„Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht“ (Abraham Lincoln).
Schon oft in der Geschichte haben Menschen die Umstände, in denen sie lebten, als unerträglich empfunden und den Drang verspürt, sie zu verändern. Und schnell stellt sich die Frage: Wie verändert man eine so erdrückende, gesellschaftliche Normalität? Ist es der richtige Weg, die Macht zu erringen? Ist es Geld, das die Welt verändert?
Macht und Geld scheinen die Grundlage zu sein, auf der alles beruht. Die Macht schafft Hierarchien und Abhängigkeiten, überzieht die Menschen mit einem dichten Netz an Regeln, die strikt zu befolgen sind. Machthaber können sich gütig verhalten oder willkürlich, nach Belieben die Spielregeln ändern und Gehorsam notfalls mit Gewalt einfordern.
Hinzu kommt das Geld, das mit Macht verknüpft ist. Wer viel Geld sein Eigen nennt, kann eigene Machtverhältnisse begründen. Er hat die Möglichkeit, Menschen von sich abhängig zu machen und zu unterwerfen, kann ganze Volkswirtschaften in den Abgrund reißen und davon noch profitieren, kann Ländereien privatisieren und die von dort verdrängten Menschen zu Hungerlöhnen auf eben jenen beschäftigen. Geld vermehrt sich auf wundersame Weise selbst, und über das Mittel des Geldes kann viel mehr bewirkt werden als über rein politische Macht. Dies sind die Zustände, in denen wir uns heute wiederfinden, knapp zusammengefasst.
Doch wie lassen sich solche Zustände verändern? Viele haben es versucht, wurden reich und verfielen selbst den Verlockungen des Geldes. Wer mit Erfolg eine Partei gründete und in den Bundestag einziehen konnte, vergaß häufig seine ursprünglichen Ideale, und verfiel stattdessen den Verlockungen eines sicheren Postens. Andere zettelten zwar Revolutionen an, doch mit zweifelhaftem Erfolg, denn anschließend herrschten dieselben Verhältnisse, nur mit anderen Machthabern.
Unterdrückung, Tyrannei und Ungleichheit konnten auf diese Weise nicht beendet werden.
Immer wieder zeigt sich, dass es nicht ausreicht, die Mittel der Macht zu erlangen, denn Macht verführt. Und all diese Mittel, Geld, politische Macht, die man auch Herrschaft nennen könnte, haben eine gemeinsame Wurzel, die, wenn man sie nicht herausreißt, immer wieder dieselben Triebe hervorbringt.
Diese Wurzel ist der Glaube. Der Glaube ist der zentrale Grundpfeiler, auf den sich alle Zivilisationen gründen, die Wurzel, welche all die Kriege, die Herrschaft und Macht, den Reichtum, die Ungleichheit hervorbringt.
Ist Glaube gleich Religion?
Diese Aussage kann ganz im religiösen Sinne verstanden werden. Der Glaube an einen höheren Gott und dessen Repräsentanten auf Erden hat allein in Europa über ein Jahrtausend lang ein rigides Machtsystem mit strikten Hierarchien ermöglicht und zementiert. Im Namen des Glaubens konnten Kriege geführt, Ungläubige und sogenannte Hexen verfolgt, gefoltert und getötet werden. Ebenso konzentrierte dieser Glaube großen Reichtum auf die ihn repräsentierenden Institutionen. Freiwillig spendeten die Menschen an die Kirche, in der Hoffnung, so von ihren Sünden reingewaschen zu werden, viele vererbten ihr Vermögen an diese Institutionen. Von der Kirche erstellte Ablassbriefe wurden lange Zeit als Ware gehandelt. Der religiöse Glaube konnte alles rechtfertigen, ohne dass die Menschen gegen Herrschaft und Willkür aufbegehrten. Denn dieser Glaube war die Grundlage für das gesamte, gesellschaftliche Zusammenleben. Noch heute ziehen Menschen aus religiösen Motiven in Kriege oder sprengen sich selbst in die Luft.
Grund dafür ist ein zutiefst verinnerlichter Glaube an einen richtenden Gott, der nach dem Tod über Freud oder Leid, über den Zutritt zum Paradies oder die ewige Verdammnis in der Hölle entscheidet. Die Gläubigen sind fest davon überzeugt, dass Gott die Ausführung seines Willens an die kirchlichen Institutionen delegiert, deren Vertreter dann dazu berufen sind, den Menschen seinen Willen zu verkünden, sie dazu anzuleiten, nach diesem zu handeln. Dieser Glaube war früher viel tiefer in den Menschen verankert, als er es heute ist. Er machte jedes Zuwiderhandeln für die meisten Menschen unmöglich, ja verhinderte, dass die Idee eines alternativen Weltbildes, alternativer Ethik und damit alternativen Handelns in den Überzeugungen der Menschen überhaupt erst auftauchte. Sie konnten gar nicht unabhängig von diesem Glauben, von einer Weltsicht denken, in deren Zentrum ein Gott stand.
Damit vergleichbar ist der Glauben an politische Macht.
Nur, weil die Menschen glauben, jemand habe als König, Präsident, Kanzler oder Parlamentarier die Macht und qua Amt die Legitimation, über sie zu bestimmen, Gesetze zu verabschieden oder Steuern einzutreiben, besteht diese Macht überhaupt.
Dennoch ist für die meisten Menschen eine Gesellschaft ohne Herrschaft unvorstellbar. Die Vorstellung, Gesellschaften müssten auf die bekannte Weise organisiert sein, ist so tief in die Menschen eingeschrieben, dass ihr Denken dieses Bild nicht transzendieren kann. So kam es auch, dass sich nach jeder Revolution, die der Unzufriedenheit der Menschen mit dem herrschenden System Ausdruck verlieh, ein neues Herrschaftssystem etablierte, das sich im Grunde von dem vorangegangenen kaum unterschied. Die Vorstellung, eine Welt ohne Macht aufzubauen, ist den meisten Menschen so fremd, dass ihnen der Gedanke nicht einmal in den Sinn kommt.
Dabei ist es gerade dieser Glaube, der Menschen Macht verleiht. Würde die breite Masse diesen Glauben verlieren, dann wäre diese Macht von einem auf den anderen Tag nicht mehr vorhanden. Denn auch die Macht der durchsetzenden Organe wie Polizei und Militär speist sich aus diesem Glauben. Nur weil Menschen hier an Hierarchien und Befehlsgewalt glauben, führen sie Befehle aus. Ohne diesen Glauben sähe niemand mehr einen Sinn darin, seine Mitmenschen zu unterdrücken und zu drangsalieren. Die Macht, auf die sich das politische System stützt, bräche kurzerhand in sich zusammen. Ähnlich wie das religiöse System im Zuge der Aufklärung und dem Aufkommen der Naturwissenschaft an Macht und Einfluss verlor, würde unser politisches System diese Macht über die Menschen verlieren, welche es heute besitzt.
Doch die zahlreichen Beamten erfüllen ihre Pflicht auch noch aus einem anderen Grund: Durch diesen Job verdienen sie ihr Geld. Geld könnte also als noch größere Motivation gesehen werden als der Gehorsam. Doch auch das Geld hat seinen Wert nur, weil wir daran glauben.
Geld ist bedrucktes Papier oder Einsen und Nullen in einem elektronischen System.
Einen realen Wert hat es nicht, übrigens ebenso wenig wie Gold oder Silber. All das hat aus sich selbst heraus keine besondere Bedeutung. Nur der menschliche Glaube daran, dass es einen Wert habe, ermöglicht es erst, es als Tauschmittel und letztlich als Machtmittel einzusetzen. Dieser Glaube an den Wert des Geldes ist so tief in den Menschen verankert, dass der Umstand, dass dieser Wert nur auf einer Illusion beruht, den meisten nicht einmal in den Sinn kommt. Auch ist ihnen das Geld, ebenso wie die Macht, so vertraut, so selbstverständlich geworden, dass sie sich eine Welt ohne diese beiden Faktoren überhaupt nicht vorstellen können. Kaum jemand verschwendet überhaupt nur einen weiteren Gedanken an diese Selbstverständlichkeiten, ebenso wenig, wie ein Fisch über das Wasser nachdenkt, das ihn ständig und überall umgibt.
Dabei sind diese beiden Faktoren für alles Elend in der Welt verantwortlich. Macht wird von denjenigen, denen sie zugeschrieben wird, regelmäßig missbraucht, Menschen werden unterdrückt, ausgeschlossen, verfolgt, getötet. Kriege werden geführt entweder aus finanziellen oder machtpolitischen Gründen. Geld konzentriert sich auf wenige Menschen, während der Rest der Menschheit in Abhängigkeit von diesen lebt, ihrer Willkür unterworfen ist. Geld führt zu Ungleichheit, zu Hunger und Armut einerseits und zu Überfluss andererseits. Geld ist der direkte Auslöser für die Zerstörung von Mensch und Natur. Mit Geld werden Machthaber finanziert, Waffen und Kriege, die Ausbeutung des Planeten, der ganze Produktionsirrsinn. Und es beeinflusst durch Korruption jede politische Entscheidung. All das basiert auf dem Glauben, dass Geld einen Wert und ein Mensch Macht über andere besäße.
Den Glauben verlieren
Doch gäben wir diesen Glauben auf, so könnte selbst der reichste Mensch von einem Tag auf den anderen sein Geld nicht mehr in Macht umsetzen. Wie soll sich jemand große Landstücke aneignen, wenn niemand dem angeblichen Wert seines Geldes mehr Glauben schenkt? Wie soll er auf diese Weise Macht ausüben, wenn die Menschen ihren Glauben an Geld und Macht verlören? Und wieso sollten Polizisten, Soldaten und die Heerscharen an Beamten sich noch dazu hinreißen lassen, ihre Mitmenschen zu maßregeln, wenn ihr Glaube in das Geld ebenso erloschen ist wie derjenige in die Befehlsgewalt?
Warum sollte sich jemand zu unwürdiger Arbeit erniedrigen lassen, wenn das im Gegenzug angebotene Geld keinen Wert besitzt? Warum sollte man die Verteilung von Nahrung an wertloses Papier knüpfen? Warum in den Krieg ziehen, weil jemand, der sich Macht anmaßt, das befiehlt?
All die Machthaber und Eliten, denen die Menschen heute so große Beachtung schenken und denen sie sich unterwerfen, würden plötzlich als die Karikaturen kleiner, ungeduldiger Kinder entlarvt, die sie im Grunde sind. Niemand würde sie noch ernstnehmen, niemand sich von ihnen Befehle erteilen lassen.
Alles, was wir tun müssen ist, uns von diesem Glauben zu verabschieden. Dafür müssen wir beginnen, die Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, die uns von anderen vorgelebt und eingetrichtert wurden. Denn ein Kind, das frisch auf die Welt kommt, kennt kein Geld, sieht darin keinen Wert, und kennt auch keine Macht. Erst die Erziehung und das gesellschaftliche Weltverständnis führt dazu, dass der Mensch ein bestimmtes Weltbild entwickelt.
All diese Glaubenssätze sind jedoch genau das: Glaubenssätze. Hinterfragen wir sie und entledigen wir uns des Glaubens, der nicht aus unseren eigenen Überzeugungen entstammt.
Selbstverständlich ist der Glaube gleichzeitig die wichtigste Grundlage jedes gesellschaftlichen Zusammenlebens. Jede Gesellschaft basiert auf einem Glauben, der sie als solche konstituiert und zusammenhält. Die Geschichte der Zivilisation ist daher auch eine Geschichte wechselnden, aber gemeinsamen Glaubens. Dem nüchternen Nihilismus zu verfallen, ist daher keine sinnvolle Option, würde wahrscheinlich in das absolute Chaos führen, in einen Kampf aller gegen alle. Die Gesellschaft würde zerfallen und zu einer Ansammlung unverbundener Individuen werden. Doch statt blind den Glauben zu übernehmen, der von außen an uns herangetragen wird, sollten wir einen Glauben entwickeln, der von innen heraus kommt.
Wir sollten uns die Fragen stellen: Was ist es, woran wir glauben wollen, was uns lenkt und leitet? Ist es der Glaube an die Macht einer Person über eine andere? Ist es der Glaube an buntes Papier oder Zahlen auf einem Display? Oder können wir nicht an etwas glauben, das als wahre Überzeugung aus unserem Inneren heraus aufsteigt, das nicht von außen, mittels Indoktrination und Erziehung, an uns herangetragen wurde? Wir könnten an die Freiheit glauben, daran, dass jeder Mensch gleichwertig ist, dass das oberste Ziel menschlicher Gesellschaften sein muss, jedem Einzelnen ein würdiges Leben zu ermöglichen, und daran, dass niemand über einen anderen herrschen darf.
Es ist auch gar nicht notwendig, dass wir alle eine religiöse Vorstellung teilen, nicht alle demselben Menschenbild anhängen, nicht denselben Vorstellungen von Gesellschaft. Stattdessen können wir eine Gesellschaft der Gesellschaften gründen, also eine Gesellschaft, in der viele, unterschiedliche Vorstellungen nebeneinander existieren.
Der einzige, geteilte Glaube, der dann notwendig wäre, ist jener, dass jeder Glaube, jede Vorstellung und jede Gesellschaft ein unbeschränkbares Recht auf Existenz hat und deswegen als gleichwertig behandelt werden muss.
Dem zugrunde liegt der Glaube, dass jeder Mensch sich sein Leben frei und nach eigenem Wohlgefallen gestalten, jedoch niemandem seine eigenen Vorstellungen aufzwingen kann. Es wäre der Glaube an den Wert des Menschen an und für sich, als Mensch.
So kann eine Gesellschaft der kleinen Einheiten entstehen, in denen Christen neben Muslimen, Juden und Buddhisten, Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten, Nihilisten, Atheisten, Konservativen, Liberalen, Autoritären und vielen anderen zusammenleben. Es ist auch denkbar, für Freunde der Diktatur, kleine, diktatorische Einheiten zu schaffen, in denen sich all diese zusammenfinden dürfen, die sich gerne unterdrücken lassen. Eine solche Gesellschaft der Gesellschaften, in denen alle Glaubens- und politischen Systeme nebeneinander in kleinen Einheiten bestehen, wird nicht nur den verschiedenen Vorstellungen der Menschen gerecht, sondern stellt auch ein gesellschaftliches Labor dar.
Statt ständiger Systemkonkurrenz auf großer Ebene, die darauf abzielt, den ideologischen Gegner auszuschalten, kann diese Konkurrenz nun auf kleiner Ebene nebeneinander bestehen und sich so im Laufe der Zeit zeigen, welches System, welcher Ansatz, welcher Glaube den Menschen zur größten Zufriedenheit verhilft. Auf diese Weise kann sich dieses System dann nach und nach durchsetzen, muss dies aber nicht notwendigerweise. Es wird schließlich niemand zu seinem Glück gezwungen. Ganz davon abgesehen gibt es auch hier kein Patentrezept. Jeder Mensch kann einen anderen Glauben, andere Überzeugungen haben. Das Elend entsteht erst, wenn ein Einzelner oder eine Gruppe von Menschen ihre Überzeugungen, ihren Glauben anderen Menschen aufzwingt. Es ist also notwendig herauszufinden, woran wir glauben, und woran wir glauben wollen.
Doch der Weg beginnt damit, den momentanen Glauben infrage zu stellen und durch einen zu ersetzen, der nicht von außen an uns herangetragen wird, sondern aus unserem Inneren kommt. Dazu kann jeder sich fragen, nach welchen Werten er lebt, woher diese Werte kommen, und ob er weiterhin nach ihnen leben möchte. Man könnte sich auch die Frage stellen, was man in seinem Leben erreichen möchte und warum. Was ist es, das andere Menschen nach dem Ableben über einen sagen sollen? Woran möchte man sich auf seinem Totenbett erinnern? Und ganz zentral: Was ist eigentlich die Motivation, der Antrieb für alles, was man im Leben tut und erreichen will?
Woher kommt diese Motivation, dieser Antrieb? Ist es ein gesellschaftlich vorgelebter Wert, einer, der einem seit der Kindheit vermittelt wurde, oder hat man ihn selbstständig gefunden? Was sind eigentlich die zentralen Werte, die wir verfolgen, und warum sind sie es? Was ist der übergeordnete Sinn, die übergeordnete Erzählung, was steckt hinter allen Dingen, allem Handeln?
Von dort kann man sich auf eine Entdeckungsreise machen hin zu den Fragen, auf welche die Menschheit bis heute keine zufriedenstellende Antwort hat, und zu deren Befriedigung sie Glaubenssysteme aufstellen musste. Dies sind Fragen wie: Was kommt nach dem Tod? Was ist der Sinn von Allem? Diese und viele weitere Fragen sind die Grundlage, auf der unsere heutigen Glaubenssysteme errichtet sind, und sie können die Grundlage für ein neues Glaubenssystem sein.
Mit diesen und vielen weiteren Fragen kann man sich beschäftigen und seinen Glauben, das Selbstverständliche und Normale hinterfragen. Auf der Basis eines erschütterten Glaubens in das Bestehende kann ein neuer Glauben entstehen, einer, der die Gesellschaft von Grund auf verändert.