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70 Jahre UNO-Menschenrechtscharta

70 Jahre UNO-Menschenrechtscharta

Die Verpflichtung auf grundlegende Menschenrechte, für viele nach dem 2. Weltkrieg eine große Hoffnung, wird heute für politische, wirtschaftliche und militärische Interessen instrumentalisiert.

70 Jahre später erschüttert die Globalisierung das Machtgefüge der damaligen Nachkriegszeit, in dem die USA sich — nach der Auflösung der Sowjetunion 1989 — als „Einzige Weltmacht“ (3) meinte durchgesetzt zu haben. Heute sind andere mächtige Pole präsent: Russland, China, Indien und verschiedene Regionalmächte widersetzen sich der Unterwerfung unter die Weltordnung, die die USA mit ihren Verbündeten in Europa, Kanada, Australien, Japan und anderen geschaffen haben.

Eine neue multipolare Weltordnung wird eingefordert. Die USA wollen ihre Führungsrolle nicht aufgeben. Die bisherigen US-Partner suchen zwischen nationaler, transatlantischer und internationaler Positionierung einen Weg — die Welt ist aus den Fugen.

Den Preis für den Kampf um eine neue Weltordnung bezahlen die Menschen, in deren Ländern dieser Machtkampf ausgefochten wird. Die 1948 vereinbarten Menschenrechte werden missachtet wie nie zuvor. Die UNO, ihre Organisationen und UNO-Resolutionen werden von den USA und einigen ihrer Verbündeten offen missachtet, umgangen und diffamiert. Das Völkerrecht, wie es in der UNO-Charta am 26. Juni 1945 in San Franzisko verabschiedet wurde, wird für eigene Interessen gebrochen. Diejenigen, die auf seiner Einhaltung bestehen, werden zu Feindbildern oder zu „ewig Gestrigen“ erklärt.

Krisen und Kriege haben zugenommen, fast 70 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Der Begriff der „Menschenrechte“ ist – wie in der Zeit des „Kalten Krieges“ — zu einem Kampfbegriff geworden. Um seinen Gegner unter Druck zu setzen, warnt man ihn zunächst, die Menschenrechte zu achten. Im nächsten Schritt wirft man ihm vor, die Menschenrechte zu verletzen, wobei internationale Menschenrechtsorganisationen dieses Vorgehen häufig mit Kampagnen unterstützen, die von Medien und Politik aufgegriffen und verbreitet werden.

Schließlich folgen juristische Strafverfahren und Anklagen, auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Da die großen weltumspannenden internationalen Medienunternehmen fast ausschließlich in Händen der USA oder ihrer Verbündeten sind – AP in den USA, Reuters in Großbritannien, AFP in Frankreich, dpa in Deutschland – finden solche Kampagnen weltweit Aufmerksamkeit. Seit auch andere Medien wie Al Jazeera in Katar, RT in Russland, CCTV in China, Press TV in Iran sich in Englisch oder Spanisch weltweit Gehör verschaffen, werden solche Kampagnen hinterfragt oder auch mit anderen Darstellungen konfrontiert.

Mit den so genannten „sozialen Medien“ bei Facebook, Twitter und anderen sind unzählige neue Blogs und Portale entstanden, die angeben, neutral und wissenschaftlich zu arbeiten, oder sie wollen „Wahrheit“ verbreiten. Sie geben an „Geschichte zu erklären“, „Aufklärung zu leisten“ oder „Fakten zu finden“, verbreiten allerdings meist Interpretationen und/oder Ansichten. Das hat im Rahmen von Presse- und Redefreiheit zwar eine Berechtigung, bedeutet aber nicht, dass die Darstellungen der tatsächlichen Geschichte oder einem Geschehen gerecht werden.

Die USA, EU und NATO haben einen neuen Kampfbegriff erfunden. „Fake News“ würden von russischen und iranischen Medien verbreitet, stellte kürzlich ein Reporter von Spiegel-Online bei einer Podiumsdiskussion in Frankfurt/Main fest. EU und NATO haben spezielle „Task Forces“ gebildet, um solcher „Propaganda“ Einhalt zu gebieten.

Ein Beispiel: Der Mittlere Osten

Der Mittlere Osten ist das Gebiet, wo der Kampf zwischen einer unipolaren Weltordnung à la USA und einer multipolaren Weltordnung am heftigsten tobt. Hier wird systematisch und nachhaltig Völkerrecht gebrochen, Menschenrechte werden missachtet, Staaten werden an ihrer unabhängigen Entwicklung gehindert und destabilisiert.

Es begann am Ende des 1. Weltkrieges mit der Teilung der Region in französische und britische Interessen, laut Sykes-Picot-Abkommen 1916, verschärfte sich mit der Balfour-Erklärung im Jahr 1917, in der die britische Regierung der zionistischen Weltföderation die Unterstützung bei der Gründung einer „nationale Heimstätte in Palästina“ zusagt. Es setzte sich fort mit der Bildung neuer Staaten, Syrien, Transjordanien, Libanon, Irak, bei der Pariser Friedenskonferenz 1919/20, bei der die Ergebnisse der King-Crane-Kommission missachtet wurden.

Die Kommission (4) hatte 1875 Petitionen erhalten, in denen die Bevölkerung vor Ort ihre Meinung formuliert hatten: Sie wollten kein französisches Mandat und sie wollten ein Vereinigtes Syrien, also keine Aufteilung von Syrien und Palästina. Das „zionistische Programm“ könne „nur mit Gewalt durchgesetzt werden“, hieß es zudem in dem Bericht der Kommission. Der Völkerbund, Vorläufer der Vereinten Nationen, bestätigte die Teilung der Region gegen den Willen der dort lebenden Bevölkerung.

Das Unrecht setzte sich fort nach dem 2. Weltkrieg am 29. November 1947 mit einem von der UNO-Vollversammlung verabschiedeten Teilungsplan Israel-Palästina, der durch die gewaltsame Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 missachtet wurde und zur Vertreibung von Hunderttausenden Palästinensern aus ihrer Heimat führte (Nakba) (5).

Einen Tag nach der Verabschiedung der UN-Menschenrechtscharta, am 11. Dezember 1948 verabschiedete die UN-Vollversammlung die Resolution 194. In Artikel 11 wird darin das Recht auf Rückkehr für die Palästinenser und/oder ihre Entschädigung anerkannt (6). Die Entscheidung basiert auf der UN-Menschenrechtserklärung. Dort heißt es unter anderem:

Artikel 13.2: Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich sein eigenes zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.

Artikel 17.2: Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden.

Im Dezember 1949 wurde die UN-Organisation zur Unterstützung der palästinensischen Flüchtlinge, UNWRA, gegründet. Als sie im Mai 1950 ihre Arbeit aufnahm, wurden 914,221 palästinensische Flüchtlinge registriert. Als palästinensischer Flüchtling galten und gelten „Personen, deren Wohnort in dem Zeitraum vom 1. Juni 1946 und 15. Mai 1945 in Palästina war, und wer durch den Konflikt 1948 sowohl sein Haus als auch seinen Lebensunterhalt verloren hat.“ Dieser Status gilt auch für die Nachfahren männlicher palästinensischer Flüchtlinge, einschließlich adoptierter Kinder (7).

Keine UN-Resolution zugunsten palästinensischer oder anderer arabischer Flüchtlinge, die seit der Gründung des Staates Israel in Krisen und Kriegen mit Israel Gesundheit, Heimat, Arbeit, Angehörige verloren hat, wurde von Israel je eingehalten. Das gilt für Libanesen, deren Land wieder und wieder von Israel besetzt wurde ebenso wie für Syrer, die bei der Besetzung der syrischen Golanhöhen im Jahr 1967 und deren völkerrechtswidriger Annexion 1981 durch Israel alles verloren.

70 Jahre nach Verabschiedung der UN-Menschenrechtscharta haben die Nachbarn Israels nichts zu feiern. Die palästinensischen Flüchtlinge sind teilweise mehrfach von Israel vertrieben worden, viele leben als Flüchtlinge im eigenen Land, im Gazastreifen. Seit 11 Jahren wird der Küstenstreifen von Israel zu Land, See und Luft abgeriegelt und immer wieder militärisch angegriffen. Seit dem 30. März, dem 70. Jahrestag ihrer Vertreibung 1948, organisieren die Bewohner des Gazastreifens den „Marsch der Rückkehr“, an dem jeden Freitag tausende Menschen, jung und alt, teilnehmen. Sie marschieren entlang der von Israel errichteten Sperrzäune, die den Palästinensern verweigern, andere Teile Palästinas oder auch Israel zu erreichen.

Amnesty International (8) berichtet, dass mehr als 150 Menschen bei diesen Märschen von israelischen Soldaten jenseits der Sperrzäune getötet wurden. Mindestens 10.000 wurden verletzt, darunter 1849 Kinder, 424 Frauen, 115 Krankenpfleger mit deutlicher Kennzeichnung und 115 Journalisten, ebenfalls als Presse gekennzeichnet. 5814 der Verletzten wurden demnach von scharfer Munition getroffen. Ein israelischer Soldat wurde verletzt, ein anderer Soldat getötet.

Ein kurzer Videoclip von Amnesty International (9) lässt Palästinenser — Frauen und Männer — aus dem Gazastreifen zu Wort kommen. Man habe ihnen ihre Rechte genommen, sagen sie. Das Recht auf Bildung, auf Bewegungs- und Reisefreiheit, auf soziale, wirtschaftliche und politische Sicherheit. Es fehle an Strom, an sauberem Wasser, sagt eine Frau. Es fehle an gesicherter Gesundheitsversorgung, an Arbeit, Einkommen.

Ein Mann berichtet, er sei drei Mal angeschossen worden, weil er gegen die Belagerung protestiert habe. Seine Frau erzählt, sie sei am Bein verletzt worden. Nun trage sie einen Gips und hoffe, eines Tages wieder laufen zu können. „Kommt uns besuchen“, sagt ein Mann. „Seht selber, wie wir hier leben müssen.“ Schöne Worte seien nicht genug, es müsse etwas getan werden.

Die israelische Blockade wurde 2007 für den Landweg, den Wasserweg und den Luftweg verhängt. Der Flughafen von Gaza, der mit EU-Geldern gebaut worden war, ist zerbombt. Schiffe, die sich Gaza vom Meer her versuchen zu nähern, werden von der israelischen Marine aufgebracht, geentert und beschlagnahmt. Fischer, die weiter als 3 Seemeilen auf das Meer hinausfahren, werden beschossen.

Die Grenzübergänge zu Land werden immer wieder geschlossen. Bis heute erreicht kaum Material für den Wiederaufbau den Gazastreifen. Menschen wird der Durchgang zu medizinischer Behandlung, zu Universitäten oder zur Ausreise verwehrt.

Die katastrophale Situation der Menschenrechte für die Palästinenser ist Folge des Versagens internationaler Politik. Israel agiert als Besatzungsmacht, ohne die damit völkerrechtlich verbundenen Verpflichtungen einzuhalten. Israel baut auf palästinensischem Boden, zerstört palästinensische Häuser und Schulen (10), vertreibt, verhaftet, beleidigt die Palästinenser in ihrem eigenen Land, wo sie bis heute ausharren.

In den besetzten Gebieten im Westjordanland hat Israel ein Apartheidsystem mit Orten, Schulen, Straßen für Siedler ausgebaut, wo sich kein Palästinenser bewegen darf. Der Vorstoß, das ganze Palästina zu annektieren, die Palästinenser über den Jordan nach Jordanien und in die Wüste der Sinai-Halbinsel zu vertreiben, wird aus dem Weißen Haus in Washington als „Jahrhundertdeal“ unterstützt.

Das den Palästinensern zustehende Recht auf Rückkehr in ihre Heimat wird 70 Jahre nach der Verabschiedung der UN-Menschenrechtscharta und der entsprechenden UN-Resolutionen nicht nur nicht eingehalten, es wird von Israel verhöhnt. Und verhöhnt und diffamiert wird mit den Palästinensern die UN-Organisation, die 1949 gegründet wurde, um den palästinensischen Flüchtlingen zu helfen.

„UNRWA-Zirkus“ nannte Avivel Schneider, Chefredakteur von „Israel Heute“, in einem Kommentar kürzlich die Regelung, dass die palästinensischen Flüchtlinge „ihren Flüchtlingsstatus an ihre Kinder“ vererben könnten. Das werde keinem „anderen Flüchtling der Welt zugestanden“, so Schneider. Die Palästinenser „pflegen ihren Flüchtlingsstatus“ (11). Erfreut zeigte er sich über die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, der UNRWA die Mittel zu kürzen. Es sei „absoluter Unsinn“, eine Flüchtlingsorganisation „exklusiv nur für die Palästinenser (zu) unterhalten“.

Die stellvertretende israelische Außenministerin Tzipi Hotovely erklärte bei einem Treffen mit 50 ausländischen Botschaftern und Diplomaten (12): Die UNRWA sei „ein Problem, nicht die Lösung“. Ziel israelischer Politik sei es, die „UNRWA zu schließen“, so Hotovely weiter. Dafür sollten sich auch die versammelten Diplomaten bei ihren Regierungen einsetzen.

Das Internetportal „Mena Watch“, das sich als unabhängiger Thinktank vorstellt, betreibt eine skandalöse Hetze gegen Personen und Organisationen, die auf die Rechte der Palästinenser und deren Missachtung durch die israelische Besatzungsmacht hinweisen. Autoren des Internetportals sprechen bei Veranstaltungen über den „Mythos Nakba“ oder veröffentlichen Bücher darüber, dass die Vereinten Nationen dem „jüdischen Staat“ alle Rechte absprechen wollten (13).

UN-Resolutionen, die den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau in den besetzten palästinensischen Gebieten und das gewaltsame Vorgehen der israelischen Armee gegen die Palästinenser anprangern, werden in „antisemitische“ und „gegen Israel gerichtete“ Propaganda uminterpretiert.

In Deutschland fällt das auf fruchtbaren Boden. Die zivilgesellschaftliche palästinensische „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen für Palästina“-Kampagne, BDS, (14) wurde kürzlich sogar im Landtag von Nordrhein-Westfalen als „klar antisemitisch“ stigmatisiert. Öffentliche Einrichtungen wurden aufgefordert, solchen Veranstaltungen keinen Raum zu geben (15). Nicht nur in Nordrhein-Westfalen, auch in Baden-Württemberg werden zur Politik Israels Diskussionsverbote erteilt.

Am 6. Dezember 2018 sollte der Journalist Andreas Zumach im Rahmen einer Veranstaltung der Evangelischen Erwachsenenbildung, EEB, zum Thema "Israel - seine wahren und falschen Freunde" sprechen (16). Die Veranstaltung wurde auf Intervention der Jüdischen Kulturgemeinde in Karlsruhe abgesagt. Grund: Andreas Zumach engagiere sich im „Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung, BIB“ (17). Das sei ähnlich wie die BDS-Kampagne „antisemitisch“.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.amnesty.de/alle-30-artikel-der-allgemeinen-erklaerung-der-menschenrechte
(2) Jugoslawien, Polen, Saudi-Arabien, Sowjetunion, Südafrika, Tschechoslowakei, Ukraine und Weißrussland.
(3) Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft (Fischer Sachbücher).
(4) Die King-Crane-Kommission reiste vom 10. Juni bis 21. Juli 1919 durch die Levante. Der Bericht wurde bei der Pariser Friedenskonferenz nicht behandelt und verschwand später in den USA. Erst 1963 wurde er in Beirut veröffentlicht: Harry N. Howard, The King Crane Commission.
(5) Ludwig Watzal, Feinde des Friedens, Der endlose Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Aufbau-Taschenbuch-Verlag, 2001
(6) http://www.lib-hilfe.de/mat/ausstellung/Ausstellung_Nakba.pdf
(7) https://www.unrwa.org/who-we-are
(8) https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2018/10/gaza-great-march-of-return/
(9) https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2018/10/gaza-great-march-of-return/
(10) https://www.palestinechronicle.com/israel-demolishes-a-palestinian-school-in-west-bank/
(11) (30.11.2018; Israel Heute) http://www.israelheute.com/Nachrichten/Artikel/tabid/179/nid/34572/Default.aspx)
(12) (26.11.2018) https://www.middleeastmonitor.com/20181129-israel-urges-countries-to-stop-funding-unrwa/
(13) https://www.amazon.de/Vereinte-Nationen-gegen-Israel-delegitimiert/dp/3955652491
(14) http://bds-kampagne.de/
(15) https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-3577.pdf
(16) https://bnn.de/lokales/karlsruhe/shitstorm-nach-absage-thomas-schalla-will-verhaeltnis-zur-juedischen-gemeinde-nicht-belasten
(17) https://www.bib-jetzt.de/

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