Wenn ich mich durch Facebook-Kommentare zu meinen Artikeln kämpfe, komme ich immer wieder an meine Grenze. Ich schreibe einen Text, der einen kleinen Beitrag zu einer besseren Welt leisten, andere für ihr eigenes Leben inspirieren und somit zum Handeln anregen soll, und lese darunter Kommentare, die ihn „ad absurdum“ führen wollen.
Ich antworte und versuche herauszufinden, was die Kommentierenden so stört. Am Ende wird mir vorgeworfen, ich sei weltfremd und habe nicht genug Hintergrundwissen.
Das mag durchaus sein. Doch wieso fragt sich dieser Mensch nicht einmal selbst, ob er denn nicht auch in seiner Blase gefangen sei, ob er selbst denn tatsächlich genug Hintergrundwissen oder zumindest Freigeist habe, um meine Ansichten voll zu erfassen?
Es kotzt mich an! Diese überheblichen Leute, denen es nur darum zu gehen scheint, jeden Funken Lebensfreude und Hoffnung, jeden Vorschlag der anderen Art im Keim zu ersticken. Am liebsten würde ich ihre Köpfe nehmen und vor eine Wand schlagen, damit sie aufwachen!
Dann wache ich aus meinem inneren Monolog auf. Oh ha, ich bin wütend. Ich bin frustriert. Ich bin alles andere als friedlich. Wie komme ich da raus?
Ich stelle mir die Frage, was ich möchte. Verbindung lautet die erste Antwort. Ich möchte eine Verbindung zu anderen Menschen. Ich möchte, dass diese Spalterei aufhört. Wie kann ich dazu beitragen? Vielleicht indem ich zuhöre?
Zuhören! Interessant.
Ich schreibe den Kommentatoren eine Privatnachricht und möchte nachhaken; ich stelle fest, dass ich ihren Standpunkt absolut nachvollziehen kann. Jetzt wünsche ich mir, dass auch sie mir zuhören, mich verstehen, anstatt mich und meine Meinung von vornherein als unqualifiziert abzutun.
Sie sind selbst Friedensaktivisten. Setzen sich für einen Ausstieg Deutschlands aus der NATO ein und demonstrieren gegen die Airbase in Ramstein. Das ist wichtig und nachvollziehbar. Was ich nicht verstehe: Warum sind mein Ansatz vom Hinterfragen des eigenen Selbst, das Hoffnungmachen und die Beispiele für alternative Lebensweisen in ihren Augen sinnlos? Das eine schließt das andere nicht aus.
Doch ich renne vor eine Wand. Der Austausch endet damit, dass der Andere sich im Recht sieht und ich mich mundtot gemacht fühle. Sprich, ich bin noch immer frustriert und sauer … Doch, wenn ich mich da so vor meinem PC sitzen sehe, muss ich auch schmunzeln.
Will ich nicht auch Recht haben? Ja, schon! Mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass ich nicht nur Recht haben möchte. Gleichzeitig fällt mir auf, dass diese Diskutiererei und der Schlagabtausch auch Spaß machen. Sie regen mich auf, Adrenalin schießt durch meinen Körper, ich habe einen Haufen Energie, meine Gehirnzellen feuern, dass die Funken sprühen – ich fühle mich lebendig.
Da erinnere ich mich an ein Telefonat mit Ruben Schattevoy. Wir hatten die Idee einer Plattform, über die Menschen Andersdenkende finden und sich absichtlich mit ihnen zum Austausch treffen.
Peaceship.de für eine bewusste Streitkultur
Die meisten Menschen sehnen sich nach Verbindung. Wir brauchen den Kontakt zu anderen wie die Luft zum Atmen. Deshalb suchen wir uns Austausch- und Beziehungspartner. Inzwischen auch online, da uns der technische Fortschritt ermöglicht, mit wenigen Klicks und unter Zuhilfenahme ausgeklügelter Algorithmen den Traumpartner zu finden.
Viele sehnen sich nach Frieden. Ebenso viele suchen nach dem großen Kick und Abenteuer, um sich lebendig zu fühlen. Begegnung, Frieden und Spannung – drei Sachen auf einmal! Die neue virtuelle Kinderüberraschung für Erwachsene:
Eine neue Online-Plattform, die uns – mit den Techniken, die auch bei den bekannten Dating-Apps zum Einsatz kommen – nach wenigen Klicks einen Gesprächspartner vorschlägt, der anders denkt als wir.
Alle 11 Minuten erweitert ein Mensch seinen Horizont über peaceship.de.
Die Online-Partnervermittlungen, die Menschen helfen, sich kennenzulernen, basieren auf dem Prinzip der Gemeinsamkeiten in den Persönlichkeitsprofilen ihrer Nutzer. So finden Menschen zusammen, die sich ineinander verlieben könnten.
Was brauchen wir für den Frieden? Liebe, Mitgefühl und die Fähigkeit, andere Meinungen zu akzeptieren. Vor allem dann, wenn es weh tut. Wenn es Angst macht. Wenn es unser Innerstes in Aufruhr versetzt.
So würde auf der Startseite unserer auf Unterschieden in den Nutzer-Profilen basierenden Vermittlungs-App Folgendes stehen:
Unter freier Meinungsäußerung verstehen wir nicht, dem Anderen unsere Meinung so lange zu geigen, bis der endlich einsieht, dass wir Recht haben. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist auch in diesem Fall eher die Freiheit des Anderen, seine Meinung frei äußern zu dürfen. Wenn er sie dann hören will, dürfen wir sicher auch unsere Meinung äußern. Wenn es richtig gut läuft, entsteht dabei gegenseitiges Verständnis und eventuell entwickelt sich unsere Meinung sogar weiter. Das wäre das größte Geschenk, was uns der Andere machen kann.
Mit der Vermittlungsplattform für die Begegnung von Andersdenkenden schlagen wir etwas Neues vor – eine Aktion für die ganz Mutigen. Für diejenigen, die sich nach Abenteuer und Aufregung sehnen, und die wirklich zum Weltfrieden beitragen möchten, anstatt auf Facebook andere mundtot zu machen.
Treffen Sie sich mit einer Person, die anderer Meinung ist als Sie! Sie schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie können Ihre Friedfertigkeit testen, indem Sie beobachten, ob Sie anderen zuhören und sie ausreden lassen können. Und sie werden ganz sicher einen Adrenalinrausch erleben, da es uns allen in der Regel schwerfällt, andere Meinungen zuzulassen.
Wenn wir in der bewusst gesuchten Begegnung mit Andersdenkenden das Zuhören lernen, dann bekommen wir die Möglichkeit zu erkennen, dass sich hinter fast jeder Meinung Ängste und Verletzungen verbergen. Wenn wir uns hiervon berühren lassen, können wir zueinander finden. Dann lassen wir uns trotz verschiedener Meinungen nicht mehr spalten, halten als Menschen zusammen und bereichern eventuell sogar unseren Horizont oder finden ganz neue Lösungsansätze.
Es muss ja auch nicht gleich die ganz entgegengesetzte Meinung sein. So eine App ließe sich auch so einstellen, dass man Menschen trifft, die einen neugierig machen, mit denen man sich sonst nie im Leben unterhalten hätte. Vielleicht möchte ein arbeitsloser Akademiker sich mit einem Unternehmer oder einem Beamten aus dem Arbeitsamt treffen und sie tauschen sich über ihren Alltag und ihre Sorgen aus, erklären dem anderen, wie sie sich fühlen.
Unsere Vision ist eine Plattform, die es Interessenten ermöglicht, sich zu kontroversen Gesprächen zusammenzufinden. Wir stellen uns bilaterale Gespräche mit wechselnden und einander unbekannten Gesprächspartnern vor, mit einer Dauer von ein oder zwei Stunden – oder länger, wenn der Funke überspringt – in einem Café oder bei einem Spaziergang.
Wichtig ist uns, dass sich alle Mitglieder der Plattform auf eine gute Debattenkultur einigen und verpflichten. Dieser Kodex sollte so gestaltet sein, dass Gespräche zur Erweiterung des persönlichen Horizonts – über die persönliche Filterblase hinaus – dienen und, so gut es eben geht, auch noch erquicklich sind.
Als kleinsten gemeinsamen Nenner für die Mitglieder sehen wir die Anerkennung der allgemeinen Menschenrechte und der in unserem Grundgesetz verankerten Grundrechte. Das Meinungsspektrum sollte darüber hinaus aber möglichst nicht eingeengt werden.
Die Debattenkultur der Gemeinschaft basiert darauf, dass man seinem Gesprächspartner dessen Anerkennung des kleinsten gemeinsamen Nenners der Gemeinschaft nie abspricht, ebensowenig eine positive Selbstwahrnehmung aus dessen Perspektive und in dessen Wertesystem.
Das Leitmotiv lautet Kooperation statt Konkurrenz. Frieden schaffen statt Recht haben. Der Versuch, den Gesprächspartner von der eigenen Sicht der Dinge zu überzeugen, sollte deshalb möglichst unterlassen werden, was in der Regel jedem sehr schwerfällt und hier trainiert werden kann.
Vielleicht könnten auch einige Rahmenbedingungen vorgegeben oder empfohlen werden. Beispielsweise, dass sich vorab jeder Teilnehmer zwei Themen überlegt und der Gesprächspartner eins davon aussuchen darf. Oder dass man am Ende gemeinsam eine kurze Zusammenfassung schreibt und im Portal hochlädt, um andere an der Erfahrung teilhaben zu lassen und eventuell auch anderen Menschen Lust auf Begegnungen dieser Art zu machen.
Wir möchten eine Bewegung außerhalb der Parteiendemokratie begründen. Eine Bewegung, die von den Mächtigen des Systems nicht angegriffen werden kann. Eine Bewegung, die einfach aus sich heraus schon einen großen Beitrag zu einem „gelingenden Leben“ im Sinne von Frieden, Verbundenheit, Wachstum, Wirksamkeit und Selbststeuerung leistet. Eventuelle positive Auswirkungen auf unser demokratisch organisiertes Gemeinwesen wären ein schöner Nebeneffekt.
Vergleich mit dem Ansatz des Mainstreams
Die Zeit war schneller als wir und hat mit „Deutschland spricht“ bereits letztes Jahr einen ersten Schritt in diese Richtung gewagt.
In diesem Jahr haben sich gleich mehrere Medien zusammengetan, um die letztjährige Aktion der Zeit zu wiederholen. Dieses Mal unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten und mit einer speziellen Plattform, die den gesamten Ablauf unterstützt und weitgehend automatisiert.
„Zehntausende Diskussionspaare mit unterschiedlicher politischer Meinung werden am 23. September überall in Deutschland Vieraugengespräche führen. Bei der Aktion ,Deutschland spricht‘ kommen Menschen zusammen, die politisch möglichst unterschiedlich denken, dafür aber nahe beieinander wohnen.“
Als Motivation der Teilnehmer wird durch die Organisatoren jedoch vorgegeben, dass sie in einem 4-Augen-Gespräch eines der folgenden Ziele erreichen wollen:
- Schärfen der eigenen Argumente in einer Konfrontation mit dem Diskussionspartner
- Abbringen des Diskussionspartners von seinen falschen Ansichten
- Feststellen, dass das Gegenüber trotz entgegengesetzter politischer Meinung kein Unmensch ist
Die von der Zeit erstmals umgesetzte Aktion ist offensichtlich im Mainstream angekommen: Zuerst der Grimme-Preis und nun auch noch die geballte Medienmacht, der Bundespräsident als Schirmherr und Google als Sponsor für die Software hinter der Plattform.
Wenn eine interessante Idee vom Mainstream aufgegriffen wird, werden gerade wir als Leser von alternativen Medien immer misstrauisch. Zu oft ließ sich in der Vergangenheit beobachten, wie Ideen und Bewegungen, die dem Establishment gefährlich werden könnten, okkupiert, entkernt und letztlich pervertiert wurden.
Unser Anliegen für den „Stammtisch der Brückenbauer“ scheint uns ziemlich konträr zu dem von „Deutschland spricht“: Uns geht es darum, dass die Teilnehmer einander verstehen und nicht, dass sie einander überzeugen oder bewerten. Das Ziel eines Treffens sollte sein, dass der eine Teilnehmer die Sichtweise des anderen am Ende in wertschätzenden Worten wiedergeben kann – auch und gerade dann, wenn er diese Sichtweise bis zum Schluss nicht teilt. Das ist eine intellektuelle und mentale Herausforderung!
Dahinter steht unsere Erkenntnis, dass der Wandel einer Sichtweise nur durch deren Träger selbst eingeleitet werden kann. Dies gelingt dem Träger aber nur, wenn er sich und seine Sichtweise verstanden fühlt.
Ganz bestimmt funktioniert das nicht, wenn er sich angegriffen fühlt oder wenn er den Eindruck hat, es wäre dem Anderen ein Sport, seine Argumente zu schärfen oder möglichst viele „Fehlgeleitete“ zu bekehren. Nur wenn beide Seiten sich verstanden fühlen und ihre eigene Sichtweise ganz entspannt und im Gefühl der Geborgenheit hinterfragen können, kann eine Annäherung der Sichtweisen gelingen, kann eine Resonanz geschehen.
Dennoch liegt es jetzt auch an uns, der Aktion der Mainstream-Medien eine Chance – in unserem Sinne – zu geben und die Streitkultur in unserem Land in die beschriebene konstruktive Richtung zu beeinflussen. Vielleicht nimmt der ein oder andere Rubikon-Leser dieses Jahr an „Deutschland spricht“ teil und berichtet uns von seiner Erfahrung?
Redaktionelle Anmerkung: Den Autoren sind Gedanken und eine entstehende Diskussion sehr wichtig. Auf dem Blog Peds Ansichten wird dieser Artikel am 13. September 2018 ebenfalls veröffentlicht. Der Blog bietet den Lesern über die Kommentarfunktion die Möglichkeit für solch eine Diskussion.