehen bekommt, sondern primär zeigefingerwedelnde Vorträge, die einseitig bestimmte Problematiken rausgreifen, aber konsequent andere weglassen und verschweigen, der greift dann eben lieber auf alternative Medien zurück, die vielleicht genauso politisch sein mögen, aber bei alldem letztlich nur etwas weniger subtil sind als die Hobbypolitiker in den Redaktionen der etablierten Massenmedien, die ihre Kommentare gerne als Berichte tarnen.
Doch Sie hatten ja noch – wenn auch erwartbar einseitig und suggestiv – investigative Fragen an mich. Gehen wir diese also nun an:
Sie fragen: „Sie sprechen von sozialwissenschaftlich-empirischer Unterfütterung: Was sind danach genau die Viertel und die öffentlichen Treffpunkte, wo junge Migranten eine ‚No-Go-Area‘ in Deutschland erzeugt haben? Wie viele sind das konkret bei uns in Deutschland? Gibt es hierüber eine Einigung in der Wissenschaft oder unterschiedliche und konträre Einschätzungen? Wenn ja, welcher Einschätzung folgen Sie bei der Bewertung von ‚No-Go-Areas‘ in Deutschland und was sind die Gründe dafür?“
Ich antworte: Sie spielen mit der fehlenden Konkretheit von Begriffen – wenn Sie quantitative Aussagen erwarten, so bräuchte es zunächst eine Definition dessen, was einen „öffentlichen Treffpunkt“ und ein „Viertel“ ausmacht, um es für die Forschung operationalisieren, also messbar machen zu können. Das wissen Sie aber sicherlich auch selbst ganz genau. Dies gilt umso mehr, als dass soziale Prozesse fließend sind: Treffpunkte, die heute gefährlich sind, sind vielleicht morgen ungefährlich und anders herum. Es würde also wenig Sinn machen, diese einfach zu zählen und die Zahl dann irgendwohin zu schreiben.
Was es daher aber reichhaltig gibt, ist qualitative empirische Forschung zu dem Thema. Ein, wie ich meine, empfehlenswertes Schlüsselwerk hierzu ist das Buch „Gewalt in öffentlichen Räumen“ von Wilhelm Heitmeyer, Helmut Thome et al. (2011), welches in einem Kapitel (II) ausführliche Interviews mit Jugendlichen und Heranwachsenden aus Duisburg-Marxloh, Frankfurt-Gallus und Halle-Silberhöhe aufführt, die Sie sich vielleicht einmal zu Gemüte führen sollten. Insbesondere mit Blick auf den erstgenannten Stadtteil berichten die Befragten in den Interviews ausgiebig und mit vielen Beispielen selbst von jenen Verhältnissen, die ich auch in jenem Artikel beschrieben habe, auf den Sie sich beziehen. Empfehlenswert auch, als weitere empirische Unterfütterung: Der Aufsatz „Jugendliche mit Migrationshintergrund als Opfer und Täter“ von Dirk Baier, Christian Pfeiffer und Michael Windzio (2006).
Angesichts der klaren (und ja, abgesehen davon, auch selbst erlebbaren) Verhältnisse in derlei Stadtteilen ist mir nicht bekannt, dass es ernstzunehmende Sozialwissenschaftler gäbe, die diese anzweifeln würden – so viel politisch motivierte Beschönigung, wie sie manch ein Journalist zuweilen aufbietet, kann sich Wissenschaft, die ernstgenommen werden will, eben schwerlich leisten. Was es aber natürlich gibt, sind unterschiedliche und auch konträre Theorien über die Ursachen dieser Zustände. Ich habe in meinem besagten Artikel versucht, diese unterschiedlichen Blickwinkel überblicksartig darzustellen, und darin auch dargelegt, welchen ich selbst folge und welchen nicht.
Sie fragen: „‘No-Go‘ ist ein sehr weitgehender Begriff, der ausdrückt, dass Bürger dort nicht hingehen können, nicht geschützt sind vor ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘, die sie bedrohen (könnten). Wenn das so ist, dürften in den besagten Vierteln und Treffpunkten a) wenige bis keine ‚normalen‘ Menschen außer den jugendlichen Migranten anzutreffen sein und b) niemand den Wunsch haben, dorthin zu gehen, wenn er nicht als ‚Eindringling‘ ‚klare Risiken‘ eingehen will. Ist das so? Wenn nicht, warum verwenden Sie trotzdem den Begriff ‚No-Go-Area‘, der genau das suggeriert?“
Ich antworte: Ich empfehle Ihnen an dieser Stelle abermals die oben genannte Lektüre zu diesem Thema. Zur Illustration ein Zitat aus einem Interview mit Jugendlichen und Heranwachsenden aus Duisburg-Marxloh, entnommen aus dem Abschnitt „Bedrohungsszenarien: Gefährliche Orte, Devianz, Kriminalität, Gewalt“:
„Als gefährliche Orte werden die Gegenden um Internetcafés, Wettbüros, und Spielhallen beschrieben: ‚Aber der Hammer ist, der Hammer ist, in jedem Café, in jedem Café, da gibt es immer irgendetwas.‘
‚Also, ich sag mal so, weil wenn man da reingeht, hat man schon verloren als Deutscher. Gehen Sie als Deutscher rein, ist das für die-, das ist für die ‚ne Beleidigung. Die fühlen sich dadurch, allein dadurch fühlen die sich schon beleidigt und angegriffen. Dass man als Deutscher so dreist sein kann, sich überhaupt da reinzutrauen. Allein das reicht denen schon.‘
(…)
Das führt zu deutlichem Vermeideverhalten: ‚Ich bin, halt mich sehr wenig in Marxloh auf, weil ich das auch nicht grad‘ angenehm finde, als deutsches Mädchen durch Marxloh zu laufen. Is halt so.‘
(…)
Bedrohlich werden solche Gegenden, wenn bestimmte Gruppen auftreten: ‚Ja, und wenn die Leute, wenn die Libanesen dann ankommen, und du hast selber keine Leute hinter dir, ja, dann hast du die Arschkarte gezogen.‘“ (Heitmeyer et al. 2011: 29 f.).
Dies ist nur ein Auszug – im besagten Kapitel finden sich noch viele weitere, ähnliche Aussagen, die zwar selbstverständlich – wie jedes Interview – von subjektiven Eindrücken geprägt sind, die aber zusammen genommen ein eindeutiges Bild liefern. Reicht Ihnen dies? Oder möchten Sie dergleichen nun nochmal für jedes andere Problemviertel unseres Landes geliefert bekommen, damit Sie es glauben? Muss hier wirklich noch begründet und gerechtfertigt werden, wieso hier eben durchaus von einer „No-Go-Area“ für bestimmte Gruppen die Rede sein kann?
Übrigens: Im Weiteren wird im Text noch beschrieben, wie ein dunkelhäutiger Jugendlicher von einer Gruppe anderer Jugendlicher mit Migrationshintergrund bedroht und attackiert wurde (vgl. Heitmeyer et al. 2011: 30). Wir reden hier also, wie ich schon im ursprünglichen Artikel schrieb, nicht nur über Gefahren für Deutsche, sondern auch für Menschen mit einem im jeweiligen Viertel nicht dominanten Migrationshintergrund. Ein Grund mehr, das zu thematisieren, was Sie so beharrlich schön- und kleinzureden versuchen.
Sie fragen: „Wie viele deutsche ‚Normalbürger‘ wollen/müssen eigentlich in diese ‚No-Go-Areas‘ gehen, aber tun es nicht, weil es zu gefährlich ist, bzw. sind gezwungen trotz der Gefahr diese Zonen zu betreten/zu durchqueren (weil sie sie nicht meiden können, z.B. als Bewohner der Viertel usw.)? Welche empirischen Daten (Umfragen, Erhebungen usw.) haben wir dazu? Für die Bezeichnung ‚No-Go-Area‘ reicht es m.E. nicht zu sagen, dass sich Anwohner von ‚Migranten‘ gestört fühlen (weil sie z.B. Türken, Araber, Fremde, insbesondere prekäre, arbeitslose ‚Taugenichtse‘, nicht in ihrer Nachbarschaft haben wollen) oder lieber mit Deutschen zusammenleben wollen. Es sollten schon konkrete Sicherheitsgefährdungen sein (objektivierbare), die von ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ auf deutsche Bürger ausgehen, so dass ‚Nichtbetretungszonen‘ aus Vierteln werden, die den Begriff ‚No-Go-Area‘ rechtfertigen.“
Ich antworte: Dass hier Sicherheitsgefährdungen vorliegen, habe ich Ihnen nun bereits in meiner letzten Antwort verdeutlicht. Dafür brauchen Sie aber nun wahrlich nicht mich: Eine Anfrage bei der Polizei etwa in den Städten des nordrhein-westfälischen Ruhrgebiets würde ausreichen, um Ihnen – objektivierbar – zu verdeutlichen, dass die Sicherheitslage in derlei Vierteln eine problematische ist, die unter anderem auch zum verstärkten Einsatz der Polizei in derlei Gebieten führen muss. Hier geht es also nicht darum, dass sich irgendwer lediglich „gestört“ fühlt, sondern um klar messbare Gefahren. Zur Information über Vermeidungsverhalten empfehle ich Ihnen – abermals – das oben genannte Buch von Heitmeyer, Thome et al. (2011) zur Lektüre.
Sie fragen: „Geben Sie bitte ein Beispiel, an dem Sie das Phänomen ‚No-Go-Area‘ in Deutschland einmal genauer verdeutlichen. Worin bestehen die ‚klaren Risiken‘ konkret für Deutsche aufgrund der ‚jugendlichen Migranten‘, so dass ‚normale‘ Deutsche dort nicht mehr hingehen können oder nur, wenn sie bereit sind, außergewöhnliche Gefahren einzugehen? Ist z.B. die Gegend um den Kottbusser Tor in Berlin Ihrer Meinung nach eine ‚No-Go-Area‘? Der Ort ist ja einer der am meisten angeführten und bekanntesten ‚No-Go-Areas‘ in Deutschland. Woran kann man das festmachen?“
Ich antworte: Zu der von Ihnen genannten Gegend in Berlin habe ich bislang noch keine wissenschaftliche Literatur rezipiert, weswegen ich mich dazu im Urteil zurückhalte. Ich wage jedoch die Spekulation, dass man so manche Erkenntnisse aus Nordrhein-Westfalen darauf übertragen könnte. Was diese sowie Ihre übrigen Fragen angeht, so verweise ich auf meine obigen Antworten inklusive der Interviewauszüge, die hierauf bereits eingehen.
Sie fragen beziehungsweise interpretieren: „Wie ist das spezifische ‚No-Go-Area‘-Risiko gegenüber anderen Risiken einzuordnen? Wir gehen ja als Bürger ständig Risiken ein, trotzdem bezeichnen wir Autobahnen, Kneipen in denen geraucht wird, Demonstrationen, auf der die deutschen Normalbürger pfeffergesprayt und körperlich von der Polizei angegangen werden, während sie ihre Bürgerrechte wahrnehmen und so weiter und so fort, auch nicht als ‚No-Go-Areas‘. Ist das Begehungsrisiko durch von Migranten dominierte Stadtviertel und Treffpunkte tatsächlich höher, gravierender als an anderen Orten oder doch eher ein ‚gefühltes‘ insbesondere bei Leuten, die es nicht gewohnt sind, von ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ umgeben zu sein? Außerdem: Die Sprache, die Sie wählen bzw. aus dem ‚No-Go‘-Mainstream übernehmen, wie: ‚No-Go-Area‘; ein ‚klares Risiko‘ für Deutsche; ‚unwillkommene Eindringlinge‘ auf einem Migranten ‚zustehenden Territorium‘, ‚deren Präsenz man entgegentreten muss‘ usw. erzeugt eine Symbolik, die an Krieg erinnert, wobei Deutsche als Opfer erscheinen gegenüber Fremden, Eingewanderten, die nun Teile des städtisch-deutschen Territoriums unter ihre ‚Besatzungsmacht‘ gebracht haben. Warum wählen Sie in Ihrer Analyse eine solche Sprache und Begrifflichkeit? Und warum schränken sie das ‚No-Go-Area‘-Stigma auf die Präsenz von ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ in einem öffentlichen Raum ein?“
Ich antworte: Ich habe Ihnen bereits in meinen obigen Antworten auseinandergesetzt, dass es hier nicht nur um ein „gefühltes“, sondern um ein faktisch vorhandenes Risiko geht, das im Übrigen – ich wiederhole mich – nicht nur Deutsche, sondern auch Menschen trifft, die selbst ebenfalls einen Migrationshintergrund haben. Selbstverständlich kann man hier nun, wie Sie es in bester Beschönigungsmanier handhaben, zahlreiche ausgedachte Szenarien ent- und in die Debatte einwerfen, die alle genauso große oder gar noch größere Risiken bezeichnen. Hier aber mal eine Gegenfrage: Würden Sie das auch tun, wenn jemand beispielsweise das Risiko thematisiert, in Problemvierteln der neuen Bundesländer von einem jugendlichen Neonazi attackiert zu werden? Würden Sie diesem Jemand gegenübertreten und ihm vorhalten, hier liege doch nur ein „gefühltes Risiko“ vor, weil man es eben nicht „gewohnt“ sei, von jungen deutschen Männern umgeben zu sein, und dann äußern, dass Autobahnen und Raucherkneipen ja schließlich auch Risiken in sich bergen? Schwer vorstellbar.
Es gibt eine soziologische Unterdisziplin, die sich „Risikosoziologie“ nennt und genau auf jene Frage eingeht: Was sind für Menschen, Gruppen und Organisationen „Risiken“ und was nicht, wie gewichten sie sie, was stufen sie als solches ein und was nicht? Die Prämisse der meisten risikosoziologischen Perspektiven lautet stets, dass Risiken beobachterabhängig sind, also subjektiv sozial konstruiert: Für den einen ist es bereits ein Risiko, bei grauen Wolken am Himmel ohne Regenschirm aus dem Haus zu gehen; für den anderen dagegen beginnen Risiken erst bei Bedrohung für Leib und Leben. Risikosoziologie ist, darüber hinaus, stets auch politisch: Für die einen stehen Umweltrisiken im politischen Mittelpunkt, für andere die Steuerflucht, für wieder andere Verkehrsrisiken, manche fürchten sich eher vor Terroristen, wieder andere vorm Überwachungsstaat und so weiter und so fort. Es gibt also keine objektivierbaren Kriterien für die „faktische“ Größe eines Risikos, was es wiederum unmöglich macht, Ihre erste Frage wissenschaftlich seriös zu beantworten. Doch es tut nicht nur das: Es zeigt auch, wie anmaßend und exorbitant dreist es ist, anderen Leuten ihre persönliche Risikowahrnehmung abzusprechen oder diese kleinreden zu wollen – wie unter anderem Sie es in Bezug auf No-Go-Areas tun. Sie, Herr Goeßmann, haben kein Recht, anderen Leuten die Ernsthaftigkeit ihres Risikoempfindens abzusprechen. Wenn es, wie in Deutschland und erst recht anderswo der Fall, dem persönlichen Erleben und den Erfahrungen von tausenden Menschen entspricht, dass No-Go-Areas es ebenso wert sind, politisch thematisiert zu werden, wie es bei Steuerflucht und Autobahnen der Fall ist, dann haben Sie das demokratisch zu respektieren – und es nicht weg- oder kleinzureden.
Sie werfen mir ferner eine Sprache vor, die Kriegssymbolik erzeugt. Damit spielen Sie ein geschicktes rhetorisches Spiel der Unterstellung, das im deutschen Journalismus nicht unbeliebt ist: Sie greifen Aussagen heraus, stülpen diesen eine diskreditierende persönliche Interpretation über („das erinnert mich an Krieg“) und der, der die Aussagen ursprünglich getätigt hat, ist dann mit einem Male für Ihre persönlichen Assoziationen mitverantwortlich. Diese Verantwortung lehne ich entschieden ab, Herr Goeßmann. Ich bin verantwortlich für das, was ich sage, und nicht für das, was Sie assoziieren. „Klares Risiko“ ist keine Formulierung, die einen militärischen Ursprung hat; gleiches gilt für die Formulierung des „unwillkommenen Eindringlings“. „Unwillkommen“ lässt sich übersetzen mit „unerwünscht“ – ein Zustand, der in allen möglichen sozialen Kontexten vorkommt, ebenso wie der des „Eindringens“. Auch „Territorium“ hat nicht zwingend eine kriegerische, ja nicht einmal unbedingt eine politische Konnotation, sondern auch ganz klar eine soziale: Wir alle rechnen uns und anderen ein bestimmtes Territorium zu, beginnend bei unserer Wohnung, fortgesetzt beim Schreibtisch am Arbeitsplatz, beim favorisierten Tisch in der Lieblingskneipe und so weiter. Also gilt auch hier: Die vermeintliche „Kriegssymbolik“ entspringt Ihrer eigenen, scheinbar durchpolitisierten Assoziation, für die ich jede Verantwortung ablehne. Wenn Sie vom Gegenüber einen nüchternen Diskurs wollen, sollten Sie auf das eingehen, was dieses sagt, aber nicht auf das, was Sie dem Gesagten gedanklich-assoziativ hinzufügen.
Sie fragen: „Zudem: Gibt es Ihrer Meinung nach keine ‚No-Go-Areas‘, die auf die Präsenz von Deutschen ohne Migrationshintergrund zurückgehen? Wie ordnen Sie vor diesem Hintergrund z.B. die erschreckenden Zahlen von fremdenfeindlicher Gewalt gegen Flüchtlinge und Migranten in Deutschland und Europa ein? (…)Die Frage ist also: Warum werden bei No-Go-Areas und der Diskussion darüber, an die Sie anschließen und deren Grundannahme (man könnte auch sagen ‚Ideologie‘) sie übernehmen, nichtdeutsche Migranten ur- und hauptsächlich in die ‚Tätergruppe‘ und ‚Deutsche‘ in die Opfergruppe einsortiert?“
Ich antworte: Natürlich gibt es auch No-Go-Areas etwa in den neuen Bundesländern, in denen nicht Integrationsprobleme und deren Folgen die entscheidende Schwierigkeit darstellen, sondern in denen man es eher mit rein sozioökonomischen Zusammenhängen zu tun hat. Sie werden aber in dem Text, auf den Sie sich beziehen, von mir nirgends eine Aussage finden, die die Existenz auch solcher Gebiete negieren würde.
Entscheidend ist hierbei aber, dass die Problematik fehlender Integration nun einmal an vielen Orten noch eine Schwierigkeit „oben drauf“ setzt – und dies gilt im globalen Vergleich gesehen weniger noch in Deutschland als vielmehr etwa in Frankreich oder Großbritannien, wo das Problem geradezu um ein Vielfaches potenziert auftritt. Dass dieses dann – gerade in Zeiten eines verstärkten Flüchtlingszuzuges, im Zuge dessen die Herausforderungen gewiss nicht kleiner werden – dann auch verstärkt thematisiert wird, müssen Sie den Menschen (und auch den sich damit befassenden Wissenschaftlern und Politikern) schon zugestehen.
Sie fragen, mit Blick auf die USA: „Warum kritisieren Sie also nicht die politisch hergestellten ‚No-Leave-Prisons‘ und fragen sich, wie man sie in ‚Want-To-Stay‘-Orte transformieren könnte – unter Einbeziehung der Bewohner und Migranten?“
Ich antworte: An diesem Punkt muss ich Sie um eine genauere Lektüre des Artikels bitten, auf den Sie sich beziehen. Aus meinen Ausführungen insbesondere rund um die von mir darin kritisch aufgegriffene „Broken-Windows-Theorie“ sollte eigentlich mindestens implizit genau diese Kritik hervorgehen.
Sie fragen: „Wer sind die ‚nicht unmaßgebliche(n) Teile gerade auch des linken und grünen Spektrums‘, die ‚noch immer allzu oft‘ die Tatsache der ‚No-Go-Areas‘, hergestellt durch ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘, kleinreden? Gehöre ich auch dazu, wenn ich es für sachlich nicht gerechtfertigt halte, Viertel mit hohem Migrantenanteil und diversen sozialen Problemen, erhöhter Kriminalität wie am ‚Kotti‘ in Berlin exklusiv als ‚No-Go-Area‘ zu bezeichnen? Warum blende ich damit aus, wie Sie suggerieren, ‚was schief läuft‘? (…)Warum demonstriert man also ‚die politische Reife eines Kindes (..), das sich im Angesicht von etwas Unwillkommenem und nicht ins Konzept Passendem einfach die Augen zuhält‘, wenn es die Existenz von No-Go-Areas für deutsche ‚Normalbürger‘, beherrscht von ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘, nicht als ‚Tatsache‘ zur Kenntnis nehmen will, obwohl Sie selbst in keinem Satz darlegen (das gilt für die gesamte Presse zu ‚No-Go-Areas‘), warum es sinnvoll sein sollte, von ‚No-Go-Areas‘ zu sprechen und sie Migranten anzuhängen? Was ist also das ‚Nicht ins Konzept Passende‘, vor dem ‚Linke‘ die Augen verschließen?“
Ich antworte: Diese besagten, nicht unmaßgeblichen Teile des linken und grünen Spektrums erstrecken sich auf Parteien wie SPD, Grüne und Teile der Linkspartei ebenso wie auf allzu viele Vertreter der – wieder einmal: empirisch nachweisbar – rot-grün dominierten Massenmedien. Insofern hier auch eine ganz klare Antwort: Ja, Sie gehören auch dazu – das haben Sie durch ihre Entgegnung nun mehr als deutlich demonstriert. Freilich gilt es hier aber begrifflich zu differenzieren: Ein Problemviertel allein schafft noch keine No-Go-Area. Eine No-Go-Area entsteht dann, wenn die sozialen Probleme dazu führen, dass das betroffene Viertel spezifisch für bestimmte Bevölkerungsgruppen – ich füge, mich wiederholend, hinzu: auch Migranten! – nicht mehr betretbar ist, ohne dadurch die eigene körperliche Unversehrtheit zu riskieren. Ob dies auch an dem von Ihnen benannten Punkt in Berlin so gegeben ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Was ich jedoch fundiert sagen kann, ist, dass es (allzu) viele Orte in Deutschland und anderswo gibt, in denen genau dieses Phänomen vorliegt; empirisch nachweisbar (s. o.). Und solange Politiker und Journalisten wie Sie versuchen, dieses weg- und kleinzureden, und genau hiervor (!) die Augen verschließen, so lange muss es bei der oben genannten Aussage bleiben.
Sie fragen: „Warum ist es ihnen so wichtig, dass sich auch ‚Linke‘ endlich der allgemeinen und weit verbreiteten ‚No-Go-Area‘-Mainstreamhysterie über ‚Problembezirke‘ anschließen, deren Existenz direkt oder indirekt ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ in die Schuhe geschoben wird (Türken, Araber, Afrikaner usw.), die ganze Viertel durch ihre Präsenz ‚kippen‘ lassen. Warum regen Sie sich nicht über die tatsächliche ‚Realitätsverweigerung‘ auf?“
Ich antworte: Über die suggestive Formulierung Ihrer Frage sehe ich an dieser Stelle mal hinweg und beantworte sie so, als sei sie ernst gemeint gewesen und als beziehe sich speziell darauf, wieso ich gerade von Linken erwarte, Realitäten endlich anzuerkennen: Weil es von Neoliberalen nicht zu erwarten ist. Wir sind uns vermutlich einig darüber, dass die Probleme, mit denen sich diese Diskussion befasst, sozialer und zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auch sozioökonomischer Natur sind. Das bedeutet, dass hierfür auch soziale Lösungen her müssen, die auf kurzfristige neoliberale Scheinantworten, wie sie in den USA geliefert werden, hinausgehen. Daraus generiert sich meine politische Erwartung, die Leute wie Sie jedoch weiterhin torpedieren.
Sie werden es mir verzeihen, wenn ich auf Ihre weiteren, zum Teil redundanten Erörterungen nicht weiter eingehe – bis auf zwei Ausnahmen.
Einerseits beklagen Sie sich, von mir würden keine Antworten kommen, wie das Problem zu lösen sei. Damit haben Sie insoweit recht, als dass es sich bei dem Artikel, auf den Sie sich beziehen, um die Ausführung einer Problemdiagnose handelt, nicht aber um die Präsentation eines Konzeptes zur Lösung dessen. Letzteres ist in einem solchen Rahmen nicht auch noch mitzuliefern, sondern muss gesondert erfolgen. Ihre Entgegnung allerdings hat mir – noch einmal – deutlich gezeigt, wie wichtig allein schon Problemdiagnosen sein können. Denn ohne diese werden eben so manche Problematiken von bestimmten Leuten, Gruppen oder Organisationen nicht zur Kenntnis genommen, was dann wiederum problemverstärkend wirkt. Die Verbalisierung einer Problemdiagnose ist vor diesem Hintergrund also schon mal ein relevanter Schritt, auch wenn es sicherlich nicht alles sein kann und darf.
Andererseits arbeiten Sie sich wiederum an einem Begriff ab, der abermals negative Assoziationen weckt beziehungsweise den Sie mit solchen ausstatten, um ihn für den Diskurs unbrauchbar zu machen: Sie sagen, der Begriff des „Kulturkreises“ sei ein Nazi-Wort. Entstauben wir den Terminus jedoch mal von all den fast schon esoterisch anmutend versteckten Bedeutungen, die Sie alle so mit ihm assoziieren, und betrachten wir ihn „nackt“, also bezogen einzig und allein auf seinen Wortbestandteil hin. Übrig bleiben die beiden Begriffe „Kultur“ und „Kreis“. Der „Kreis“ bezeichnet hierbei eine damit zu fassende, von anderen abzugrenzende Sphäre; die „Kultur“ ein Gerüst aus Werten, Überzeugungen und Traditionen. Ist es automatisch „Nazi“, dergleichen mit einem Begriff zu versehen – oder ist es nicht vielmehr einfach ein analytisches Instrumentarium, um damit bestimmte soziologische Gegebenheiten sprachlich fassbar und adressierbar zu machen? Ich tendiere klar zu letzterem.
Empörungen wie diese sind ein weiteres Grundproblem unserer (fehlenden) Debattenkultur. Sie greifen einzelne Termini heraus, statten Sie – wie schon bei der vermeintlichen „Kriegssymbolik“ – mit irgendwelchen verwerflichen Assoziationen aus, halten diese dann dem Gegenüber vor und schaffen es so, dieses im Diskurs zu diskreditieren, ohne auf nur ein einziges inhaltliches Argument jemals eingegangen zu sein. So verhindert man Debatte, so schreckt man Menschen ab, sich politisch zu äußern, zu engagieren. Ja, schlimmer noch: So radikalisiert man Menschen, weil man ihnen dadurch das Gefühl gibt, sich in einem demokratischen Land nicht mehr frei äußern und ihre Sorgen (und Risikowahrnehmungen!) artikulieren zu können, ohne sogleich von volkserziehenden Journalisten vor das terminologische Tribunal gezerrt zu werden.
Sie, Herr Goeßmann, und viele andere mit Ihnen, spielen den Neoliberalen in die Hände. Reaktionen wie die Ihre sind mit der Grund dafür, dass Menschen in unserem Lande bei Demonstrationen „Lügenpresse“ rufen (wobei zugegebenermaßen der Ausdruck „Lückenpresse“ präziser ist – und eine dieser vielen, vielen „Lücken“ ist dabei die Existenz von No-Go-Areas) und dass das Vertrauen in die etablierten Massenmedien schwindet, so wie auch das Vertrauen in die etablierten Parteien schwindet. Dies gilt umso mehr, wenn jene, die sich daran machen, diese „Lücken“ nüchtern zu schließen, diskreditiert werden sollen, indem man ihnen „Stigmatisierung“ von Migranten vorwirft – wohlgemerkt, weil sie ein soziales Phänomen thematisiert haben, das viele Migranten mindestens ebenso gefährdet wie Einheimische. Es steht Ihnen natürlich frei, so weiterzumachen – das ist die Freiheit, die Sie in diesem Staat genießen. Aber: Beschweren Sie sich nicht, wenn Ihnen dann irgendwann einfach niemand mehr zuhört.
Literatur:
- Baier, Dirk / Pfeiffer, Christian / Windzio, Michael (2006). Jugendliche mit Migrationshintergrund als Opfer und Täter. In Wilhelm Heitmeyer / Monika Schröttle (Hrsg.), Gewalt. Beschreibungen, Analysen, Prävention. Bonn: BPB.
- Heitmeyer, Wilhelm / Kock, Sonja / Marth, Julia / Schroth, Andreas (2011). Untersuchungsgebiete (II). In Wilhelm Heitmeyer / Helmut Thome et al. (Hrsg.), Gewalt in öffentlichen Räumen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
- Heitmeyer, Wilhelm / Thome, Hemut et al. (Hrsg.) (2011). Gewalt in öffentlichen Räumen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.