Wie konnte es dazu kommen? Bekannt ist, dass Fähigkeiten, die nicht mehr genutzt werden, verfallen.
Begonnen hatte es mit der Jugend, die sich der Smartphone-Sucht nicht mehr entziehen konnte. Sie verlor dadurch die Fähigkeit, längere Texte Sinn entnehmend zu lesen. Zudem waren die Mädchen und Jungen in dauernder Erwartung, auf einen Sinn entleerten Textfetzen reagieren zu müssen. Kam keiner, stellte sich das Gefühl ein, isoliert und überflüssig zu sein. Die Bindung an das Smartphone war komplett.
Parallel war es durch eine selbstlose Aktion der IT-Industrie gelungen, die Schulen umfassend mit IT-Technik auszustatten, und alle Schülerinnen und Schüler konnten endlich vollständig und pausenlos mit dem Computer „lernen“, die Gefahr, dass eigenständige Gedanken entstehen, war gebannt. Gestrige Pädagogen sprachen unter der Hand vom Lernen am Nasenring, denn jedes Abweichen vom Vorgegebenen war schmerzhaft und wurde bestraft.
Etwas später verfielen bei den Erwachsenen die Fähigkeiten zur einfachen Haushaltsführung. Das intelligente oder mindestens smarte Internet of Things übernahm alle Regelungs- und Steuerungsaufgaben im Haushalt: Temperatur, Licht, Wassertemperatur, Reinigung der Wohnung, Steuerung des Fernsehers und der Audio-Anlage und so weiter.
Nachdem der Kühlschrank zunächst die Bestellung und Nachbestellung von Lebensmitteln übernommen hatte, darüber brauchte man sich keine Gedanken mehr zu machen, konnte er wenig später dazu übergehen, direkt Gerichte zu bestellen. Er kannte ja den Geschmack und die Vorlieben der Nutzer. Nur von Zeit zu Zeit erlaubte er sich den Hinweis „Nutzern, denen Erbsensuppe geschmeckt hat, hat auch Linsensuppe geschmeckt.“ Die Fähigkeit, die Versorgung mit Lebensmitteln zu planen und daraus Gerichte zu kochen, war bald verschwunden.
Sich im Raum orientieren zu können entfiel auch bald. Lebt meine Freundin im Norden oder im Westen der Stadt? Das intelligente Auto wusste den Weg, noch besser, bald wusste es auch, wann wir wohin wollten.
Intelligenz im Spiel war auch nicht mehr gefordert, da inzwischen jedes Smartphone jeden Menschen in jedem Spiel besiegen konnte. Eine menschliche Investitionsstrategie im Monopoli? Vergessen Sie es. In den Mannschaftssportarten war es nicht besser. Die Spielerinnen und Spieler erhielten über Ohrhörer Hinweise auf den besten nächsten Spielzug. Nicht mehr die Mannschaften mit den besten Spielern gewannen, es waren die, die sich den leistungsfähigsten Computer leisten konnten. Wozu da noch Spiel und Sport.
Auch in Gesellschaft und Politik gab es erfreuliche Entwicklungen. Den Nutzern wurde ein Medienangebot geliefert, das sie möglichst wenig überraschte und forderte. Die Analyse der genutzten Medien sorgte dafür, dass die Menschen durch andersartige Angebote nicht mehr unnötig gestört wurden. Gleiches galt bald für die Politik. Kritische Inhalte und abweichende Meinungen erreichten die Bürger nicht mehr. Sie konnten sich sicher sein, dass die verbreitete Meinung, die sie erreichte, die richtige war.
Nur vereinzelt gab es noch Menschen, die es wagten, sich ihres Verstandes ohne die Leitung eines Anderen zu bedienen. Aber die hatte man genau im Blick und verfügte über Verfahren, die geeignet waren, sie notfalls zur Vernunft zu bringen.
Bei Allen war das aber noch nicht gelungen, Rubikon-Leser und Autoren gehörten zu dieser Gruppe, aus der auch die Frage kam, ob bei den Internet-Milliardären noch Intelligenz vorhanden sei. Dabei ist doch die Tatsache, Milliarden verdient zu haben, der unbestreitbare Nachweis von Intelligenz.